Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 3

Kunstgeschichte Wilhelm Schwemmer, Adam Kraft. Bildband, 112 Seiten mit 70 ganzseitigen Abbildungen, Lebens- und Werkbe schreibung. Verlag Hans Carl, Nürnberg, 1958. Ganzleinen DM 15.50. Das Werk ist zum 450. Todestag des Meisters erschienen und um so mehr zu begrüßen, als seit 43 Jahren keine Monographie über Kraft gearbeitet wurde. Es vermittelt unter Verwertung aller erreichbaren Quellen nach dem neuesten Stand der Forschung einen zusammenfassenden biographischen Überblick und eine klare und sachliche Be schreibung der Werke des bekannten Nürnberger Stein bildhauers. Mehr will der Verfasser nicht bieten, wie er in der Einleitung selbst bekennt. Kunsthistorischen Problemen geht er aus dem Wege. Dafür wird mit minutiöser Ge nauigkeit eine Zusammenfassung aller Archivalien ge boten. Es gelingt dem Verfasser, das Leben des Meisters blutvoll zu schildern. Wenn schon Wilhelm Rinder ihn als „eine beruhigte, lebenbejahende Männlichkeit" hinstellt und der Verfasser diese im Detail dem Leser näherbringt, so bricht doch immer wieder etwas Unberechenbares durch. Es mag dies wohl nicht so stark im Irrationalen des Künstlerischen selbst liegen. Die gärende Stimmung der Zeit ist die Ursache, da alles zur Reformation hindrängt und weltanschauliche Entschlüsse fordert, da die eindrin gende Renaissance einen streng hüttenverhafteten Meister zur Stellungnahme zwingt. Kraft gelingt der Sprung in die neue Stilrichtung aus der Tradition der spätgotischen Kunst ohne Bruch und ohne daß er die Überlieferung des mittelalterlichen Steinmetzen abwirft. Wie weit die konfes sionellen Kämpfe sich im Werke des Meisters niederschla gen, wäre gesondert zu untersuchen. Im Privatleben wirkt sich die Spannung in dem Konflikt des Bruders mit der bürgerlichen Ordnung, in einem Ehebruch Adams und sei ner immer größer werdenden überschuldung aus. Die Beschreibungen der Einzelwerke führen ungesagt, nur aus der schlichten Sprache der Schilderung heraus zu erahnen, von der Spätgotik her hinein in die „Deutsche Frühklassik". Der Rezensent gibt aber zu bedenken, daß in einer Künstlermonographie, auch wenn dies vom Ver fasser nicht angestrebt wurde, neben der Biographie ge rade der fachliche Werdegang des Meisters von größter Bedeutung ist. Das Leben als Künstler des Meisters von Kefermarkt ist weitgehend bekannt, während sein Privat leben sich hinter dem Notnamen im Dunkel versteckt. In so einer Monographie, in der die bisherige Literatur ver arbeitet wurde, würde man ein Eingehen auf diese Fragen in erster Linie erwarten. (Für die österreichische Forschung wäre es besonders interessant, die Frage aufzuwerfen, wie weit Kraft und Pilgram, die beiden Steinbildhauer der „Deutschen Frühklassik", ihre Anregung aus dem oberrhei nischen Gebiet erhalten. Die Gegenüberstellung des Wer kes und Lebens der so verschiedenartigen Meister könnte z. B. eine Seminararbeit von mannigfaltiger Buntheit er geben.) Schwemmer will sich an einen größeren Leserkreis wen den. In seiner sachlichen Sprache hätte er ober getrost das Wagnis unternehmen können, den kunsthistorischen Fragen nachzugehen, ohne unverständlich oder gar lang weilig zu werden. Die Ausstattung des Buches ist sauber und geschmack voll. Dagegen befriedigen die Bilder nur zum Teil; schlech teste Aufnahmen dürfen in so ein repräsentatives Werk nicht aufgenommen werden. Man betrachte die Abbil dung 43, die nur aus Retuschen besteht, oder unscharfe Aufnahmen o priori wie die Abbildungen 34 und 35. In den Teilabbildungen soll doch der Ausschnitt dem Betrachter das Werk näherbringen. Dagegen vermitteln erstmals die Details vom Sakramentshaus in der St.-Lorenz-Kirche die ganze Schönheit des Werkes. Trotz aller Mängel soll das Bestreben, ein lebensvolles Bild des Künstlers seiner Zeit und seiner Arbeit zu ver mitteln, mit Dank anerkannt werden. Dr. Benno Ulm Gertrude Berlhold, Cezanne und die alten Meister. Ver lag W. Kohlhammer, Stuttgart, 1958. DM 39.—. Von den über 1000 Handzeichnungen Cezannes sind über 300 noch anderen Kunstwerken entstanden, die als Ori ginale oder Kopien sich im Louvre befinden. Dieses „Cor pus" wird hier abgesondert und zum Ausgangspunkt der Betrachtung gemacht, wobei es der Verfasserin gelingt, von dem „Zeichner" Cezanne eine kontinuierliche Ver bindung zu dem Maler Cezanne herzustellen, der in den „Großen Badenden" die ,realisation' einer Form von anti kischer Größe anstrebte. — Zunächst wird das Vorurteil, Cezanne sei kein Zeichner gewesen, beseitigt. Dies war entstanden aus einer negativen Bestimmung der Cezanneschen Linie (durch Novotny), die in ihrer Umwertung iedoch in Wahrheit keinen Reduktionsprozeß, sondern einen Produktionsprozeß darstellt. Als Zeichner hatte Ce zanne beim Kopieren ganz bestimmte Formabsichten, die um so deutlicher werden, sobald man die gewählten Mo tive (Rubens, Fuget, der „Ecorche") nebeneinander sieht. Alle von ihm bevorzugten Figuren weisen übereinstimmend eine starke Körperbewegung auf, ja noch mehr; es sind Figuren, die die „Hauptrichtungen der Bildkomposition in ihrer Gestalt zusammenfassen und vereinigen" und außer dem „für das Bildganze Bedeutung haben und dessen Sinn in sich anschaulich sammeln". Solch ein einheitstiftendes Prinzip ist z. B. die „Viktoria" in Rubens' „Apotheose Hein rich IV." (Medici-Zyklus), deren vorbildliche Analyse para digmatisch die These der Verfasserin unterbaut. — Aus dem gleichen Grunde kopierte Cezanne den so sehr be wunderten Poussin nicht, denn bei Poussin gibt es keine Gestalten, die das Bild „verkörpern". Er bevorzugte statt dessen antike Statuen oder Gipsabgüsse, deren „form gesättigte Substanz" neben dem Prinzip des „architek tonischen Bous" bei Rubens und Fuget zur zweiten Grund lage seiner eigenen, im Grunde jedoch völlig unabhän gigen Kunst wurde. Weiterhin wird die Bedeutung der Kurve als hervor ragendes Gestaltungsmittel in den Zeichnungen Cezannes herausgearbeitet, und zwar nicht als Mittel im „barocken" Sinne, sondern zur Verfestigung seiner Form. (Das wird dargelegt an Analysen der Zeichnungen nach Girardon und dem Mars Borghese.) Von der Formverfestigung her stößt Cezanne also zu einer neuen Klassizität vor in einem wesentlichen Sinn. Im Gegensatz dazu steht etwa die äußerliche Ablösung der Malweise eines Velasquez oder Frans Hals, wie sie Manet so erfolgreich betrieben hotte. Die Konzentration aller Seinsbedeutung auf die Figur, ohne andere Bedeutungen in den sie umgebenden Raum zu verlagern, verleiht den Zeichnungen Cezannes ihre ge steigerte Aussagekraft. Sie wird — auf eine große Kom position übertragen — zur malerischen Keimzelle der „Ba denden", die ihn in den letzten Jahren beschäftgten. Das Werk enthält einen vollständigen Katalog sämt licher Cezanne-Zeichnungen, die in diesen Umkreis ge hören, sowie einen umfangreichen wissenschaftlichen Apparat, dessen Sorgfältigkeit die vieljährige Beschäf tigung mit diesen Problemen nur ahnen läßt. Das Buch ist nicht nur eine vorzügliche und ertragreiche Informations quelle, sondern stellt nach der Arbeit von Kurt Badt (ver gleiche Heft 2/1957) wohl den wesentlichsten Beitrag zur Cezanne-Forschung der neuesten Zeit dar. Curt Grützmacher

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