Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 4

INHALT Titelbild: St. Prokulus in Nalurns (Südtirol). Foto: Dr. Widder. Schrift: Fritz Steiner AN DER WENDE ZU NEUER FORM IM ACHTEN JAHRHUN DERT Doz. Dr. Franz von Jurascheck, Wien 10? ZUR BILDTHEORIE IM FRÜHEN MITTELALTER Dr. Herbert Schade SJ, München 113 HÖHEPUNKTE DER FRÜHMITTEL ALTERLICHEN BUCHMALEREI IN SALZBURG, MONDSEE UND KREMSMÜNSTER Dr. Kurt Holter, Wels 119 GESTALT UND GESCHEHEN IM OTTONISCHEN BYZANTINIS MUS Doz. Dr. Wilhelm Messerer, München 123 DIE SPIEGELUNG DER MITTEL ALTERLICHEN KAISERIDEE IN WERKEN DER GOLDSCHMIEDE KUNST Doz. Dr. Hermann Fillitz, Wien 128 Das Heft hat die Kunst des frühen Mittel alters zum Gegenstand. Es ist die Zeit, in der sich die künftige Gestalt des Abendlandes bildet. Starke Spannungen sind spürbar: zwischen antiken Traditionen und germanisch-selbstherrlichem Wesen, zwischen dem Einfluß byzantinischer Strenge und sich regender eigener Dynamik, zwischen päpstlichem und kaiserlichem Füh rungsanspruch. Diese Vielschichtigkeit, zugleich aber auch die Größe dieser Zeit, die sich in der absoluten Anerken nung der Königsherrschaft Gottes zeigt, wollen die Haupt beiträge deutlich machen. Fotonachweis: 1—3, 5, 6, 9 Dr. Erich Widder 13—15, 17, 21 Foto Marburg 7 österreichische Notionalbibliolhek, Wien 22 Bundesdenkmalamt, Wien 23, 24 Kunsthistorisches Museum, Wien 12 Bibiioiheque Notlonoie, Poris 20 University Press, Oxford BERICHTE: DER VIII. INTERNATIONALE FRÜHMITTELALTER - KONGRESS 1959 IN VERONA, VICENZA BRESCIA Doz. Dr. Franz von Juroschek, Wien 133 EINZELPREIS DES HEFTES; 18 SCHILLING (3 DM) IRRTÜMER UND MÖGLICHKEI TEN - GEDANKEN ZUR „IV. INTERNATIONALEN SAKRALER KUNST" IN NOVARA Prof. Jorg Lampe, Wien 135 BUCHBESPRECHUNGEN 138 CHRISTLICHE KUNSTBLÄTTER, Eigentümer, Verleger und Herausgeber: Diözesan-Kunsiverein Linz c. d. Donau, Herrenstraf)e 19. SdirifÜeiter; Dr. Günter Rombold. — Für die Diözese St. Pölten: Prälat Dr. K. B. Frank, St. Pölten, Domplatz 1. — Der Jahrgang besteht aus 4 Hefien. Bezugspreis für den ganzen Jahrgong; 72 S. Postscheckkonto Wien 26.090) für das deutsdie Bundesgebiet 12 DM, Poslscheckamt München, Konto Nr. 120.088; für die Schweiz 12 sFr, Postscheckamt Zürich VIII, Konto Nr. 50.582; für dos übrige Ausland 2 — Überweisungen aus dem Ausland werden erbeten an die Bank für Oberösterreich und Salz burg, Linz, Konto Nr. 683. Druck: Jos. Feichtingers Erben, Linz. — Klischees: Franz Krammer. Linz.

Franz von Juraschek An der Wende zu neuer Form im 8. Jahrhundert möchte es einen doch beinahe an den harten Bruch — woran die ältere, heute abgelehnte Schulmeinung glaubte —■, an das fast Unvereinbare zwischen christlicher Spätantike und dem Frühmittel alter gemahnen, wenn wir uns die Gegensätzlichkeit gemeinnütziger Beträume bei den frühen Christen gegenüber dem Eigenkirchenwesen, das dann an deren Stelle trat, anschaulich vor Augen halten. Das reizvolle Prokuluskirchlein im Vinschgau ober halb Meran (Titelbild) ist, wie sich leicht zeigen lassen wird, sicherlich als die Eigenkirche eines der „neuen Herren" erbaut worden oder richtiger als Eigenkirche der Frauen aus solcher Familie. Unter den Kunst historikern entstand bald ob der Zwiegesichtigkeit der Stilkomponenten in den Wandgemälden ein leb hafter Meinungsstreit und er herrscht noch heute'). Allzu deutlich schimmert trotz der gewollt anti-klas sischen Züge, die überwiegen, in vielem unleugbar „Romanitas" hervor. Aber das andere ist kaum be achtet, daß sich in diesem Verein einfachster Bau formen, bäuerlicher Unbekümmertheit bei fast gewalt tätigem Glaubenswillen ganz genau ebenso das fried same Nebeneinander spätantiken und germanisch urwüchsigen Denkens zeigt. Wir glauben nicht mehr, daß der Völkersturm das antike Erbe nahezu völlig vernichtet habe. Aber vom Nebeneinander reden wir zu wenig; wir vergegen wärtigen uns nicht anschaulich genug, wie lange noch und wie nachhaltig in seiner Wirkung auf die jün geren Generationen dieses Nebeneinander war, das in unseren Landen durch Jahrhunderte bestand: Das Nebeneinander spätantiker Denkmäler und der spät antiken Art zu denken neben wachsenden Neubauten der nun Ton angebenden germanischen Stämme und neben ihren sich erst jetzt neuerlich festigenden Lebensformen. Eben als die Periode vom wirksamen Nebenein ander der sich ablösenden Weltanschauungen charak terisiert sich das Frühmittelalter. Es gab noch — bei uns im Alpenraum — Reste heidnischer Antike, kel tische und sogar illyrische Gebräuche; es gab und lebte noch das spätantike Christentum unter Romanen; es richtete daneben der neue Herr mit seinem so anders gearteten Brauchtum. Es standen noch die Kirchen der frühen Christen mehrfach aufrecht und sie dienten noch für Kult handlungen. Jedoch, weil man darin die Lehre der „Knechte" vertrat, war den Kirchenältesten der Ro manenweiler, den Presbytern, die wir kaum mehr Priester nennen dürfen, ein Einfluß auf die bairischen Dazu die Abb. 1—6 Herren niemals möglich. Auch gab es ja damals — vor der neuen Mission — keinen Bekehrungswillen, keine gefestigte Überzeugung und nur Erinnerungen an einstige Bildung. Als um 700 die Männer vom Westen und von den Inseln kamen, Rupert, Emmeram, Korbinian, da waren Romanen ihre ersten Gehilfen; taufen ließen sich die Baiern, aber Priester wurden diese nicht. Noch nicht. Zwischen der Mission durch die von auswärts kommenden Mönche mit insularen Tradi tionen und dem Beginn des eigenen bairischen Priestertums liegt eine Zwischenperiode von reichlich fünfzig Jahren. In dieser Zeit haben Romanen das Priesteramt versehen! V7ir verstehen es wohl und unterschätzen es nicht, was ein solches Romanenzwischenspiel historisch be deuten muß. Nicht die Schemen verblassender Spät antike, sondern das, was sie von Iren und Angel sachsen erlernt hatten, gaben die auf der Scholle ver bliebenen Provinzialromanen an die Baiern weiter. Welch ein kulturelles Gemenge ergab doch diese Lage! Und umgekehrt gilt auch, daß die insularen Lebensregeln, die insulare Kunst meist nicht unmittel bar hereinwirkte, daß sie vielmehr in breiter Schicht aus Romanenhänden zu den Baiern kamen. Mußte sich nicht solcher Mittlerweg in der Art der neuen Kunst ausprägen? Als ob es die Aufgabe wäre, uns ein besonders klares Beispiel dafür vor Augen zu stellen, ein Muster, das eigentlich nicht mißdeutet werden kann, so glau ben wir das seltsame und nichts anderem richtig ver gleichbare Südtiroler Denkmal, das Prokuluskirchlein in Naturns zu verstehen. Darin wird es für uns zu etwas ganz Wesentlichem; es wird zum signifikan testen Repräsentanten dessen, was wir Frühmittelalter nennen. Denn die Kunst im Frühmittelalter beginnt nicht erst durch den Willen eines einzelnen und sie ist nicht allein aus der Herrschernatur Karl des Großen etwa geboren, sie beginnt nicht mit den monumentalen Bau ten seiner imperialen Gesinnung oder mit der breiten Schicht uniformer Dorfkirchen im Aufbau der neuen, vom Frankenreich geförderten kirchlichen Organisation. Am Anfang steht in den einzelnen Stammesgebieten eine eigenwillige, aber sehr lebenskräftige Kunst und dort, aus diesem zäh gehüteten Wurzelboden nahm auch die aufblühende karolingische Renaissance ihre beste Kraft, die verhinderte, daß aus Nachahmen Manierismus wurde.

Die Kirche in Naturns ist einst völlig ausgemalt ge wesen und die erhaltenen Darstellungen erzählen uns einiges darüber, wie die Zeitgenossen mit ihren Kult handlungen persönlich eng verbunden waren und warum man so baute und nicht anders. Ein einfacher Rechteckraum, nicht sehr hoch und auch nicht beson ders groß, dem menschlichen Maße angepaßt, wie ein großes Zimmer etwa; nur im Süden das Fenster, die Tür; West- und Nordwand blieben ohne Öffnung: ein Raum wirkt vertrauter, wohnlicher, wenn er nur an einer Seite Öffnungen hat. Dazu freilich im Osten „die Nische", ein abgesonderter Raumteil für den Altar, die Stelle also, wo sich dos Geheimnis voll zieht, wo Gott sich offenbart. Aus dieser Contradictio des „offenbar gewordenen Geheimen" schöpfen Bau, Kult und Glauben den Spannungsgehalt, den tieferen Sinn und die nun geltende Wegleitung. Wie einst, vor der Ausbildung der Basilika mit ihren Weg leitenden Säulen, ist der Raum wieder auf die kleine Schar, die zum Altar geht, abgestimmt. Es sind die Circumadstantes, die Umstehenden. Der Altar ist zugleich unmittelbar bei ihnen, und doch abgerückt, weil sie nicht bis an ihn herantreten. Der Priester liest — wie Reste der Ausmalung im Triumphbogen erweisen — die Messe noch mit dem Gesicht zu den Gläubigen und im Raum zwischen diesen und dem Altar; im vorderen Drittel des Recht eckraumes also, das frei bleibt, vollzieht sich die „traditio". An die Wand gemalt sehen wir an dieser Stelle das Bild der traditio (Abb. 2); auf der Epistel seite, weil es sich um weibliche Personen handelt. Zwei adelige Damen schreiten heran und im Heran schreiten schon neigen sie sich tief herab, um hin zuknien vor dem Altar; sie halten Heiliges in ihrer vom Gewand verhüllten Hand und in der anderen ein Buch; wahrscheinlich ist es die feierliche Bestiftung der eben errichteten Kirche, die hier dargestellt ist. Hinter den Damen stehen zwei Männer, deren einer mit seiner Hand auf die Spenderinnen weist, ein uns aus Traditionsdarstellungen bekannter Gestus. Wir denken daran, was in den vielen Traditionsurkunden der Zeit zu lesen ist, wie die Sippenangehörigen, ins besondere wohl der Vater und der Sippenälteste, die Übereignung mitbezeugen und jede Anfechtung der Schenkung zurückweisen. Die fünfte Person, die zu hinterst steht und wieder etwas in Händen hält, kennen wir gleichfalls aus den Urkunden; häufig wird im Nachsatz der Hauptstiftung durch den Bruder oder einen anderen Verwandten eine weitere Spende an gefügt. Auch das nächste Bild an der Wand — es schmückt schon jenen großen Hauptteil des Rechteckraumes, in welchem die Gläubigen stehen — dürfte zum Kult in dieser Kirche in engster Beziehung stehen. Noch wird damals das, was man sagen, woran man erinmern will, gerne durch ein Paradigma aus dem Alten Testa ment oder aus der Apostelgeschichte beleuchtet. Vom Titelheiligen Prokulus, der Bischof von Verona war, berichtet das Martyrologium Romanum, daß er „colaphis ac fustibus caesus e civitote pulsus est", daß er nach schwerer Züchtigung aus der Stadt vertrieben wurde. Gerade um 800 wird das Recht des Gläubigen, Verfolgungen auszuweichen, als Bischof gor den Bi schofssitz und die ihm anvertraute Herde zu verlassen, immer wieder durch den Hinweis auf die Flucht des Apostels Paulus über die Stadtmauer von Damaskus gerechtfertigt. Vielleicht galt der heilige Prokulus noch nicht als würdig, durch eine Szene aus seinem eigenen Leben im Kirchenraum verehrt zu werden. So scheint an die Stelle einer Prokulushistorie das Bild der Recht fertigung aus der Apostelgeschichte getreten zu sein (Abb. 3), dos wohl allen damals aus den Predigten im Hinblick auf Prokulus verständlich wor^). Wenr» die Gruppe daneben, angeführt von einem Mann mit dem Stock in der Hand, zu der Fluchtszene pilgert, so gilt die Wallfahrt nicht dem Dargestellten, nicht dem heiligen Paulus, sondern „ihrem" Prokulus; ja es mag sogar das in den Bergen versteckte Naturns damals als Fluchtort des Veroneser Bischofs gegolten haben und daher in besonderer Weise den Ruf eines Prokulus-Heiligtums gewonnen haben. Der Gedanke der Pilgerschaft, der Wallfahrt, tritt uns im Kirchlein noch mehrfach entgegen. Die West wand in ihrer ganzen Ausdehnung nimmt eine schrei tende Rinderherde ein. Wenn auch nur in Bruch stücken erhalten, läßt sich doch das Gesamtbild und seine Bedeutung im Kirchenraum erschließen. Zwölf Rinder schreiten von links nach rechts, dem Leittier folgend (Abb. 5), das von einem Mann vorwärts ge zogen wird; in seiner tief vorgebeugten Haltung ist dargestellt, wie sehr er sich dabei anstrengt; der Weg, den er und die Herde zurücklegte, ist mühevoll, ist, so sollen wir verstehen, weit gewesen. Neben ihm ist der Herdenhund und ganz an der Spitze ein anderer Mann, der wieder einen Stock trägt oder vielleicht, wie Edmund Theil nicht ohne Grund vermutet, einen kurzen Kreuzstab. Der Wanderstab ist ja das Attribut der Pilger und auch dieser Mann wird Anführer einer Wallfahrt sein, wie ja noch heute dem „Kreuzgang" — so heißt die Bittprozession oder Wallfahrt in Tirol — der Träger der Kreuzstange voran schreitet. „Kreuzgänge" mit Tieren sind uns im Mittelalter mehrfach und in Tirol vereinzelt selbst heute noch bekannt. Das Tier bei Kulthandlungen im Kirchenraum ist dem mit der Scholle verbundenen Gebirgsbauern keineswegs anstößig und mag zu einer Zeit, als noch Tier und Mensch in der Regel im gleichen Raum unter gebracht waren („hausten") erst recht natürlich gewesen sein. Auch mag daran erinnert werden, daß die Übereignung erst in Anwesenheit des Empfängers und möglichst durch Berührung mit der Hand richtig unan fechtbar wird; Christus aber ist — trotz seiner All gegenwart — im Altarssakrament doch viel persön licher, weil eben leiblich, anwesend. Darum erfolgt

ja die Bestiftung ad älterem, auf den Altar, und es mag schon um der richtigen traditio willen als selbst verständlich, ja als notwendig empfunden worden sein, daß das gottgewidmete Tier in die Kirche und zum Meßopfer gebracht wurde. Leider hat man sich mit dem für dos Kontinuitätsproblem so wichtigen Fragenkomplex des Tieres bei Kulthandlungen in der Kirche im Zusammenhang noch gar nicht beschäftigt'). An der Westwand der 1470 erneuerten Leonhards kirche in Heiligenleithen bei Rettenbach (Oberöster reich) sind gotische Bänke für die Dorfältesten an der Westwand aufgestellt. Es liegt nahe, an den Pferde segen zu denken, der hier alljährlich am Leonharditage gespendet wurde. Auch der Bau der Halle rich tete sich nach dem Durchritt der Pferde: Süd- und Nordportal nächst der Westwand, die ihrerseits (wie in Naturns ursprünglich) ohne Maueröffnung blieb; so ließ der Priester bei der Segnung, gegen Westen ge wendet, die Pferde von links nach rechts durch den Kirchenraum vorbeiziehen, wie uns die Westwand in Naturns genauso den Zug der Rinder von links nach rechts im Bilde zeigt. Zwölf Weiler im Virgen-Tal unter dem Großvenediger in Osttirol wirken zusammen, damit alljährlich der eigens dafür gepflegte und gefütterte, langhaarige weiße Widder mit außergewöhnlichen Hörnern nach Lavant unterhalb Lienz gebracht werde. Es ist ein besonders mühevoller „Kreuzgang", der da mit dem Widder über vierzig oder fünfzig Kilometer das Tal herabführt (Abb. 4). Man fragt sich, was die Menschen in einer Pestzeit 1635 veranlaßt haben konnte, das Opfertier so weit hin zu geloben. Der heilige Petrus vom Kirchbichl in Lavant ist zudem kein Pestpatron; wohl ging der Widder seit der Barockzeit zum Gna denbild der Gottesmutter, doch hätte man viel eher ein Gelöbnis an das nahe Obermauern erwartet, wo seit dem 14. Jahrhundert eine vielbesuchte Wallfahrt besteht (seit etwa 1930 wird nun auch der „WidderKreuzgang" nicht mehr nach Lavant, sondern noch Obermauern geführt). Einmal allerdings und nur — so viel wir wissen — zu dieser ganz frühen Zeit bestand engste Verbindung zwischen Virgen und dem Kirch bichl von Lavant, damals nämlich, als die Bischofs kirche der civitas Aguntum auf dem Bichl von Lavant stand (400 bis 600, vorher dort ein Keltentempel, in dem es Widderopfer gab!) und die Opfergabe der Seitentäler ganz naturgemäß zur Hauptkirche der civitas gebracht wurde. Der eine oder andere Einzel zug im Brauchtum um den Virgener Widder mutet geradezu spätantik an. Blieb tatsächlich hier ein kul tischer Brauch der spätantiken Zeit bis in die Gegen wart erhalten? Die Rinderherde der Westwand in Naturns als Genreszene deuten zu wollen, ist natürlich abwegig. Es genügt nicht, auf das Hirtenvolk im Bergland oder auf den Viehpatron Prokulus hinzuweisen. Selbst der Gedanke an ein Votivbild aus gelegentlichem Anlaß, wie Votivszenen irgend welcher Art dann seit dem Spätmittelalter häufig vorkommen, erscheint für die frühe Zeit der Wandgemälde und im Hinblick auf den breiten Raum der Darstellung noch immer keine aus reichende Erklärung. Es muß ein Geschehen von ein schneidender Bedeutung gewesen sein, das mit dem Gottesdienst in der Kirche in enger Beziehung stand, das sich wohl auch regelmäßig wiederholte, um im achten Jahrhundert Gegenstand für die Ausmalung einer Kirchenwand werden zu können. Der „Rinderkreuzgang" von Naturns — so denken wir — wird älter gewesen sein als der Kirchenbau. Von zwölf Weilern der weiteren Umgebung mag man die zwölf Rinder hierher gebracht haben. Weil diese Rinderwallfahrt bestanden hatte, wurde Prokulus für spätere Geschlechter, als der „Kreuzgang" selbst schon in Vergessenheit geraten war, zum Viehpatron und nicht umgekehrt. Eine merkwürdige Parallele wird so zwischen dem Bild der Traditio neben dem Triumphbogen und dem „Rinderkreuzgang" der Westwand sichtbar. Der Eigenkirchenherr bringt sein persönliches Stiftungsopfer ebenso zum Altar, wie die Gesamtheit der Bauern gemeinschaft (darum die Zahl zwölf der Rinder, weil die Vollzähligkeit oller Zusammengehörigen aus gedrückt sein soll) ihr Rinderopfer in den Kirchen raum bringt. Beide Gaben, die einmalige des Kirchen herrn wie die regelmäßige der Kirchengemeinde sind die beiden Pfeiler, auf denen der Wohlstand des Kirch leins ruht, zu dem dann auch der Strom sonstiger Pilger (die Schar, die sich dem Paulus zuwendet) das Seine beiträgt. Das Konzept der Wandausmalung in Naturns ist gleichzeitig und einheitlich und erweist zugleich, in welch innige Verflechtung der frühchristliche Gemein schaftsgedanke mit dem Eigenkirchenwesen gelangt war. Mag auch die „Nutzung" der Kirche wie die Last der Bauerhaltung nur dem einen zustehen, so wirkt die Gemeinschaft doch selbstverständlich mit und es wird, was sie tut, als genauso wichtig in einem Bild für sich an der Wand festgehalten wie der Grün dungsakt durch den Eigenkirchenherrn. Aus dem Nebeneinander zweier sich fast ausschließender Ge dankenformen ist bereits — im achten Jahrhundert — eine neue Einheit geworden, die dann im folgenden zu einer der tragfähigen Wurzeln für die kommende Pfarrorganisation wurde. So anspruchslos das Dorfkirchlein zunächst erscheint, so einfach die Bauform ist, so führt die Analyse doch sehr bald zu einer erstaunlichen Vielfalt der Gesichts punkte, die sich unerwartet als streng durchdacht er weist. Da wird nicht herumgetastet, sondern klar disponiert. Jedes hat seinen Platz. Es gilt eine unver kennbare Rangordnung, die sich in einer Steigerung des Darstellungsinholtes von Westen noch Osten äußert. Hier die Herde, die Pilgerschar, die Sippe der Kircheneigner; auch der Ausdruck der Verehrung

Gottes steigert sich. An der Nordwand drüben sehen wir fünf Heilige; östlich davon, sichtlich getrennt von ihnen, einen machtvollen Engel (Abb. 1); sein Stab sagt uns wohl, daß er der Bote ist zwischen den Menschen und Gott (Gabriel?). Die Steigerung erhöht sich: an der Triumphbogenwand die beiden großen Engel, wie strenge Torhüter vor dem höchsten Hei ligtum. Man hat den Stilunterschied zwischen allen übrigen Malereien und diesen beiden Engeln an der Ostwand stets hervorgehoben; einige meinten, daß so gewal tige Differenzen in der Auffassung sich nur durch einen beträchtlichen Zeitabstand von mehreren, von vielen Jahrzehnten erklären ließen; andere sahen in der antiklassischen, fast ornamentalen Auflösung der Engelskörper den Maler insularer Herkunft gegenüber einem zweiten Künstler, welcher sich zweifellos um Körperhaftigkeit und um ein Hintereinander der Ge stalten müht und darum den Nachklang spätantiker Kunst erahnen läßt. Mögen zwei Hände hier und dort gearbeitet haben oder nicht, sicher ist und unverkennbar, daß sie an einem Konzept arbeiteten. Widerspricht doch die Raum disposition in stufenweisem Anschwellen der Hieratik von Westen nach Osten dem ähnlich von anderen Denkmälern her bekannten und auch später im ganzen Mittelalter üblichen Gebrauch keineswegs. Jenes Span nungsmoment an der Schwelle vor dem Allerheiligsten, von dem wir schon sprachen, ist es, das den schein baren Stilbruch, das die Verwendung des Flechtbandes (statt des Mäanders dort) erklärt. Lehrreich und für die Datierungsfrage nicht unwich tig ist, was wir daraus erschließen dürfen. Als „hier atisch" gilt stets das Strenge und Althergebrachte; so findet das Jüngere, Moderne, ja Revolutionäre meist eher im Schiff Platz. Das heißt für Naturns, daß man das Graphisch-Expressiv-Flächengebundene der Ost wandengel (den insularen Nachklang) als das Tradi tionelle, die (neuerliche Aufnahme einer spätantiken Komponente (Räumlichkeit, kompaktere Farbigkeit u. a.) als das Neue, als den „Versuch" empfand. Nur wenig später ist es anders. Planmäßig werden die spätantiken Vorbilder nachgebildet und gerade an der Ostwand und über dem Altar. Was man in Rom, Ravenna oder Mailand sah, wird als dem Hei ligsten gemäß empfunden. Die karolingische Kunst ist Ergebnis einer Schulung und in vielem gelenkt vom Kreis der Gebildeten. Sie wählt darum ihre Vorbilder in Zentren der Kunst. Ganz anders das, was uns in Naturns entgegen tritt. Wenn hier von spätantiken Erinnerungen gespro chen wird, so meint man jene provinziolrömische breite Schicht, deren Erzeugnisse noch allenthalben, selbst in Reichweite der Bergtäler irgendwo vor Augen gestanden haben mögen. Mit Recht hat Schrade die Malereien der Prokuluskirche aus der Unmittelbarkeit von Kinderzeichnungen zu erläutern versucht'). Es ist hier die „Sicherheit des Selbstverständlichen" mit der intensiven „Fähigkeit, die unfaßlichsten Wunder zu glauben" verbunden. In dieser Unmittelbarkeit des Willens zeigt sich der innerste Kern der Persönlichkeit des Malers. Damit aber wird man die Einordnung und Zeitstel lung der Wandgemälde vielleicht doch etwas näher umreißen können. Den Dreiklang der Mischung aus Insularem als dem Ausdruck der Hieratik, aus dem germanisch-unbändigen Willen, alles an sich heran zureißen und bewältigen zu können und aus dem Neuaufgreifen provinzialrömischer Erinnerungen wird man am ehesten in die Zeit nach den Romanenprie stern und vor die schulende (und damit uniformie rende) karolingische Renaissance, also in die Zeit um 770 bis 780 setzen wollen. Dieser Dreiklang aber ist zugleich auch das ent scheidende Kriterium dessen, was wir Frühmittelalter Wohl 50 Forscher oder mehr haben in eigenen Berichten zu den Problemen von Naturns Stellung genommen; kaum eine andere Dorfkirche dürfte ähnlich oft untersucht worden sein. Schon die beiden ersten Bearbeiter Josef Garber (Mitt. d. Zentr. Komm. 1915, S. 155, und Romanisdie Wandgemälde Tirols 1928, S. 37 ff.) und Giuseppe Gerola (Gli affreschi di Nafurno, Dedafo 1925, p. 415 ff.) kamen zu enigegengeseizten Ansichten über die Pro venienz; einzelne (noch 1953 Emmerich Schaffran, Schiernschriften 182) wollen die Wandgemälde ohne ausreichende Gründe viel zu früh gegen 700 oder gar noch vor 700 datieren; zuletzt sdruf Edmund Theil (Laurin-Kunstführer Nr. 1, 1959) einen geradezu vor bildlichen neuen Typus eines Wegweisers für die Besucher des Denkmals, der durch zahlreiche Defailbildchen in Briefmarkengröhe — den Blick schulend — auf alle für die „Handschrift' des Malers charakteristisdien Eigenheiten aufmerksam macht; dazu gute Lüeraturübersicht. Entscheidend ist, dafj Naturns auch in der Weltkunstgeschichfe (Andre Grabar-Carl Nordenfolk, Das frühe Mittel alter, ed. Skira 1957; Hubert Schrade, Vor- und Frühromanische Malerei, Köln 1958; unter allen die vielleicht treffendste Charak teristik) breiten Raum behauptet. ^) Vgl. die Ausführungen bei Hinkmar von Reims in Migne, Patr. Lat. 126, Sp. 584 f., dazu auch Schrade a. a. O., S. 14. 2) Brauchbare Hinweise unter dem Schlagwort „Widder' im Handw. d. Deutschen Aberglaubens IX, Sp. 554—559, und bei Leopold Schmidt in: österr. Milch- und Fettwirtschaft II (1947), S. 275—77; zum Virgener Widder außerdem A. Zlngerle, Tirolensla, S. 123; Osttiroler Heimatblätter II (1925), S. 71 ff.; zu den Grabungen in Lavant Franz Milfner Schiernschriften 98, S. 218. 4) Schrade a, a. O., S. 14 und S. 118.

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I 4 Barockes Vofivbild mif der Darstellung des Widderkreuzganges der Virgener nach Lavant in Osttirol 5 und 6 Die Rinderherde und der Herdenhund von der Westwand in Naturns

Herbert Schade SJ, München Zur Bildtheorie im frühen Mittelalter^) ' / u den Fundamenten, auf denen die Kunstgeschichte als Wissenschaft aufruht, gehören die Begriffe „Kunst", „Schönheit" und „Bild". Diese Begriffe werden unaufhörlich und selbstverständlich gebraucht, als verstünde jeder von uns und jede Epoche der Geschichte unter diesen Worten dasselbe. Sobald man aber nachfragt, welche Wirklichkeit sich hinter diesen Begriffen verbirgt, sei es in den zeitlich zu unterscheidenden Epochen, sei es bei den ver schiedenen Theoretikern und Philosophen, so werden allenthalben Widersprüche sichtbar. Zur Kunst gehört nach Aristoteles ebenso die Kochkunst wie die Archi tektur^). Für schön galt Piaton besonders die Tugend, auf keinen Fall aber das abzulehnende Schattenspiel der Maler^). So sind die Begriffe und ihre Inhalte bis zur Gegenwart einem beständigen Wechsel unter worfen. „Imago" kann Haftmann die „Sitzende Frau" der Sammlung J. Thrall-Soby (1927) — ein Bild von Picosso — nennen'). Im Zusammenhang mit der Stilbev/egung spricht der bekannte Interpret der mo dernen Malerei sogar von einer „Art Ikone des mathe matischen und technischen Geistes"'^). Die Bedeutung der Worte bei Haftmann ist klar. Die alten Begriffe werden nur der Klangfarbe nach gebraucht als Worte, die etwas Fremdes, Hoheitsvolles und Magisches be zeichnen. Mit anderen Worten: die antiken Begriffe und die Wirklichkeiten, die hinter ihnen stehen, wer den durch Empfindungsqualitäten und Sentimente er setzt, und erhalten damit ästhetischen Charakter"). Die Tatsache, daß einer Reihe von Begriffen nur mehr Empfindungsqualitäten entsprechen — die Ästhetisierung unserer geistigen Welt — ist nicht auf die Kunstwissenschaft beschränkt. Jedoch soll hier auf dieses moderne Problem nicht eingegangen werden. Vielmehr will der Beitrag zeigen, wie das frühe Mit telalter seine Auffassung vom Bild grundlegte. Die Beobachtungen sind vielschichtig: Zunächst ist die Tatsache bemerkenswert, daß am Beginn des Mittelalters ein erregender geistiger und politischer Kampf um dos Wesen des Bildes geführt wird, der seinen Höhepunkt in dem hundert Jahre dauernden Bilderstreit besitzt. Im Gegensatz zur modernen Kunst wissenschaft, die noch am Beginn unseres Jahrhunderts positivistische oder formale Fragen nach dem Kunst werk in den Vordergrund stellte, trat im Mittelalter die Betrachtung des Kunstwerkes als Kunstwerk — die formalästhetische Seite — zurück, während philo sophische und theologische Probleme im Mittelpunkt der Diskussion standen. Weiterhin ist auffällig, daß die Diskussion in Byzanz unter anderen Vorzeichen geführt wird als im Westen. Beachtenswert scheint, daß im Westen schon unter den Karolingern ein Um schwung in der Beurteilung der Bilderfrage eintritt. Ferner ist erstaunlich, daß in der ottonischen Zeit, die doch dem Kunsthistoriker als Höhepunkt künstlerischen Schaffens gilt, eine Diskussion um das Bild so gut wie unbekannt ist, während im 12. Jahrhundert mit Bernhard von Clairvaux der Kampf um das Bild scheinbar unvermittelt und mit großer Schärfe von neuem anhebt. So wirft die Frage nach dem Wesen des Bildes im frühen Mittelalter eine Reihe von Problemen auf, die hier nur kurz umrissen werden können. I. Der Bildbegriff der Byzantiner Der byzantinische Bilderstreit entsteht in der histo rischen Kontinuität und im selben Raum wie die Kämpfe um das Gottesbild im alten Orient und in Griechenland"). Dieser Umstand unterscheidet den byzantinischen Bilderstreit vor ollem von den Aus einandersetzungen des Westens unter den Karolingern. Es sind nicht nur das Bilderverbot der Israeliten und die Bildlosigkeit der islamitischen Kunst, die Byzanz anregten. Die griechische Philosophie hatte seit der Zeit der Vorsokratiker nicht aufgehört, die Frage nach dem Wesen der Götterbilder zu stellen und ihre größ ten Vertreter haben sich von Piaton bis Plotin bemüht, diese Fragen zu beantworten. Die Darstellung dieser lebendigen Überlieferung der Bildtheorien der antiken Philosophie und christ lichen Patristik findet sich u. a. besonders bei Jo hannes Damascenus (675—749)®). „Bilder sind die Ideen der Dinge; Ebenbild Gottes ist der Mensch; Bild des Denkens ist das Wort; Bild ist Erinnerung an Vergangenes und Vorausdarstellung der Zukunft. Alles ist ein Bild und das Bild ist alles"®). Mit diesen wenigen Worten faßt Harnack treffend die Lehre der Bilderverehrer zusammen. Und die Fassung Harnacks zeigt, wie sehr alle Fragen geistiger Art sich in der Lehre vom Bild treffen. Ohne Philosophie und Theologie, die Sinne und den Intellekt, Ge schichtsbetrachtung und systematisches Denken von einander zu trennen, bringt die Bilderlehre eine geistige Grundlegung der menschlichen Existenz. Formalästhetischer Tiefsinn und Konsum des Senti mentalen sind der Bildertheorie der Alten in gleicher Weise fremd. Die seinsmäßigen Zusammenhänge werden dargelegt. Damit sind auch die wesentlichen Unterschiede zur Moderne aufgezeigt; denn die Ge-

genwart besitzt keine grundlegende und allgemeine Bilderlehre. Sie fehlt der Malerei des 20. Jahrhun derts genau so wie sie in der christlicheni Theologie der Gegenwart vernachlässigt wird. Darauf hat erst neulich Hans Urs von Balthasar in einem Beitrag über „Offenbarung und Schönheit" hingewiesen: „Jede Wissenschaft ist dann ,exakt', wenn ihre Methode sich ihrem Gegenstand exakt anpaßt. Eine Wissenschaft, deren Methode sich grundsätzlich nur auf einen durch gängigen Teilaspekt ihres ganzen Gegenstandes be ziehen kann, ist nur mit Vorbehalt exakt zu nennen. Einen rein-menschlichen, rein-historischen und rein philologischen, vom Göttlichen (und damit vom Dog matischen) isolierbaren Aspekt gibt es dem Wort Gottes gegenüber nicht. Hier also liegt die Bedenk lichkeit in der Abstandnohme von der Spekulation oder Kontemplation, d. h. von jener anschauenden Haltung, die kraft einer adäquaten Einstellung die tiefen und tragenden Grundartikulationen des Ge genstandes ins geistige Auge bekommt, was bei einem heiligen Gegenstand mit einer distanzierenden Ver sachlichung gewiß nicht gelingt. Wo ist da das patristisch-mittelalterliche Frui in der heutigen Theologie hingeraten?"") Es geht jedoch bei dieser „anschauen den Haltung" der Alten nicht nur um ein „Frui". Das Wesen des Bildes wird vor einem metaphysischen Weltgebäude entfaltet. Vereinfachend könnte man seine Architektur als zweistöckig bezeichnen: Unter dem Firmament vollzieht sich die Geschichte der Menschen, über den Sternen — unwandelbar und ewig — leben die Götter. Das Höhlengleichnis Piatons, die Begriffe Form und Materie, Natur und Gnade und die Zweinaturenlehre scheinen nicht unabhängig von dieser alten Weltvorstellung verständlich. In der Aus einandersetzung um die menschliche und göttliche Natur und Person Christi findet der Streit Gestalt und Format. Auch in der Bilderlehre unterschied man zwei Be reiche: Die schattenhafte Welt der Abbilder und die geistige Wirklichkeit der Urbilder, die hinter den „Schatten" steht. Um diese Wirklichkeit zu durchdrin gen, fordert unter anderen Johannes Damascenus drei Elemente für das Bild: Ähnlichkeit, Ursprungs beziehung und offenbarenden oder hindeutenden Charakter. Der Begriff der Ähnlichkeit (homoioma) wird von den Alten am Siegel verdeutlicht. Im Stempel und Siegel sehen wir nämlich das gleiche Bild, einmal negativ als Form, einmal positiv als Relief. Dabei kann man die Substanz und die Form voneinander unterscheiden. Die Ähnlichkeit besteht in der Gleich förmigkeit der äußeren Form, die Verschiedenheit in der Substanz. Eine andere Substanz besitzt der Stem pel, eine andere das Siegel oder die Münze. Deshalb sagt Chrysostomus, die Ähnlichkeit besteht in den Grundlinien der Charakterzüge"). Theodor der Studite unterscheidet zwischen physis und s-chesis, Natur und Schatten, innerem Wesen und äußerer Erscheinung"). Die moderne Frage der Form im Sinne einer künst lerischen Qualität wird kaum behandelt. Wir können also das Erz des Stempels von dem Wachs des Siegels durchaus unterscheiden. Abbild und Urbild aber lassen sich nicht auseinanderreißen. Zwischen beiden besteht eine Ursprungsbezie hung (ektypoma). Sie verhalten sich zueinander wie causa und effectus. Das Urbild ist also im Abbild gegenwärtig. Erscheinung und Wesen sind nicht grund sätzlich voneinander zu trennen. Das Auge erfaßt der» Stoff und die Gestalt und rührt damit die geistige Form an. „. . . das Bild ist an sich, für das körperliche Auge nur das, was am Abbilde dem Gesichtssinn unterliegt, und nichts mehr. Wir aber dringen mit den Augen des Geistes durch das stoffliche Bild hindurch und finden dos Vorbild mit all seinen Eigenschaften. Das Vorbild steht direkt hinter dem Bild oder im Bilde selbst, unterliegt ober nicht dem Gesichtssinn, sondern wird nur mit dem Auge des Geistes geschaut. Somit ist der Abgebildete im Bilde selbst zugegen, ober nur auf eine geistige Weise und gemäß seiner Wirkungsfähigkeiten, nicht substanziell""). In der Be trachtung haben wir teil an ihm (met-echein). Auf Grund dieser sehr bedeutenden und tiefen Bildspekulation wird mit einem Mole auch der Be griff und Brauch der Bildanbetung verständlich, der uns Modernen so schwer vollziehbar scheint. Stellt ein Bild Christus dar, dann wird dem Bild wegen seiner Ursprungsbeziehung göttliche Verehrung zuteil. Damit sind wir bei dem dritten und letzten Element des Bil des, nämlich bei seinem offenbarenden oder hindeutenden Charakter. Es gibt nach Auffas sung der Alten ein Mysterium, ein Geheimnis hinter dem Bild und hinter der Welt. Dieses Geheimnis ist verborgen. In der Schöpfung und in Christus zeigt sich uns etwas von dem unzugänglichen und verbor genen Geheimnis. Dos Bild ober weist — wie im Spiegel und Gleichnis — auf dieses Geheimnis hin. Es offenbart es. Es wird unmittelbar deutlich, daß eine solche Theorie auf anderen Gründen baut als die Ästhetik des 18. oder 19. Jahrhunderts mit ihren fragwürdigen Spe kulationen um ein „Kunstschönes". Ihren eigentlichen Ursprung findet die Bildtheorie der Patristik in der Christologie. Christus — das ungeschaffene Bild des Vaters — wird zunächst betrachtet. Danach unter scheidet man sechs Arien von Bildern: 1. Das natür liche Bild, 2. die ewigen Ideen in Gott als Bilder der von Gott zu schaffenden Dinge, 3. der Mensch als Ebenbild Gottes, 4. die irdischen Geschöpfe und die Schrift als offenbarende Bilder der unsichtbaren Dinge, 5. die Vorbilder des Alten Testaments als Bil der der zukünftigen Wahrheiten und 6. die Erinne rungszeichen als Bilder der vergangenen Taten. Unter die 4. und 6. Art fallen die eigentlichen Bilder und künstlichen Darstellungen").

II. Die Bilderlehre Karls des Großen Es gibt an sich keine eigene Bilderlehre des Westens. Die Bilderlehre des hl. Johannes Damascenus ist katholisch und von Papst und Konzil anerkannt. Aber gerade das Konzil von Nicaea II im Jahre 787 bzw. seine Akten haben. Karl den Großen und seine Theologen in Bewegung gebracht und zu einem eigenen Werk veranlaßt. Die Libri Carolini (=LC) — die vier Bücher Karls des Großen zum Bilderstreit — bemühen sich, zwischen den Bilderstürmern und Bil derverehrern eine mittlere Linie zu konstruieren, ohne Rücksicht auf die päpstliche Entscheidung und die Ein wände Hadrians. Dabei zeigt sich nicht nur „das Selbst- und Kraftgefühl der fränkischen Kirche, welches mit jugendlicher Unverschämtheit hervorbricht, die ältere und weisere Schwester (Byzanz) des Irrtums überführt . . sondern auch die Diskontinuität des karolingischen Westens, dem die orientalische und griechische Problematik nicht geläufig war. Die Ver schiebung der spekulativen Akzente wird vor ollem in der Trennung des theologischen Bildbegriffes vom Bild im Sinne der bildenden Kunst deutlich. Wenn die Theologen Karls des Großen gegen die Verehrung der Bilder polemisieren, meinen sie natürlich nicht den Logos als Bild des Vaters, sondern das gemalte Bild. Damit scheint die Kunst als Profanbereich gedanklich in den Vordergrund gerückt und jene Unterscheidung zwischen sakraler und profaner Kunst, die auch in der Gegenwart nur mit Unbehagen besprochen wird, voll zogen. Eine innertrinitarische Spekulation als Grund lage für die Bildtheorie der Kunstwerke lehnt man ab und kommt deshalb bei der Besprechung der drei Wesenselemente des Bildes zu negativen Feststellun gen: Die Bilder sind ungeistig, ohne Ursprungsbezie hung und ohne Geheimnis^®). Quid est imago Dei? Diese Frage beantworten die LC mit dem hl. Augustinus: Das Bild Gottes sei etwas Unsichtbares, etwas Geistiges. Also könne es nicht körperlich sein, nicht mit materiellen Farben gemalt werden. Bild Gottes sei Christus allein. Der Mensch sei zwar nach dem Bilde Gottes und ihm ähnlich ge schaffen, aber das, was Gott und den Menschen gemeinsam ist, sei der Geist. Was aber dem Menschen und dem Bilde gemeinsam ist, sei das Körperliche. Die Bilderverehrer seien deshalb Anbeter von Tafeln und Wänden. Die Frage nach der Ursprungsbeziehung beantwor ten die Theologen Karls ebenfalls negativ: Imaginis honor non in primam formam transit"). Sie meinten, dafür fehle jeder Beweis und erklärten, die Heiligen hätten nie geduldet, daß man sie anbete, geschweige denn ihre Bilder. Dazu müßte man die Bilder nach Alter, Schönheit, Qualität und Ähnlichkeit unterschei den. Danach besäßen sie sehr verschiedenen Wert und könnten deshalb nicht in gleicher Weise verehrt werden. Die Beziehung zur ersten und ursprünglichen Form wird nach den LC durch die Bildunterschrift gewähr leistet. Da malt zum Beispiel ein Künstler zwei Tafeln mit Frauenbildnissen. Unter die eine Tafel schreibt er Maria, dann wird das Bild verehrt, unter die andere schreibt er Venus, dann wird das Bild verdammt. Warum kann eine schöne Frau, die ein Kind auf den Armen trägt, nicht auch Rebecca mit Jakob sein oder Venus mit Äneas oder Alkmene mit Herkules"). Damit ist auch die dritte Frage beantwortet. Die Bilder sind ohne Geheimnisse. Sie erzählen nur von wirklichen (d. h. geschichtlichen) Vorgängen oder von erdichteten Dingen, doch beide — Geschichte und Dichtung — sind ohne Mysterium. Der Spruchort über der Bundeslade strahlte und leuchtete von Geheim nissen, der brennende Dornbusch bildete ein Myste rium, aber von gemalten Bildern, die ein Geheimnis offenbaren, berichtet die Heilige Schrift nicht. (Dabei wird beispielsweise die Plastik — die eherne Schlange — ausgeklammert und die Diskussion auf die Malerei allein eingeschränkt.) Auch wenn es wunderkräftige Bilder geben sollte, — was die LC bezweifeln — wäre von daher keine adoratio zu begründen. Die Eigenart der Spekulation der LC, die durchaus mit modernen Gedankengängen zu diesen Fragen nicht verwechselt werden will, wird sofort deutlich, wenn man bedenkt, daß die karolingischen Theologen das, was sie den gemalten Bildern absprechen, den Reliquien, dem salomonischen Tempel, der ehernen Schlange und vor allem dem Kreuz durchaus zuerkennen, nämlich die Sakralität. Die Aufgabe der Malerei selbst beschränkt man auf Schmuck und Vergegenwärtigung von histori schen Ereignissen („ad ornamentum vel ad res gestas monstrandas"). Iii. Die Bildtheorien unter den Nachfolgern Karls des Großen In der Nachfolge der LC entstehen im 9. Jahrhun dert eine Reihe von Büchern und Dokumenten zur Bilderfrage, die jedoch sehr verschiedenen Charakter besitzen. Erwähnenswert ist zunächst die Synode von Frank furt vom Jahre 794. Sie faßt noch einmal die Ansichten der LC gegen das 2. Konzil von Nicaea zusammen. Die Synode wiederholt dabei auch die falschen Vor aussetzungen der LC, wonach man in Nicaea gefor dert haben soll, die Bilder der Heiligen seien in gleicher Weise anzubeten wie die göttliche Dreifaltig keit. Diese These wird von der Synode zu Frankfurt ausdrücklich verworfen"). Weiterhin kann man das Buch des aus Spanien stammenden Bischofs Agobard von Lyon (769—840) über die Anbetung von Heiligenbildern von der Pro blematik der LC her verstehen. Das Werk stellt die Anbetung Gottes in den Mittelpunkt und lehnt scharf

jede Anbetung von Heiligenbildern ab. Das Biiderhaben jedoch verwirft Agobard nicht^"). Eine jähe Wende erfährt die Diskussion um das Bild durch den Bischof Claudius von Turin (gestorben um 827). Auch Claudius kam wie Agobard aus Spanien' und soll Schüler des Adoptianisten Felix von Urgel gewesen sein. Seine Theorien und namentlich seine Praxis unter scheiden sich jedoch wesentlich von der Agobards. Claudius ist ein Bilderstürmer im eigentlichen Sinne des Wortes. Als Bischof läßt er aus seinen Kirchen nicht nur die Bilder der Heiligen, sondern auch die Kreuze entfernen. Darüber hinaus wendet er sich gegen die Reliquienverehrung und die Rom-Wall fahrten und greift selbst den Papst (Paschalis I.) scharf an"^). Dieser Skandal läßt den Streit um das Bild neu aufflammen. Im Auftrag des Kaisers Ludwig des Frommen schreibt der Ire Dungal seine „Responsa contra perversas Claudii Taurinensis Episcopi sententias"^-'). Seine Argumente nimmt Dungal aus der Überlieferung und scheut sich nicht, den Kaiser um seine Hilfe zu bitten. In der Beweisführung tritt ein Wandel ein. Während die LC die Cherubim der Bundeslade und die eherne Schlange durchaus von jeder Bilderverehrung unterscheiden und damit einen Wesensunterschied zwischen Plastik und Malerei machen, sind für Dungal die Bräuche des Alten Bun des ein Beweis für die Erlaubtheit des Besitzes von Bildern auch im Neuen Bund. In ähnlicher Weise wie der Recluse Dungal erhält auch der Bischof Jonas von Orleans (vor 780—843} von Ludwig dem Frommen Auftrag, gegen Claudius zu schreiben. Jonas vollendet seine drei Bücher über den Bilderkult aber erst im Jahre 840 und widmet sie Karl dem Kahlen. Seine Be weisführung ist ebenso entschieden, jedoch weitläu figer und differenzierter als die Dungais. Grundlage der Argumentation bildet auch für den Bischof von Orleans die Tradition. Jedoch finden sich gelegentlich Hinweise auf allgemein Menschliches. Es geht bei der Bilder- und Reliquienverehrung nicht allein um die „phantastica imaginatio", sondern über die „species" hinaus verehren wir beispielsweise die Apostel ihrer Gerechtigkeit wegen^'). Es ist sehr auffällig, daß die Akten der Synode von Paris aus dem Jahre 825 die Affäre des Claudius mit keiner Silbe erwähnen, sondern im bescheidenen Rah men einer Sammlung von Väterzitaten die Position der LC beibehalten. Anlaß für diese Art des Vor gehens war wohl ein Brief aus Byzanz. Der Kaiser Michael und Theophil — beide mehr oder weniger konoklasten — wenden sich an Ludwig und berichten unter anderem von einer übertriebenen Bilderanbetung in fhrem Reich, die ihnen sehr zu schaffen mache. Dem östlichen Nachbarn gegenüber verschweigt man das Vorgehen eines Claudius von Turin, das sich ja doch außerhalb Frankens abspielte und wohl eine Aus nahme bildete, und argumentiert gegen Bilderzerstörer und Bilderanbeter in Byzanz ähnlich wie unter Karl dem Grooen. Man nimmt dabei das Friedensmotiv des byzantinischen Briefes auf und bemüht sich, die mitt lere Linie und vermittelnde Haltung besonders zu unterstreichen^''). Später bringt auch Walafried Strabo (808—849) in seinem „Libellus de exordiis et incrementis quarundam in rebus ecciesiasticis rerum" im 8. Abschnitt über die Bilder „den gemäßigten fränkischen Standpunkt" (Manitius) zur Geltung'"^). Der griechische Bilderstreit und die Verirrungen des Claudius werden erwähnt. Jedoch geschieht alles ohne Affekt. Walafried nennt die Bilder eine Zierde der Kirche und weist darauf hin, daß das christliche Volk soweit gebildet sei, daß es selbst die Heiligen nicht in sich, sondern nur als Fürbitter anrufe^®). Damit war die Diskussion um das Bild in der Karo lingerzeit abgeschlossen. Ein Werk des Hinkmar von Reims zur Bilderfrage scheint verloren. IV. Die Bildtheorie der oHonischen Zeit In der ottonischen Zeit — wenn man vereinfachend die Kunst des 10. und 11. Jahrhunderts so nennen will — finden sich keine Streitschriften mehr über das Wesen der Bilder und die Sinndeutung der Kunst. Es überwiegt die Praxis. Wie der Mönch Rodulfus Glaber von Cluny schreibt, zog die Welt damals allenthalben „das weiße Gewand der Kirchen" an"). Man baute. Und im Gefolge der Architektur gewannen auch Ma lerei und Plastik neue Bedeutung. In der Theorie drückt sich die zweifelsfreie Anerkennung der Kunst in den Biographien aus, von denen man einige ebensogut als Heiligenleben wie als Künstlerviten bezeichnen kann: So schrieb Ekkehard IV. in seinen „Casus s. Galli" (wohl am Anfang des 11. Jahrhunderts) das legendäre Leben des karolingischeni Künstlermönches Tuotilo. In diesem Leben stehen nicht nur die Schmiedearbeiten im Vordergrund wie in dem für die Völkerwanderung so bedeutsamen Leben des hl. Eligius von Audoenus, sondern auch die Malerei und Dichtung finden Beach tung. Dazu berichtet die fromme Legende, daß Maria selbst dem Tuotilo beim Malen beigestanden sei. Un bemerkte Beobachter hielten die Madonna, die der Künstler nicht sah, für die Schwester des Malers'®). Das uralte Motiv des Künstlers und der Muse erhielt in dieser Legende eine christliche Fassung und die Kunst eine außerordentliche Bestätigung. Seltsam mutet ferner die Gestalt des Malers Jo hannes an, die in der Biographie Balderichs von Lüt tich (wohl 11. Jahrhundert) erscheint"). Der Künstler soll von Otto III. aus Italien mitgenommen worden sein („A patriae nido rapuit me tercius Otto") und galt als „venerabilis". Für seine Malereien in Aachen wollte ihm der Kaiser sogar einen Bischofssitz geben.

Dann aber empfahl ihn Otto III. dem Bischof Balderich von Lüttich, in dessen Dienst Johannes bis zu seinem Tode verblieb. Die überragendste Gestalt unter diesen geistlichen Künstlern ist jedoch Bernward von Hildesheim. Bischof, Kriegsmann, Architekt, Bildhauer, Maler, Wissenschaft ler und Heiliger der Kirche zugleich, — das will uns Modernen fast zuviel für ein Menschenleben scheinen. Aber diese Einheit der geistigen Welt charakterisiert das frühe Mittelalter. „Nicht nur in unserm Münster, sondern an verschiedenen Orten richtete er Schreib stuben ein, so daß er eine reichhaltige Büchersamm lung sowohl göttlicher als philosophischer Schriften zusammenbrachte. Die Malerei aber und die Skulptur und die Kunst in Metallen zu arbeiten und edle Steine zu fassen, und alles, was er nur Feines in dergleichen Künsten ausdenken konnte, ließ er niemals vernach lässigen, so daß er auch an überseeischen und schotti schen Gefäßen, die der königlichen Majestät als be sondere Gabe dargebracht wurden, was er selten und ausgezeichnet fand, zu nutzen wußte." So berichtet sein Biograph Thangmar®"). In der „Schedula diversarium artium" des Theophilus Presbyter (um 1100) besitzen wir ferner „eine ausführ liche Enzyklopädie der frühmittelalterlichen Kunst fertigkeit"'^). Die Einleitung zu diesem Werk weist darauf hin, daß der Mensch schon durch die Erschaf fung an der Weisheit Gottes teil hat und daß selbst durch die Erbsünde dieses „erbliche Recht" an aller Kunst und Wissenschaft nicht erlosch. Ja die Kunst wird in nahezu moderner Weise als Spiel aufgefaßt: „Theophilus, der niedere Priester, Knecht der Knechte Gottes, des Namens und Amts eines Mönches nicht würdig, wünscht allen, welche des Geistes Müßiggang und Schwärmerei des Sinnes durch eine nutzbrin gende Beschäftigung ihrer Hände, durch erfreuliche Betrachtung des Neuen ablenken und unterdrücken wollen, den Empfang des himmlischen Lohnes""). Neben dieser allgemein bekannten Literatur, die mehr die praktische Anerkennung der Kunst betrifft, finden sich gelegentlich auch theoretische Äußerungen. So in den Akten der Synode von Arros aus dem Jahre 1025"). Es handelt sich um „einige aus Italien gekommene Häretiker (Hefele), die man in Arras ähn lich wie die Verurteilten der Synode von Orleans (1022) neue Monichäer nannte"). Die Abfassung der Akten der Synode von Arras schreibt man dem Bischof Gerhard I. von Cambroi zu, der in der von Gerbert von Reims (des späteren Papstes Silvester II.) errich teten Schule erzogen worden war"). In den Akten findet sich ein eigener Abschnitt über das Kreuzbild. Gerhard geht in gewohnter Weise vom Alten Testa ment und vom Vorbild der ehernen Schlange aus. Der alte Topos von der Malerei als Hilfe für die Unge bildeten wird von ihm ebenfalls benutzt. Weiterhin bringt das Kapitel eine Gleichsetzung von Plastik und Malerei („truncus ligneus" — „picturae lineamenta"). Weder das Holz noch das Menschenwerk („opus humanum") seien anzubeten. Durch das Bild werde vielmehr der Geist des Menschen angeregt, der Geist, in den Christi Leiden wie in das Buch des Herzens eingeschrieben wird, damit jeder in sich selbst wieder erkenne, was er seinem Erlöser schulde. Ähnlich sol len wir bei dem Anblick der Heiligenbilder innerlich angeregt werden, das Wirken der göttlichen Gnade zu betrachten und aus dem Tun einen Nutzen für unseren Lebenswandel zu ziehen"). Neue Motive scheinen in dieser Formulierung das subjektive Element („mens interior hominis") — „in mebrana cordis" — „in se unusquisque recognoscat") und das Wirken der Gnade („gratiae divinae operatio"). Dazu bringen die Hinweise auf das Wirken der Gnade, die Akte der Heiligen und den eigenen Lebenswandel eine besondere Betonung des aktiven Elementes mit sich. Von einem „Prototypus" und einer „forma prima" ist hier nicht die Rede. Vielleicht deutet sich in solchen Varianten der früh mittelalterlichen Motivierung der Bildverehrung, in denen das Subjektive und Aktive anklingen, die Eigen art des Westens und der Wandel der Frömmigkeit im Abendland mit an. Wenn also — wie Praxis und Theorie es zeigen — die Werte des Bildes und damit die Kunst sich einer ungestörten Entfaltung erfreuen konnte, so brachen doch gerade damals die Probleme des Bilderstreites an einer für die Theologie viel bedeutsameren Stelle wieder auf, nämlich in der Frage noch dem Wesen der Eucharistie. Nach der Vorstellung eines Clemens von Alexandrien und Origines sind sakramentales Zeichen und sakramentale Heiligung oder vielmehr Symbol und Christus beziehungsweise Heiliger Geist auf das innigste miteinander verbunden. Die Verbundenheit ist von ähnlicher Innigkeit wie jene zwischen dem Logos und der von ihm angenommenen menschlichen Natur. Man übersah in der alten Kirche die Unterschiede nicht, betonte aber die Ähnlichkeit. „Die Ostkirche hielt an dieser Einheit fest bis zum Bilderstreit. Da wurde, um den Bilderkult zu retten, der Eucharistie, welche die Bilderstürmer als einziges und wahres ,Bild' Christi gelten lassen wollten, die volle Wirklichkeit der Gegenwart Christi vorbehalten. Der Ikone sollte eine niedrigere Stufe wirklicher Gegenwart des Abgebildeten zugeschrieben werden, eben die bild hafte oder symbolische. Dadurch wurde das Symbol oder das Bild der Erfüllung durch die abgebildete Wirklichkeit entleert. Es kam zu einer Auflockerung der Einheit zwischen dem sichtbaren Zeichen und der in ihm dargestellten Wirklichkeit. Zur völligen Trennung kam es im Abendland, als Theologen wie Ratramnus und Berengar den im Bilder streit entstandenen, entwerteten Symbolbegriff auf die Eucharistie anwandten")." Die Schriften von Ratramnus von Corbie (Mitte 9. Jh.) sind unbekannt geblieben"). Dagegen haben

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