Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 3

Moderne Kunst Ernst Barlach, Das dichterische Werk. 1. Band; Die Dramen. Piper Verlag, München, 1956. DM 28.—. Der erste Band der Gesamtausgabe der Barlachschen Dichtungen ist den Dramen vorbehalten, jenen Stücken wie „Der tote Tag", „Die Sündflut", „Die echten Sede munds" usw., die heute nicht mehr auf den Spielplänen der Theater zu finden sind. Sie aber waren es, die einst unter der Regie von Jessner und Fehling (etwa mit Hein rich George als „blauer Boll") die sensationellen Theater ereignisse im Berlin der Zwanzigerjahre darstellten. Es wäre an der Zeit, diese Dramen wiederzuentdecken, die auf Grund ihrer dichterischen Struktur der Bühne neue Wirkungsmöglichkeiten gewinnen und deren Sprache in die Tiefen der menschlichen Existenz hinabtaucht, mit einer visionären Kraft, deren sich der Dichter erst im Alter von dreißig Jahren bewußt wurde. Diese von einer echten Vision getragene Sprache ist es, die Barlach von den expressionistischen Dramatikern — Hasenclever, Toller, Kaiser, Sternheim — unterscheidet. Der Expressionismus hatte ja wesentlich lyrisch-ekstatischen Charakter: mit neuem Pathos, aggressiv, ausbrechend in den Schrei der geknechteten Kreatur, ging es voran, vor wärtsstürmend vom Ich zum Wir, vom Nächsten zur Menschheit, von der Erde zum All. Menschheitsverbrüde rung stand auf den Fahnen, die der neuen Zeit voran getragen wurden, und dem Begegnenden — ob Freund oder Feind — wurde ein jubelndes „Wir sind" zuge rufen ... — Das typisch expressionistische Pathos aber ist bei Barlach nicht zu finden; er wäre somit ein großer Unzeitgemäßer, der mehr tiefinnerlich schaut als ekstatisch schreit, der mehr klagt als anklagt, der auf dem Wege zu Gott ist, anstatt sich in einem rauschhaften All-Gefühl zu verströmen. Mit Recht wird von dem Herausgeber Klaus Lazarowicz die Symbolhaftigkeit der Sprache bei Barlach in einem instruktiven Nachwort herausgestellt: Barlach „drängt über das Wort hinaus zu' dem, was jenseits der ,Wortmathematik' liegt, zum Symbol, zur symbolischen Ge bärde und zur symbolischen Situation." „Die Symbole offenbaren zwar das Eigentliche, um es aber sogleich wieder zu verbergen", sie führen uns also an die Grenze der Sprache, an das Unsagbare, nicht aber an die Grenze der dichterischen Kraft, derm gerade hier beweist sich diese am sichtbarsten. Als Symbolwerte zu sehen sind vor ollem das Motiv der Wegsuche, als Wesensbestand teil des homo religiosus, der Kreis-Weg als Sinnbild end loser, suchender Pilgerschaft. Ähnlich erscheint das Motiv des „Stromes" als Symbol des ständig werdenden Lebens, im Gegensatz zur Strenge und Umwandelbarkeit eines starren Seins. Hier steht der Barlachsche Mensch als homo viator mit einer überkonfessionellen Gewissensreligiosität ganz in der Nähe Kierkegaards. Auf der Überzeugung, daß „des Menschen Vater Gott ist", ruhen alle Barlach schen Dichtungen. Eng damit verbindet sich das Motiv des verlorenen Sohnes. Der eigentliche „Ort" von Barlachs Dramatik ist der Mensch selbst. „Die einzelnen SchauPlätze" haben nur die Funktion, seine jeweilige innere Situation zu veranschaulichen." Die Auffassung der Sprache bei Barlach hat Walter Muschg scharf zurückgewiesen, indem er die Beziehung zur Symbol-Definition Goethes als „fatalen Irrtum" be zeichnete. Er will sie statt dessen allegorisch verstanden wissen (womit er allerdings den echten Transzendentalwert des Wortes, den es als Symbol hat, in Abrede stellt) und den Sprachcharakter zwischen die beiden Pole „mystisch" einerseits und „abstrakt" andererseits einspan nen. Leider vermögen die Beispiele von Muschg nicht zu überzeugen, ebensowenig dos „Divan"-Zitat, welches als Gegenbeweis angeführt wird, denn hier ist die dichte rische „Ebene" doch eine andere! — Man sieht: es hat seine Schwierigkeiten mit Barlach, nicht nur auf dem Theater, sondern auch in der Literaturwissenschaft. Curt Grützmacher Ernst Borloch, Plastik. Fotos von Friedrich Hewicker, Einführung von Wolf Stubbe. Piper Verlag, München, 1959. DM 28.—. Der Bildhauer Ernst Barlach ist zweifellos bekannter als der Graphiker, geniale Illustrator und Dichiter. So er scheint dieser Bond als dankenswerte Beigabe zu der ebenfalls von Piper betreuten Gesamtausgabe der Dich tungen, zumal die Auswahl der Bilder sich beträchtlich von dem unterscheidet, was sonst in den üblichen Nach schlagewerken ständig wiederkehrt. Die zahlreichen Gips modelle und Hölzer aus dem Güstrower Nachlaß, die die „phantasieerregende Köstlichkeit einer Skizze" haben, lassen uns dem Werdeprozeß, der arbeitenden Hand des Künstlers noch näherkommen. Auf dem umfangreichen Bilderteil liegt denn auch der Hauptakzent des Buches. Diese Fotos von Friedrich Hewicker sind meisterhaft und sprechend, sie sind ein Dienst am Werke Barlachs, weil sie den tiefen Sinngehalt nicht „deuten", sondern einfach sichtbar machen wollen. (Dos negative Gegenstück sind Bildbände, meist über Barock und Rokoko, die durch den Aufwand an bravourösem fototechnischen Raffinement ein Mißverständnis nach dem anderen auslösen.) Hewicker stellt die Plastiken auf sichtbare Unterlagen, in spürbare Räume, vor Ziegelwände und nicht mehr in jene Atmosphärelosigkeit, die eher einen falschen Lyrismus der Einsamkeit erweckt und das Elementare — das eigentlich Wesentliche! — zu stark absorbiert. An Hand dieser Bilderauswahl entwickelt Wolf Stubbe eine kurze Formengeschichte, die bei den frühen jugend stiligen Arbeiten, einsetzt und sich stets — abseits aller Ismen und Moden — an der menschlichen Gestalt orien tiert. „Meine künstlerische Muttersprache ist nun einmal die menschliche Figur, oder das Milieu, der Gegenstand, durch das und in dem der Mensch lebt, leidet, sich freut, fühlt, denkt", so sagte Barlach selbst. Ihm blieb sogar der Akt fremd, was verständlicher wird, wenn man seine Gewandbehandlung genauer sieht, wo die Falten — selbst sparsam und reduziert — zur rhythmisch-dynamischen Ausdruckskomponente werden. — Zur künstlerischen Ent faltung kam es bei Barlach nach dem entscheidenden Rußland-Erlebnis vom Jahre 1906. (Man denkt unwillkür lich an Rilke; auch für ihn war seit dieser Reise die Zeit der „Larenopfer" vorbei.) Nun bekommen die Gestalten jenen geheimnisvoll-beziehungsreichen „Gleichnischarak ter". Sie erhalten eine Art von zwingender Realität, die den Bezug zu einer übergeordneten Sphäre spürbar macht, sie verkörpern „Botschaften und Ahnungen, deren Inhalte logisch-deskriptiv nicht darstellbar sind". Ihre Wirkung beruht formal auf der Einheitlichkeit des Kräftestromes, der sowohl Gebärde und Gesicht, Haltung und Gewand zentral ordnet und so jede Figur in ein zeitloses Dokument menschlicher Größe und Leidensfähigkeit verwandelt. C. G. Paul Vogt, Christian Rohlfs — Aquarelle und Zeichnungen. Verlag Aurel Bongers, Recklinghausen, 1958. DM 36.—. Einen Menschen zu treffen, der durch Jahrzehnte hin durch, unbekümmert um Beifall oder Mißfallen, seinen Weg geht, ist ebenso selten wie hinreißend. Wenn der Betreffende dazu noch ein Maler ist, dessen Individualität so stark ist, daß sie keine Auseinandersetzung mit der Moderne scheut, sich aber auch keinem „Ismus" unter wirft, so können Werke entstehen, die so sehr überraschen und erfreuen, wie die von Christian Rohlfs.

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