unterschiedlicher Natur sein und sind es auch; das bild nerische Ergebnis aber ist in seinem Grundcharakter ein heitlich: es spiegelt jenen Prozeß wider, der eine indi viduelle, menschlich-subjektive Wirklichkeitsbewältigung darstellt. In dieser Tatsache glauben wir die enorm menschliche Substanz der modernen Malerei zu sehen, die in ihrer Aussageweise ganz zum individuellen Menschen zurück gefunden hat, aus seiner Ganzheit ihre gestaltenden Kräfte bezieht und ebenso an ihn als Einzelwesen sich wendet. So wie dos nicht reproduzierende Bild uns Ein blicke in den Daseinsvollzug des Künstlers tun läßt, der sich inmitten neuer kosmischer Ordnungen abspielt, ebenso bringt es analoge Saiten in uns zum Tönen, wirkt provo zierend auf Tiefenschichten, ein Vorgang, dem gegenüber eine geschilderte Realität bloßen Mitteilungswert besitzt. Die Entstehung des evokativen Bildes — denn um das handelt es sich jetzt — ist aber weder von der Bejahung noch von der Verdammung der empirischen Realität ab hängig. Die Antinomie „Gegenständlich — Abstrakt", die leider oft genug mit einem immanenten Werturteil ge koppelt auftritt, ist deshalb überflüssig und unzutreffend. Immer geht es nur darum, ob und in welchem Grade die Realität als Modell eine geglückte Wandlung durchge macht hat, die dann eine höhere oder andere Wirklich keit — Wirklichkeit hier als etwas Wirkendes verstan den! — jäh zur Erfahrung zu bringen vermag. Dabei sei allerdings den Gegnern der abstrakten Ma lerei zu bedenken gegeben, daß die Möglichkeiten, die Problematik der menschlichen Existenz erfahrbar zu machen, etwas von der Tragik und Größe der Daseins situation spürbar werden zu lassen, sich immer mehr auf die von ihnen bekämpfte Seite der modernen Kunst zu konzentrieren scheint. Und hierin findet die manchem so befremdlich erscheinende Einseitigkeit der „documento II" ihre Rechtfertigung. Unter dem Motto „Die Argumente der Kunst des XX. Jahrhunderts" sind im Erdgeschoß des Kasseler Fridericianum, was nur die Malerei beherbergt, die Altmeister der Moderne mit je einem Werk vertreten. Hier hängt ein Franz Marc von 1914, Kirchners „Potsdamer Platz" (1913), die „Musen" von de Chirico, ein Porträt von Kokoschka (1910), Rouault, Schwittens, Max Ernst und von Picasso die „Femme en pleurs" (1937), die in unmittel barer Nähe von „Guernica" steht. Jeweils ein Raum aber ist einer kleinen Auswahl von Klee, Kondinsky und Mondrian gewidmet. Ein eindrucksvoller Vorspann zur eigentlichen „Malerei nach 1945", die mehrere hundert Bilder aus aller Welt zeigt. Da eine Aufzählung sowohl unmöglich wie auch sinnlos ist, sei der Versuch gestattet, die künstlerischen Schwerpunkte der Ausstellung heraus zuarbeiten, selbst wenn damit Wertungsansätze verbunden sind. Eine Art kleiner Gedächtnisausstellung ist Willi Bau meister gewidmet, dessen mythische Sinnzeichen aus der gemauerten Textur der Bildoberfläche heraustreten und in tastbar harter Gegenständlichkeit an unbekannte Welten mit fremdartigen Gesetzen erinnern. — Max Ernst zeigt Bilder in einer Art flacher Spachtelmanier, die ein facettiertes Flächengebilde mit darin hausenden Fabel wesen erzeugt; undämonisch und von einer märchenhaf ten Erzählfreudigkeit ist Joan Miro. — Gleiche Gestimmtheit der Ausgangshaltung ist zu sehen etwa bei Santomaso, Fritz Winter und Bazaine, die in poetischer Weise eine mit dem subjektiven Erlebnis verbundene Natur empfindung in Form einer abgelösten Zeichensprache schildern. Neuartig ist dabei die jüngste Entwicklung von Bazaine, der von der glasfensterartigen, sehr flächen haften Wirkung zur impressionistischen Kleinstruktur übergegangen ist. Noch intensiver ist der kathedralhafte Klang der Farbe bei Manessier. Es seien auch noch Singier, Bissiere und Vieira da Silva genannt. Der unverhofft starke Anteil der Amerikaner bringt zwar manches Unwesentliche, ermöglicht aber ein Urteil über die Tendenzen jenseits des Ozeans. Starken Ein druck hinterlassen die fein strukturierten Bilder Mark Tobeys, dessen Entwicklung von der graphischen, netz artigen Vergitterung der Fläche ausging, um über einen lockigen, fast barocken Pinselstrich zu einer malerischen Oberfläche zu kommen, deren Kleinstruktur in den letzten Werken von gesteinsartiger Dichtigkeit ist. Der aus Ruß land stammende Mark Rothko zeigt wieder seine großen Hochformate, in denen übereinander gelagerte Blöcke in sanfter Farbstufenfolge zu schweben scheinen. Der höchst sensible Auftrag arbeitet mit peinturehaften Effekten und verführt zu meditativem Anschauen. Absoluter Höhepunkt unter den Amerikanern — viel leicht sogar innerhalb der Ausstellung — ist jedoch Jackson Pollock, dessen zahlreiche Nachfolge bereits er kennbar ist. Seine Malmethode machte ihn zum Vater des Tachismus; gleichzeitig wurde er, der sämtliche Bin dungen des Materials sprengte, zum legendären Inbegriff der künstlerischen Freiheit. Die frühen Bilder Pollocks (1943—1945) zeigen eine Welt düsterer, dämonisch wir kender Gegenstandsfragmente, die an Picassosche For men erinnern. Doch dann beginnt die Fläche zur immer dichteren Textur zu werden, die schließlich einem gleich mäßigen Gewebe ähnelt, in das ornamentale, rhythmisch schwingende Flächenteile eingeschnitten werden. Während 1953 noch Schwarz als vorherrschende Farbe den Ausdruckschorakter des Bildes bestimmt, gewinnt gegen 1955 eine durchlichtete Helligkeit von fast impressionistischer Leuchtkraft die Oberhand, die dem spurenweise auf tretenden Schwarz nur noch die Rolle der strukturellen Verankerung des haltenden Gerüstes zuweist. Ein Ver gleich Pollocks mit seinen Nachahmern beweist zur Ge nüge, daß auch das Informelle sich zur tragfähigen „Form" verdichten muß. Die bloße Formel, die tachistische „Masche" reicht nicht aus; sie ist letzten Endes genau so professoral-akademisch und steril, wie es die Malerei gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde. Hier sind die „Abstrakten" am selben Ende ihrer Mittel an gelangt, wo die „Gegenständlichen" um 1870 bereits waren. Und auch die hektisch revolutionäre Geste kann das auf die Dauer nicht verbergen. Der zweite, für viele überraschende Schwerpunkt der Ausstellung ist die Kollektion der 24 Bilder von Nicolas de Stael (geb. 1914 in Petersburg, gest. 1955 in Antibes), dessen Werk „. . . auf geheimnisvolle Weise exemplarisch ist für das Fühlen ihrer Generation" (Schmalenboch). Erst 1942 ging de Stael zur abstrakten Gestaltung über, jedoch in einer Weise, die dos optische Erlebnis, welches sich ins Innere verlagert hatte, spürbar nahe bleiben läßt. In großen sich auftürmenden und ineinander verkeilten kubi schen Farbflächen formt sich ein Abenteuer des Auges von faszinierender Sinnlichkeit, dos den Bildraum zum Erlebnisraum werden läßt. Die ünentrinnbarkeit des Bild erlebnisses steigert sich durch eine leuchtende Palette zu höchster ästhetischer Wirkung, die den bloßen Reiz um wandelt in einen mitreißenden Strom, der — wie bei van Gogh — den Menschen von den Wurzeln seines Lebensgefühls her in ein kosmisch gesteuertes Natur geschehen einsaugt. Eine Malerei, deren „Credo-Charak ter" die Grundfesten der menschlichen Existenz erschüt tert, Gefahr und Rettendes zugleich heranführend. Mit 41 Bildern und Blättern ist Wols vertreten, dessen Werk wohl die stärkste europäische Potenz der letzten Jahrzehnte ist. Man hat sein Leben mit dem „Bateau ivre" Rimbauds verglichen, schwankend und voll beispiel hafter Annahme eines schweren Schicksals. So scheinen seine Bilder einer Wunde zu entströmen, seine Zeich-
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