wie wenn ein unbegreiflicher Schmerz Ober diese Frau gekommen wäre: sie steht wie erstarrt in vollkom mener Einsamkeit dem Unfaßlichen gegenüber. Zweimal hat uns Münch gezeigt, wie die Lebenden dem Tod begegnen, der das eine Mal noch im Kom men ist, dos andere Mal sein Opfer schon geholt hat. Immer kommt der Tod als unabänderliches Schicksal; er holt wen er will. Die Anverwandten stellen sich dem übermächtigen, begreifen es aber nicht. Mensch liche Existenz ist gekennzeichnet durch die Hilflosig keit, in der sie dem Unbegreiflichen gegenübersteht. Wir vergleichen drei Bleistiftskizzen von Alfred Kubin. Die erste von ihnen, „Tod und Maler", ist eine Entwurfskizze für den Totentanz von 1918. Mit genialer Leichtigkeit (die in der ausgeführten Federzeichnung nicht mehr erreicht wird) ist die Szene auf das Blatt geworfen: der Maler leblos am Boden liegend, sein Kopf nach rechts herabgesunken, die Beine gespreizt; neben der rechten Hand liegt der nur auf der Feder zeichnung ganz klar erkennbare Revolver. Auf ihm steht, den Leichnam mit seinen knochendürren Beinen nur leicht berührend, der Tod. In der Linken hält er die Palette, mit der Rechten malt er eine aufschwe bende Gestalt auf die Leinwand, hinter der ein Ka nonenofen halb hervorschaut, dessen Rohr — seltsam zu sehen — sich in gleicher Bewegung hinaufbiegt wie die vom Tod entworfene Gestalt. — Auf dem unteren Teil des Blattes wird das Motiv (der Tod mit seinem Opfer) nochmals aufgenommen. Die Leichtigkeit des Stehens, dos Spielerische des Malens lassen hier den Tod als den unbekümmerten, unbeteiligten Triumphator erscheinen. Er hat gesiegt; nur er kann vollenden, was der Maler begonnen. In ähnlicher Weise ist der Tod auf einem zweiten Blatt, das wir nicht genau datieren können (zwanziger Jahre?) charakterisiert. Der Sterbende (oder schon Tote) liegt im Bett, neben dem seine Offizierskleidung aufgehängt ist. Der Tod neigt sich über ihn und fldelt ihm seine Melodie förmlich in die Ohren, grausam und siegestrunken. Der Strich der Zeichnung ist genau so fest und gewalttätig wie jener, mit dem der Tod darauf den Bogen führt. Beide Blätter sind charakteristisch für die Auffassung vom Tode, die jahrzehntelang die Kunst Kubins be herrscht. Ganz anders das Blatt „Der Tod holt den Zeich ner", von 1938 (für die erst 1947 veröffentlichte Mappe „Ein neuer Totentanz"). Der Tod, dessen häßliche Fratze durch eine Kapuze verdeckt wird, hält den Ster benden, der unverkennbar die Züge von Kubin selbst trägt, leicht und behutsam. Hinter ihm tut sich ein Fenster auf. Welche Verwandlung! Der Tod hat alle Grausam keit verloren; er kommt als Freund. Der Zeichner sinkt ohne Furcht vertrauend in seine Arme. Hier zeigt sich eine ganz neue Haltung gegenüber dem Tod: der Tod wird innerlich bewältigt und angenommen. Zuletzt stehen wir vor dem Bild „Ein Park und der Unbefugte". Paul Klee hat es 1939, ein Jahr vor seinem Tode, in Kleisterfarben gemalt. Der Grund ist in einem rötlichen Erdbraun gehalten; in diesen sind olivgrüne Farben gesetzt. Nur der „Unbefugte" links unten fügt einige kleine neue Farbakzente hinzu: Weinrot und Blau. Wer sich in die so außerordentlich vergeistigte, zei chenhafte Kunst Klees eingesehen hat, erkennt un schwer — wozu er den von Klee gegebenen Titel kaum mehr nötig hat — was hier angedeutet wird: ein oben, rechts und unten abgeschlossener Garten, den der „Unbefugte" durch die einzige Öffnung links unten zaghaft und vorsichtig zu betreten sucht. Inmit ten des Gartens ragt eine Zypresse auf; sie gibt den Garten als das Reich des Todes zu erkennen. Wir er innern uns sogleich eines anderen Kleisterfarbenbildes von Klee aus dem gleichen Jahr, des „Friedhofs", mit seinen Kreuzen und den zwei mächtig aufwachsenden Zypressen. Das Bild ist voller metaphysischer Bezüge. Der ver schlossene Garten erinnert an den „hortus conclusus" der Mystik; der beherrschende eine Baum in der Mitte des Gartens an den Baum des Paradieses. Damit be rührt sich das Bild mit vielen anderen Werken aus der letzten Schaffensperiode von Paul Klee. Da taucht immer wieder der Tod auf, teils offen („Tod und Feuer"), teils maskiert („Paukenspieler"). Ständig keh ren Bilder des Totenreiches oder der Uberfahrt dort hin („Am Nil", „Fort kommen") wieder. Und da ist der Künstler selbst in seiner Passion („Ach, aber och"), der sich zuruft „Durchhalten!". Er selbst, der Künstler, ist auch der „Unbefugte", der den Eingang in den „Park" sucht. Der „Park" aber, das Land des Todes, ist wohl etwas Fremdes, Unbekanntes, aber nichts Furchtbares; er ist ein anderes Paradies, das Land, zu dem wir immer schon unterwegs sind. Wie sagt doch Paul Klee von sich selbst: „Diesseitig bin ich gar nicht faßbar." (Worte auf seinem Grabstein.) Kunst ist Existenzerhellung. Gerade dort, wo sie das Leben aus dem Tode erhellt. Unsere Zeit erfährt das „Sein zum Tode" vielleicht stärker als andere Epochen. Die Kunst weist es. Auch die sogenannte gegenstands lose Kunst. Wenn auf den Bildern von Arnulf Rainer das Schwarz sich von einer Mitte her immer stärker ausbreitet und die ganze Leinwand zu erfassen sucht, so spricht daraus ein Uberwältigtsein von der Tod geweihtheit aller Kreatur. Todgeweiht sind wir alle. Sind wir noch der Ver wandlung fähig?
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