Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 3

heit ist das Leben Rhythmus, ein pulsierendes Geschehen, und das volle Leben: diesen Rhythmus „auskosten". Also stets unterwegs sein, in der Bewegung; wenn schon mit dem — endlichen — Sinn, einmal anzukommen. (— Bei uns selbst? — Werm wir dos Bild des Erdballs weiter verwenden und unseren Blick in „gerader" Linie über den Horizont, also geistig hinausschweifen lassen, treffen wir immer unsere eigene Person)"). An verschiedenen Punkten des Lebens unterläuft dem Menschen die Täu schung, am Ziel zu sein; oder aber er resigniert und gibt sich mit dem „letzten Ergebnis" zufrieden; bewirkt die menschliche Entscheidung die Stagnation im „erreichten" Zustand. — Einseitige, also genauer gesagt, schon stagnierte, sterile klassizistische Verstandeshaltung wird demnach bei einer aufkommenden Künstlergeneration, über die Aktivierung der Blutzirkulation (damit meint der Verfasser das Lebendige im Gegensatz zum Erstarrten. Anm. der Red.) hinaus, notwendig die Betonung gewisser Gefühlsbereiche hervorrufen. So ist die jüngere Geschichte in einen zunehmend be schleunigten Pulsschlag von Lebens-Ansichten geraten, weil der Mode-Schlager in zunehmendem Maße das Mas senbewußtsein bestimmt. Alles, was in Mode kommt, ist zur Sterilität verurteilt. Denn paradoxerweise wird in Ab wicklung unserer Lebenstechnik die Mode dem lebendigen Wandel nicht tatsächlich gerecht, sondern erhebt den je weils „letzten Schrei" wieder zum Diktat. Ein an sich lebendiges, revoltierendes Moment wird also in eine Ge setzlichkeit gewendet, der es erliegt. Das künstlerische Be wußtsein als das Lebendige, Todfeind schon jeder Neigung zum Sterilen, hat sich folglich in ebenso zunehmendem Maße „gegen" das Massenbewußtsein gerichtet. In un serem Jahrhundert drückt sich das in einem mitunter bru talen und provokatorischen Willen zur Wahrheit aus, die allgemein als unbequem, wie selten, empfunden wird. Wie sehr die „Mode", als ins Klassizistische verbildete Modernität, Bestandteil unserer Zeit ist, zeigt das Pro grammatische unseres Verhaltens, die parteiische egozen trische Meinungsstarrheit, wie sie sich im Einzelmenschen und in den Staatsideologien äußert. Das Programm ist nur eine Art, der Problematik des pulsierenden Lebens zu entgehen. Es ist soweit Bestandteil unserer Daseinsform geworden, daß es vor Jahrzehnten sogar die Bereiche der Kunst ergriffen hat. Daraus ergibt sich die Forderung noch selbstverantworteter, unbehinderter Einzelaktion. Das heißt aber — aus der Situation heraus — Einsamkeit: Das monieristische Moment. Dann sind Künstler wie Här tung, Heiliger und Marini in die erste Reihe gestellt, und als Maßstab und Forderung für die künstlerische Äuße rung: chthonischer Charakter. Gestaltung, Form von ganz eindeutiger Art. Vom Charakter des Typus, der sich in Verwandtschaft mit dem photographischen Negativ am lapidarsten bewahrt. Es ist das Verlangen nach gül tigen Bildern, nach Besinnung auf die Bilder in Urgestalt mit ihrem unbedingten Maß. Ein Absolutes, das sich gegenüber maßstäblicher Parteidoktrin als grundsätz lich Anderes ausweist. — An dieser Stelle interessiert die Frage: Wieweit deckt sich eigentlich dieses entworfene Situationsbild mit den tatsächlich produzierten Zeichnun gen, Plastiken, mit den Produkten anderer Kunstgattungen aus den Händen der jüngeren Kräfte?? In einer Lage (nicht zu vergessen), in der die gegenstandslose Dokumentation akkreditiert ist. Dazu ist einmal zu bemerken, daß sich zum Beispiel Marino Marini ja zu den heute Dreißigjährigen geschicht lich schon als die ältere Generation erweist. Das, was er anstrebte, also bereits Basis für die Jüngeren sein müßte. •) Was meini wohl Angelus Silesius, wenn er sogt: Mensch werde wesenilich, denn wenn die Well vergehl so lälH der Zulall weg, das Wesen das besieht. — Ergo: (öllt die Bewegung weg — dos Selbsfverwirklichte, das vor Gott gebracht werden mulj, bleibt übrig. Wenn man deshalb Bemühungen derselben sieht, sich besagte Basis erst zu ,erarbeiten', so läßt sich dos nur so verstehen, daß über etwas Klarheit geschaffen sein soll, was „von selbst" in ihrem Besitz sein müßte, dem Bewußt sein aber nicht, oder erst teilweise greifbar. Und in der Tat ergäbe sich dafür eine Hypothese: Die Erziehung die ser Generation — gemeint sind etwa die Jahre zwischen 1930 und 1945 — fundiert zum Teil auf wesensdünnen Aus läufern der ästhetischen Bildung des 19. Jahrhunderts und (in gar nicht zufälligem Zusammenhang damit) auf einer leblosen Ideologie. (Eine Weltanschauung, die im Kern schon globale Verbreitung gefunden hatte; nur daß sie im Deutschen mit der schrecklichsten Konsequenz und Gründlichkeit zum Ausdruck kam.) Dahinein, umgeben von steigend äußerem Wohlstand (der zur Rechtfertigung des eingeschlagenen Weges wurde), wuchs diese Generation. Vertrauensvoll und kritiklos. Die (überdies zahlenmäßig schwache) schöpferische Schicht, die damals echte Leit bilder hätte abgeben können, war fortschreitend isoliert, oder in die übrige Welt mit ihren lebendigen Strömungen abgedrängt. Der Zusammenbruch dieser Daseinsform traf aufs Empfindlichste den verbildeten Organismus, gab aber zu gleicher Zeit das Leben in ganzer Fülle frei (für die, die es überstanden). Und nun vollzieht sich bei jenen, die ,aufleben', etwas Bemerkenswertes: Schicht um Schicht toter Konvention wird abgenommen, um auf einen Kern zu treffen, in dem das Leben pulsiert. Das heißt eine künstlerische Entwicklung mit Notwendigkeit zur Moderne hin. (Eben nicht von vornherein aus dem lebendigen Um kreis der Moderne heraus! — Man muß hier die zweideu tige Bezeichnung ,Moderne' gestatten und richtig neh men.) Dieser Weg zur ,Moderne' bedeutet aber: der Weg in die Zeit vor dem Aufkommen der nationalsozialistischen Ideologie. Von hier aus, vom Expressionismus weg, voll zieht sich bei vielen die Orientierung. Der Expressionismus ist die ihnen nächstliegende ,Stimmlage', die wenigstens im Ton der kritischen Prüfung auf Wahrhaftigkeit hin standhält. Da sie aber schon von Geberts wegen ihre ge schichtliche Position haben, klafft nicht selten zwischen beiden lebendig erkannten Punkten die Lücke: der Zeit raum, in dem der Manierismus seine wesentlichen und nötigen Formulierungen fand: der Zeitraum, dem diese junge Generation nach einer unumstößlichen Ordnung an gehört. Ihr akuter Zustand, der Bewältigung verlangt. Und oft ist er ja auch schon an irgend einem Ende begriffen. Daß der neue Ansatzpunkt bereits da ist, wird langsam augenfällig. Die Natur (ihrem Wesen nach verloren) meldet ihr Anrecht und wird, skeptisch noch, aber immerhin ,gehört'. Aus der instinktiven Ablehnung der sterilen ab strakten Geste (die wesentlich zum ausgehenden 19. Jahr hundert und seinem Idealismus gehört) hebt sich ein win ziger Anfang zum „ja" gegenüber dem Leben. Die dionysische Entwicklung des Ausdrucks im 20. Jahrhundert ist die Voraussetzung dazu. Der jüngeren Generation er wächst aus der Erfahrung der Ausweglosigkeit der Exi stenz die Erkenntnis, daß die Natur wesentlich zu Dionysos gehört. Eine Natur vergleichsweise der Substanz des Alten Testaments. Es ist das eindeutige, „konkrete, aktive Ja" zum Dasein. Genialische Neuerungen darf man nicht darin suchen — wenn man nicht das Gegebene dafür nimmt. — Dem gegenüber steht freilich die Phalanx der zu Gesetz und gutem Ton bestimmten Abstraktion. Wenn man resümiert, so betrifft die „Frage", also das Offenstehende, weder die Perfektionierung von Natur nähe, noch die der Abstraktion. Ist auch nicht mehr pri mär: lebendiger Rhythmus oder konstruktive Metrik; denn die Antwort darauf kötinte wiederum zur Teilfrage „gegen ständlich oder gegenstandlos" abgebogen werden. Die Mittel sind ausgeweitet. — Die Generalfrage der Kunst ist auch längst nicht mehr Deformierung oder Idealisie rung des Menschenbildes, sondern: Menschen-Bild über-

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