Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 3

lung eines in einem engen Käfig hockenden Gefangenen ermöglicht viele sinnvolle Auslegungen: angefangen vom Schicksal Ezra Pounds {das buchstäblich so verlief!) bis zu jenem Typus Mensch, der hinter den Gittern seiner eigenen Denkschemata sitzt . . . Habdanks strenge Form und Linie erinnert an Barlach,'seine Raum- und Flächenverschränkung an Beckmann, auch wenn das Pathos auf anderer Ebene liegt. Eindringlich werden biblische Themen bewältigt, deren Geschlossenheit des Umrisses etwas von der Geborgenheit vermittelt, die ollem Heilsgeschehen innewohnt. (Vgl. die Abb. Seite 99.) Die „Fauna von Gondwonien" ist ein höchst amüsanter Führer durch eine Galerie merkwürdiger Tiere, die nur zu gut bekannt sind. Von V/alter Habdank „nach der Natur gestaltet" und von Rudolf Neumann „zoologisch" einge ordnet, bieten sie eine Art „Brehm für besondere Gelegen heiten". Man merkt dann auch gleich, wohin der „Grasaff" — ein Bewohner Gondwaniens — hüpft, wenn sich er und seine Genossen vorstellen. Da gibt es z. B. den „Feder fuchs" oder den „Zerschmetterling"; dann das „Mammütle" und das „Nebelhorn", welches öfter zu hören als zu sehen ist, oder auch die „Schnorre", die eher verhungert, als daß sie selbst auf die Jagd geht. Die Prachtexemplare dieser exotischen Menagerie sind zweifellos die „Monokel schleiche" und natürlich dos Wappentier; die „Seelenkuh". Letztere genießt gleich einer Gottheit Verehrung bei den Ureinwohnern des Landes — die nicht nur Konsumenten bestimmter Film- und Literaturprodukte sein sollen! — Man ist versucht, das Werk mit barocker Eloquenz zu preisen, weshalb es hier einem „gebildeten, verehrungs würdigen Publico zu Nutz und Frommen, männiglich aber zur Vertreibung der melancholischen Stunden höchst an gelegentlich empfohlen" sei. Anläßlich des I. Internationalen Bibliophilenkongresses in München überraschte die Dreibein-Presse mit einem hübschen Bändchen, welches in der Aufmachung (Typogra phie; R. F. Rieger; Holzschnitte; Walter Habdank) ganz dem Anlaß seines Erscheinens entsprach. Es enthält unter dem Titel „Spanischer Pfeffer" eine Reihe Apophthegmen von Juan Rufo. Das Apophthegma ist eine im ausgehenden 16. Jahrhundert beliebte literarische Kurzform, eine Art Dialog eo petit, jedoch noch ohne die schillernde Brillanz des Aphorismus im 18. Jahrhundert. Juan Rufo — zu Leb zeiten berühmt und noch zu Lebzeiten vergessen — war ein Zeitgenosse Cervantes' und genoß, darin diesem ähn lich, die höchste Fürstengunst seines Gönners Don Juan d'Austria, erlitt aber auch Hunger und bittere Armut. Ein kleines Beispiel seiner schwermütig-ironischen Grandezza sei aus dieser Sammlung zitiert; Auf die Frage, was noch schwerer sei als Gold, erwiderte er; „Keines zu hoben." Mit ihren ersten Bänden nimmt die Dreibein-Presse eine Tradition in neuer Weise wieder auf; das bibliophile Buch zu pflegen und nicht nur dem Sammler zugänglich zu machen, sondern jedem, der sich den gängigen Ge schmacksklischees entziehen möchte. Gurt Grützmacher Wladimir Weidle, Die Sterblidikeit der Musen. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, 1958. DM 24.80. Das Unbegreifliche, in das wir gestellt werden, ist die Zeit. Unsere eigene Zeit. Wir leben in ihr, wir atmen ihre Luft, aber wir können nicht aus ihr ausbrechen. Darum fehlt uns die Distanz zu einer klaren und sicheren Beurtei lung. Dennoch drängt uns olles dazu. Wir können uns dieser Aufgabe gar nicht entziehen. Und wir suchen nach Kriterien und Maßstäben. Da ist die Kunst. Sie ist zu allen Zeiten Ausdruck des Tiefsten und Innersten im Menschen gewesen. Sie verrät mehr von ihm als sein äußeres Tun. Wenn dem so ist, dann öffnet sich hier ein Zugang, der näher an das Ge heimnis heranführt, als viele andere Wege. Wladimir Weidle, ein gebürtiger Russe, der derzeit in Brügge lebt, sucht in dem vorliegenden Buch das Wesen unserer Zeit auf Grund einer Analyse ihrer Dichtung und bildenden Kunst zu fassen. Die Kunst dieser Zeit, so meint er, befindet sich in einer wenig beneidenswerten Situation, einer Situation, wie sie noch nie im Laufe der Geschichte eingetreten ist; sie lebt, oder besser; sie vegetiert nach dem Zusammenbruch. Nicht nach einem der vielen Zusam menbrüche der Geschichte, sondern noch einem inneren Zusammenbruch, der nicht nur das Dasein der Kunst und Kultur, sondern das Mensch-sein des Menschen in Frage stellt. Dieser Zusammenbruch hat sich nicht erst nach den letzten Kriegen ereignet; diese waren nur Folgeerscheinun gen. Er hat vielmehr vor mehr als 150 Jahren eingesetzt; sein erstes und zugleich untrügliches Symptom ist dos Ende des „Stils", wie er zuletzt noch einmal im Barock olle Äußerungen der Kunst formte. Hand in Hand mit dem Ende des Stils und dem chamäleonartigen Anpassen an die Stile der Vergangen heit geht das Aufkommen des Ästhetizismus, eines Kultes des Schönen, dos vom übrigen Leben isoliert und als sol ches absolut gesetzt wird. Er entspringt der Hybris des Menschen, der sich selbst narzistisch verehrt, um nicht ein Höheres über sich anerkennen zu müssen. Damit hat der Mensch das Paradies verlassen. Das Pa radies des Eingebundenseins in die Natur. Die Vernunft überhebt sich und unterdrückt und erdrosselt die Phantasie. Der Mensch ist gespalten; er verfällt entweder einem ebenso dürftigen wie hochmütigen Rationalismus oder einem hilf- und heillosen Irrationalismus. Gibt es in dieser Situation keinen Ausweg, keine Ret tung? Der Arzt sogt; eine Heilung ist unmöglich; der Gläubige ober hofft auf eine Auferstehung. Alle Kunst senkt ihre Wurzeln in den Mutterboden der Religion; nur von hierher kann sie wieder belebt werden. Freilich nicht durch krampfhafte Versuche der übereifrigen, sondern nur aus einer echten religiösen Wiedergeburt. Soweit Weidle. Auf die zum Teil glänzenden Einzel analysen können wir nicht eingehen. Wir verweisen nur auf die Interpretationen von Kafka, Proust und Claudel. Die bildende Kunst ist Weidle weniger vertraut. Die Vor liebe für Coroit, Bonnard, Braque und Rouoult ist einseitig; sie stützt sich auf die stärkere Einbindung in die Tradition, die bei diesen Künstlern noch spürbar ist. Wichtiges bleibt unerwähnt, anderes unverstanden. Empfindlich stört die Abwertung des deutschen Expressionismus. Erstaunlich ist die Schönheit und Leuchtkraft der Sprache des Werkes, vor ollem wenn man bedenkt, daß es sich um eine Übertragung aus dem Französischen handelt, die Karl August Horst in Zusammenarbeit mit dem Autor, der der deutschen Sprache recht gut mächtig ist, besorgte. Was wir aber zur Diskussion stellen, ist die Richtigkeit seiner Zeitkritik. Wir sagten schon, daß uns das Nächste verborgen bleibt. Unser eigenes Antlitz können wir nur ertasten, nicht schauen. Wir wollen dahier nur Fragen aufwerfen und eine Antwort „ertasten". Die endgültige Antworlt wird erst die Zukunft geben. Die erste Frage betrifft die angebliche Stillosigkeit un serer Zeit. Stillos ist eine Zeit, der kein Stil zugrunde liegt, in der vielmehr jeder Stil möglich ist. Weidle sieht darin, mit Recht, ein Kriterium des 19. Jahrhunderts. Aber unterschätzt er nicht den Umwandlungsprozeß, der am Ende dieses und am Anfang unseres Jahrhunderts vor sich gegangen ist? Ist es nicht so, daß etwa der Malerei un seres Jahrhunderts etwas Gemeinsames zugrunde liegit, das sich vielleicht noch nicht benennen, aber doch schon intuitiv erfassen läßt? Und hat sich nicht die Malerei seit

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