nungen und kleinen Blätter gleichen mit dem an Klee er innernden spinnwebenartigen Strich einer gleichnishaften Niederschrift, die unter dem zwingenden Diktat der inneren Situation entsteht. In diesen trancehaft wirkenden Gebilden von zauberhafter Zartheit lassen sich Ent deckungsfahrten unternehmen, die bald in dichterische Gefilde führen: in die Welten eines Lao-Tse, eines Lautreamont, eines Novalis. Natürlich müssen sich in der Fülle des Gebotenen Lücken auftun; sicher wäre der besondere Aspekt der deutschen Malerei, den etwa Werner Heidt und Gilles repräsentieren, noch breiter belegbar; mancher arrivierte Name wird vermißt, auch unter den Ausländern, wo z. B. Campigli fehlt, der gewiß noch vor Cossinari und Solori gehört; sicher wären neben Hausner noch verschiedene andere Surrealisten nötig gewesen. — Unter den Fran zosen muß jedoch noch Jean Dubuffet hervorgehoben werden, der den Beschauer in das Zauberreich seiner dichten Leinwände entführt, wovon eine nur aus ausge schnittenen und aufeinander geklebten Stücken besteht, die den Eindruck einer mit Blumen besäten Fläche suggestiv vermittelt. Auch in der Graphik zeigt Dubuffet subtile Blätter in warmem Goldton. überhaupt ist die Graphikschau im Bellevue-Schlößchen ein ungetrübter Genuß. Hervorragend gehängt und sorg fältig ausgewählt bietet sie zunächst auf breitem Raum Chagall, Picasso, Miro, sowie Leger und Motisse. Erwähnt seien noch Hans Arp und Nay, Mortensen — der, wie übrigens auch Vasarely, eine große Tapisserie zeigt — Grieshaber, Braque und Courtin, der erfolgreich eine Prägetechnik wie Rolf Nesch anwendet und effektvolle abstrakte Gebilde schafft. In der Ruine der ehemaligen Orangerie ist die Plastik aufgestellt, zumeist im Freien vor eingezogenen schmalen Wänden, die kalkweiß geschlämmt sind. Die Wegbereiter Brancusi und Gonzales sind vertreten, sodann vor allem Henry Moore, dessen monumentale, von archaischem Faltenwurf umgebene Figuren beherrschend zur Geltung kommen. Dem antikischen Moment Moores steht die expressiv-kubistische Gestik Zadkines gegenüber, wäh rend bei Arp und — wenn auch in ganz anderer Weise — bei Henri Laurens die organisch geschlossene Form sich ästhetisch vollendet. Starker Eindruck bleibt von der sehnig gespannten Oberfläche bei Chadwick, der ruhen den statuarischen Würde des „Kardinals" von Manzü, den in den Raum ausstrahlenden Kraftlinien Marinis. Wie plötzlich erstarrte physikalische Vorgänge im Fadenkreuz eines Diagramms erscheinen die gebündelten Stäbe von Norbert Kricke und Brigitte Meyer-Denninghoff, an korallenhofte Meerespflanzen erinnern Hajek und Cimiotti. Von den großartigen Ausmaßen der „documenta II" und der hervorragenden ausstellungstechnischen Leistung kön nen hier nur Umrisse angedeutet werden. Das bleibende Ergebnis ist, auf bisher nicht dagewesener breiter Grund lage die Möglichkeiten und Grenzen der abstrakten Malerei aufgezeigt und somit die Konfrontation mit der künstlerischen Sprache der Jahrhundertmitte herbeigeführt zu haben. Die „documenta" ist Bilanz und Ausblick zu gleich. Was sie dokumentiert, ist weniger ein bestimmter Stil oder ein Zeitsymptom, als vielmehr das Dasein des um Gestalt und Form ringenden Menschen, der selbst aus den Relikten des Chaos eine Ordnung zu schöpfen sucht, die als geformtes Sinnbild sein Leben überdauern und von seiner Daseinsbewältigung Zeugnis ablegen soll. KRITIK Rudolf Koch, Briefe. Mit einer Einleitung von Oskar Beyer. Herbert Post Presse, München, 1959. DM 6.80. Während sich in Weimar zu Beginn der zwanziger Jahre um Gropius dos Bauhaus mit seinen neuen Lehren kristallisierite, bildete sich in Ottenbach am Main eine wesentlich kleinere Zelle bildkünstlerischer Gestaltung um die Person von Rudolf Koch, der eine Klasse der dortigen Kunstge werbeschule leiteite und gleichzeitig in der Schriftgießerei Klingspor als Schriftschneider und Entwerfer tätig war. Welches Gewicht dieser kleinen Gemeinschaft zukommt, die sich weniger als Lehrer und Schüler, sondern als eine Werkstatt unter einem Meister fühlte, wird heulte kaum mehr gesehen. Von hier strahlte der Expressionismus ins Handwerkliche aus und gewann über die von Koch geschnittenen Druck schriften, die von seinem Kreis geschaffenen Bücher mit ihrer eigenwilligen Typographie Einfluß auf das Form empfinden einer breiten Öffentlichkeit. Die innige Kraft dieser Gruppe wurde von der tiefen Frömmigkeit Rudolf Kocns gespeist. Daraus erst erwuchs die tragende Werkgesinnung. Wer damals zu dem Kreis um Rudolf Koch gehört hat, kann die Zeiten gemeinsamer Arbeit, gemeinsamen Strebens nicht vergessen. Einer von ihnen, Herbert Post, jetzt Leiter der Akademie für das Graphische Gewerbe in München und selbst ein bedeu tender Schriftkünstler, hat, in Erinnerung an des Meisters achtzigsten Geburtstag, auf seiner Presse ein Bündel Briefe Rudolf Kochs gedruckt, die heute vielleicht noch eindrucks voller als damals wirken. Der eine Teil enthält Briefe aus den Jahren 1923 bis 1933 an Dr. Oskar Beyer, der das knappe Vorwort geschrieben hat und mit Rudolf Koch durch Jahre befreundet war. Die Briefe aus den Jahren 1921 und 1922 sind an einen seiner ersten Schüler, Ernst Kellner, der im Krieg bei einem Luftangriff auf Leipzig starb, gerichtet. So schmal das Bändchen ist, so gewichtig ist es. Werden in den Schreiben an Oskar Beyer theo logische Probleme erörtert, so teilt sich in den Briefen an Ernst Kellner Geist und Luft der Werkstatt mit. Als Rudolf Koch daran ging, aus einem Bleiblock ein Hostienkästchen herauszuschneiden schrieb er an den Schüler: „Der Bleikasten wächst. Oben darauf kommt ein Lamm, das wir in Messing geschnitten. Die Schrift un endlich geheimnisvoll, ganz, ganz fern. Und das Abend mahl ist mir dabei aufgegangen. Dieser überschwengliche Augenblick. Da, nehmt's, eßt's, ihr eßt meinen Leib, ich geh mit meinem Leib in eure Leiber ein und mit meinem Blut in euer Blut. Liebe, Liebe ist es, Liebe." Einige Wochen später beschäftigt Rudolf Koch die Frage, wie er sein „Zeichenbuch" vervielfältigen solle. In einem Brief vom Juni 1922 suchte er sich darüber klar zu werden. Man hotte ihm die Photo-Litographie zur Reproduktion vorgeschlagen. Doch erscheint ihm dieses verfahren nicht werkgerecht. Das Einschalten der toten Linse widerstrebt ihm. Er möchte die an vielen Orten gesammelterr „Zeichen", die er selbst mit der Feder in ein für die Werkstatt bestimmtes Buch geschrieben hat, lieber von einem Schüler in Holz schneiden lassen und „dann werden in jedes Stück der kleinen Auflage die Namen dieser Zeichen eingeschrieben. So wird es was
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