Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 3

Wenn die christliche Basilika Haus des Königs war, offen für alle, die zum Königsmahl geladen sind, wenn die ro manische Kirche nach den Gefahren der Völkerwanderung mit ihren massiven Mauern das bergende Haus, die Kö nigsburg war, wenn die Dome der Gotik die Mauern durchbrachen, um den Blick frei zu geben für die irdische Welt und um diese irdische Welt hineinzulassen und sie mit all ihrem Leid emporzuheben, wenn in Barockkirchen die ganze Fülle des Lebens eingefangen und bei allem rauschhaften Prunk auf die verherrlichende Ebene des Him mels hinaufgehoben wurde, so geschah das aus einer intensiv gespürten Haltung, aus einem gelebten „Zeitgeist". Man könnte ihn jeweils genau umschreiben und in seinen Impulsen freilegen. Immer trifft sich in den Gotteshäusern Irdisches und Himmlisches. Wo liegen die Impulse unserer Zeit? Wo liegen sie für den Christen? Denn schließlich baut doch der Christ seine Kirchen, auch wenn er einem NichtChristen den Auftrag gibt. Eine Antwort auf diese Frage ist nur andeutungsweise möglich, weil zur Zeitbe urteilung eine Distanz gehört, die wir Gegenwärtigen nicht haben. Die Überwindung des Rationalismus, der Kampf mit dem Atheismus und dialektischen Materialismus, die überstürzte technische Entwicklung, die der Natur alle Ge heimnisse raubt und über die Grenzen der Erde hinaus drängt, prägen den Menschen und geben dem Künstler Intuitionen. Ist die Idee der Höhle als Symbol der Kirche wirklich abwegig? Spricht sie nicht vom Schutzsuchen des Erlösungsbedürftigen einerseits, vom erlöst Irdischen, der Geborgenheit andererseits? Christus ist Mensch geworden, ist in der Höhle des Mutterleibes gewachsen. Eine Marien kapelle darf da wohl den bergenden Schoß wiederspie geln, ein Dom den Schoß der Mater Ecciesia. Die gegenwärtige Epoche — es ist gleichgültig, ob wir an deren Beginn oder schon in ihrer Mitte stehen — unter scheidet sich von den vorhergehenden durch ihre neue Be ziehung zum Kosmos und die damit verbundene Art, die Welt anzuschauen. Diese Welt-Anschauung bestimmt die innere Gebetshaltung, die in Liturgie und Kunst sichtbar wird. Während der Mensch im Zuge ist, den ganzen Kos mos zu erobern, indem er sich über die Erdatmosphäre hinaus und in den Atomkern hineinwagt und dabei unge ahnte Möglichkeiten und Gefahren heraufbeschwört, sucht er zugleich wieder, vor sich selbst erschreckend, die Ein gänge der schützenden Höhlen seiner Urväter, den Schoß der unentwegt lebenspendenden Urmutter. Weil die von der Technik enthüllte Natur keine geheimen Winkel mehr hat und sie scheinbar dem Geist die aufs Metaphysische ausgerichtete Denkkraft raubt, sucht er sich in den Woh nungen Gottes zu verstecken und sich im Schoß der Kirche zu bergen. Worum wundern wir uns, wenn sich ein Baustil zu ent wickeln beginnt, der dies zum Ausdruck bringt? Curt Grützmacher BERICHTE ,documenta II" — Kunst nach 1945 Bilanz und Ausblick der „art informe 1" Die an Ausmaß und Eindruck großartige Schau moder ner Kunst ist eine programmatische Bilanz. Was hier dokumentiert werden soll, ist eindeutig gesagt: Kunst nach 1945. — Damit scheint dieser historische Titel, unter dem in den letzten Jahren zunächst nur einige Veröffent lichungen und kleinere Ausstellungen liefen, endgültig zu einem cartesianischen Punkt geworden zu sein, zu einem terminus o quo, ähnlich dem Stichjahr 1905. Und es scheint in der Tat eine innere Berechtigung dafür zu geben, das Jahr 1945 zum Standort zu wählen, von dem aus die bild nerischen Möglichkeiten der ganzen Welt betrachtet wer den können, vorausgesetzt, daß diese nicht unter außer künstlerischen Prämissen entstehen, wie es etwa beim Sozialistischen Realismus und allen ideologisch gebun denen Ablegern der Fall ist. Dann zeichnet sich jener Trend deutlich sichtbar ab, der der „documenta II" ihr Gesicht verleiht: Die moderne Kunst ist abstrakt. Demzu folge besteht die gesamte Ausstellung vorwiegend aus Produkten der „art informel", — ein Tatbestand, der zum hinreichenden Anlaß der Kritik, zu Mißverständnissen und zu Angriffen auf die Veranstalter geworden ist. Man hat den Vorwurf der versuchten Einebnung des gesamten Kunstgeschehens und der Einseitigkeit der Auswahl er hoben, die nur dazu dienen solle, eine bestimmte Kunst theorie augenfällig zu bestätigen. Dem aufmerksamen und sorgfältigen Betrachter wird aber nicht entgehen, daß diese Vorwürfe nur bedingt haltbar sind. Der Rela tivität des abschließenden Urteils über ein im zeitlichen Fluß befindliches Phänomen war sich Werner Haftmann völlig bewußt, als er im Katalog-Vorwort die Auswahl als eine „Vorwahl" bezeichnete, die jedem das Recht ein räumt, die „kritischen Entscheidungen" selbst zu treffen. — Dazu sei noch erwähnt, daß der amerikanische Beitrag von einem Gremium in den USA zusammengestellt wor den ist. Um die auf Mißverständnissen beruhenden kritischen Einwände nicht abermals heraufzubeschwören, sei es hier erlaubt, die durchgängige Tendenz der modernen Kunst — die aufzuzeigen in der Absicht der Ausstellungsleitung lag — mit Hilfe bestimmter Grundpositionen sichtbar zu machen. Dabei soll der Begriff der Abstraktion in seiner diktatorischen Strenge umgangen werden. Wenn wir die heutigen Möglichkeiten bildnerischer Objektivierung auf ihr Verhältnis zur Realität hin be fragen, so ist als Ergebnis eine Verflüchtigung der sicht baren Welt von bisher ungekannter Radikalität festzu stellen. Zwar waren schon durch die Lehrmeister der Moderne die bildnerischen Mittel zu höchster Ausdrucks kraft und zur Autonomie geführt worden, ein Verfahren, welches die Ausgangsposition der heute malenden Ge neration festlegte. Ihre Bilder stellen nicht mehr das Ding dar, sondern vielmehr das neue Dingerlebnis, den inner menschlichen Vorgang, der sich aus eben diesem Erlebnis bezug ergibt. Die künstlerischen Verhaltensweisen können

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