mehr zum Lichten durch. Aber Immer noch bleibt doch eine tiefe Resignation spürbar, weil ihm bange war, sich der letzten Wahrheit zu stellen, weil er, wie er mir gesagt hatte, den Schlüssel zur letzten Kammer seines Herzens selbst weggeworfen hotte. Aber in all dieser Not, die er nach außen zu ver bergen suchte, war er sich klar, daß ihm aus seiner künstlerischen Berufung eine große Verpflichtung zu gewachsen war. Und treu hat er dieser gedient von der Jugend bis in das hohe Alter von achtzig Jahren, so lange er die Feder führen konnte. „Jeden ruft Gott mit an derer Stimme", sagte er einmal. Auch ihn hatte Gott gerufen und er hat den Ruf gehört und ihm gehorcht. Er war ein Priester seiner Kunst, der weltliche Bruder des Priesters, der sich für die ihm gegebenen Gaben vor Gott und den Menschen verantwortlich wußte. Er war ein Hüter und Wahrer echter Kunst auch gegen über allem Ungeist, der in einer chaotischen Zeit aufgebrochen war. Dabei war er ohne alles Pathos und mit steigendem Ruhm immer bescheidener. Er hat jeden Bauern hier gekannt und mit ihm in seiner Sprache gesprochen, er war allen Kindern ein vertrauter Freund. Aber trotz ollem ist er in den langen Jahrzehnten seines reichen Schaffens fast nie ein wahrhaft fried voller Mensch gewesen, sondern ein Gepeinigter, ein Gejagter, der, um der Angst zu entrinnen, zeichnete und zeichnen mußte. Der friedvolle Mensch, den uns sein Antlitz nach dem Tode und auf dem Totenbette gezeigt hat, der Verklärte und von letzter Weisheit Erfüllte ist er erst geworden in den letzten Jahren seines Lebens. Auf vielen Umwegen hat Alfred Kubin zum Ur sprung alles Seins zurücksuchen müssen. Nachdem er sich in jungen Jahren an Schopenhauer satt ge trunken hatte und meinte, nun das zu haben, was er wollte, nämlich eine in ollen erdenklichen Fällen seines Lebens sich bewährende Anschauung, mußte er mit sechzig Jahren schreiben: „So treibt mein Schiff auf dem Meer im Dämmer dieses lebendigen Traumes dahin mit abgeblendeten Lichtern und mit seiner Fracht von Bildern. Jede Stunde kann den Untergang bringen. Mein Weltbild ist nie fertig, es bleibt ein Bruchstück, denn künftige Erfahrungen könnten es anders formen oder ergänzen." Und diese Erfahrungen wurden ihm, der Zeit seines Lebens die Krankheit fürchtete, im reichsten Maße geschenkt. Nachdem er schon mehrere Jahre an den Beschwerden des Alters gelitten hatte, mußte er schließlich durch acht Monate dem leise nahenden Tod ins Auge schauen. Menschlich gesehen war er arm, übersinnlich ge sehen war es die große Gnadenzeit seines Lebens. Im gleichen Maße, wie er sich in den letzten drei Jahren von der Welt abgewendet hatte, trat auch der Künstler mehr und mehr zurück, und was blieb, war der bloße Mensch, das kleine, oft so ohnmächtige Geschöpf vor dem großen Herrn alles Seins. Während er früher sich resigniert in seine Zeichen kunst flüchten konnte, um die heimliche Enttäuschung über dos Nichtfindenkönnen der letzten Wahrheit be täuben zu können, mußte er jetzt, da ihn das schwerste Übel betroffen hatte: leben zu müssen und nicht mehr schaffen zu können, den letzten Wahr heiten offen ins Gesicht schauen. Ich weiß, wie bitter und verschämt er gerungen hat um diese letzte große Verwandlung, bis er im März auf seinem Kranken lager bekennen konnte: „Ich habe mein Leben lang Angst gehabt . . . Angst vor dem, was ich nicht wahr, haben wollte, was ich verdrängen wollte . . . nun habe ich keine Angst mehr, weil ich die Wahrheit er kenne." In diesem langen, schweren letzten Jahre, in dem er langsam sterbend aus einem hochbegnadeten ein begnadigter neuer Mensch wurde, ging für ihn die Nacht des Herzens zu Ende. Kein Mensch hat je die Stufen zu höchster Erkenntnis erklommen, ohne daß sein Herz aufgerissen worden wäre bis auf den Grund. Wovor er als Sechzigjähriger bangte, daß er viel leicht sein Weltbild einmal anders formen müßte, dos hat er als Achtzigjähriger getan, ganz still und in sich gekehrt. Als ihm die geniale Kraft seiner Hand zerbrach, hat er die Morgenröte des großen Lichtes erst zu sehen vermocht, das er durch alle Jahrzehnte seines Lebens gesucht hatte. Die Nacht des Herzens war zu Ende! Und so glaube ich heute, daß Gott, den er immer gesucht hatte und der ihm dann am dämmernden Abend seines Lebens als tröstendes Licht aufleuchtete, ihn als guten und treuen Knecht erkannt hat, der sein großes Talent gut verwaltet hatte, und daß ihm das ewige Licht aufgegangen ist, das niemandem verloren geht, den es einmal durchleuchtet hat. Nun ist uns sein Antlitz für diese irdische Weltzeit entschwunden. Aber sein Licht ist nicht ausgelöscht und so wie seine Kunst, außerhalb jeder modischen Zeitströmung stehend, bleibt und ihre Gültigkeit in sich trägt, so bleibt auch sein Andenken. Gott wird ihm das Licht sein, das er immer gesucht hatte und er schenke ihm die friedvolle Ruhe.
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