Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 3

anderer Stelle — „contremui amore et horrore". Am deutlichsten tritt beides in der Offenbarung selbst hervor (der brennende Dornstrauch, die Berufungs vision des Isaias auf der einen, die Gotteserscheinung des Elias auf der anderen Seite; ebenso tritt bei Chri stus beides hervor). 8. Wir sehen nun deutlicher, daß das Sakrale kein Stilbegriff ist. Mit viel mehr Recht können v^^ir vom Charakter des Heiligen und daher auch von einem sakralen Charakter sprechen. Die beiden Wesenszüge dieses sakralen Charakters sind die oben genannten. Damit wird nun auch klar, wann wir von einem unsakralen Kunstwerk sprechen. Wir tun das dann, wenn wir es mit einem Kunstwerk zu tun haben (oftmals ist es freilich gar kein Kunstwerk), das dem sakralen Charakter widerspricht, also nicht auf das ganz Andere hinweist, sondern allzu diesseitig ist. Hierher gehören nicht nur das Niedrige und Gemeine (etwa das im üblen Sinn Erotische), sondern auch das Niedliche, Elegante, Gefällige, Modische (man betritt eine Kirche und meint in eine Sparkasse oder einen Versicherungspalast geraten zu sein). Profan ist ein Kunstwerk dann, wenn es keinerlei Beziehung zur sakralen Sphäre aufweist, ihm daher (im Gegensatz zum unsakralen Kunstwerk) auch nicht widerspricht. 9. Umgekehrt gibt es Charakterzüge, die dem Sakralen affin sind. Hierher gehört das Er habene, das Kant als „das schlechthin über alle Vergleichung Große" definiert hat. Hierher gehören ebenso das Majestätische (wir denken an die ravennatischen Mosaiken) und wiederum das Gewaltige und überwältigende (romanische Dome tauchen aus der Erinnerung auf). Das alles sind Charakterzüge, die dem ganz An deren des Heiligen entsprechen. Andere vergegen wärtigen das Heilige als das Höhere: das Strahlende, Lichthaltige. Die ungeheure Bedeutung des Lichtes für alle sakrale Architektur wird nun verständlich, ebenso die Bedeutung des farbigen Glasfensters (Chartres ist groß . . .!). 10. Zuletzt sei noch angedeutet, daß nicht alle Künste in gleichem Sinne und wohl auch nicht alle in gleichem Maße sakral sein können. Jene Künste, die zeitlichen Charakter haben — das gesprochene Wort, die Musik — sind primär Ausdruck der kultischen Gemeinschaft. Je mehr sie in den Kult eingebunden sind, desto „sakraler" sind sie, weshalb der Choral in dieser Hinsicht aller späteren Kirchen musik überlegen ist. Jene Künste, die weniger der Zeit unterworfen sind, vielmehr Raum bilden oder in ihm sich bergen — die Architektur, die Malerei, die Bildhauerei — lassen ihre Werke stärker als „Gegenüber" erfahren und sind so primär Hinweis auf das Transzendente. Den Primat hat hier zweifellos die Architektur, die dem Kult bergenden Raum schafft. An zweiter Stelle steht die Malerei, mit allen ihren Möglichkeiten bis hin zum eigentlichen Kultbild (womit nicht gesagt ist, daß jedes „Kultbild" ein Kunstwerk ist). Was die Plastik anlangt, so scheint sie — wenigstens im christlichen Bereich — keine tiefere Beziehung zum Kult zu haben. Es wäre zu untersuchen, ob dies niur historisch be gründet ist, oder im Wesen der Sache liegt. Dabei ist evident, daß es gerade im Bereich der Plastik Werke von einer tiefen religiösen Innigkeit gibt (die Pietä des späten Mittelalters!). Ein letzter Hinweis gelte den heiligen Geräten, die in besonderer Weise dem Kult dienen. Hier nimmt das Sakrale häufig den Charakter des Kostbaren an: für den Dienst am Heiligen ist das Kostbarste gerade gut genug. Erich Widder Die Kapelle der heiligen Theresia zu Hern /"TJ^er Ort ist nahe bei Roubaix, hart an der belJ gischen Grenze im Industriegebiet von Lille mit dem größten Kohlenrevier Frankreichs gelegen. Der Weg von Lille hierher führt schier endlos durch graue Straßen mit schmutzigen Ziegelbauten, Wohnund Arbeitsstätten; in der Nacht kommt man sich in diesen Straßen wie in der Verdunklungszeit vor, so dicht schließen die Fensterläden. Hem liegt mehr am Rande dieses Industriegebietes und weist auch bäuerDazu die Abb. 1—8 liehe Bevölkerung auf. Die Ortsstraßen brechen hier schon oft in freundliches Grünland aus. Auf einer kleinen Anhöhe des Weilers Hempenpont liegt in mitten eines gepflegten Parks die Villa des Textilindustriellen M. Philippe Leclercq. Man lebt in diesem Hause mit der Kunst, vor allem mit der Kunst unserer Zeit, die hier mit wachen Sinnen seit einem halben Jahrhundert hereingeholt wurde. Das ist wohl nur in Frankreich möglich, daß alle diese Bilder und Pia-

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