eintreten will. Freilich, daß es etwas geben könnte, das mehr ist als er selbst, oder genauer, daß etwas geschehen könnte, das über ihn hinausginge, daß Freiheit sich ereignen könnte, das ist der blinde Glaube in ihm, das ist das Abenteuer vor ihm, das ist das Wagnis, das den Inhalt des Bildes, seinen künftigen Gegenstand ausmacht. In welchen Raum hinein geschieht nun dieses Ge schehen? Nirgends hinein, denn das Geschehen kann sich deshalb in keinen Raum hinein ereignen, weil das Geschehen seinen eigenen Raum mitbringt, das Geschehen ist das Ereignis des Raumes, dieses Räum liche selbst. Der Raum ist die Inkarnation des Geschehens. Wäre Raum vorher da, könnte das Geschehen nicht statt finden oder es würde wie in ein Gefängnis stürmen und dort, sich selbst aufhebend, zum Stillstand kom men. Der vorgeformte Raum, der dreidimensionale, vorher vorgestellte Raum, der Raum der Tiefenper spektive fängt alles in ihn Eindringende und stellt es auf seiner Bühne wie ein verhaftetes Ding, wie ein Monument, wie eine Totenmaske zur Schau. Die Kunst der Perspektive muß wesentlich auf Repräsentation, auf ein Zurschaustellen aus sein. Die Kunst, den Raum als ein Gravitationsfeld von Richtungspotenzen zu zeigen, als ein Feld, in dem sich immerwährend als Kräftefeld bewegter Raum vollzieht, bricht diese Schaustellung gänzlich ab. Bewegter Raum ist nichts Andringendes, nichts, was das Begreifen des Betrach ters fesseln will, es ist grundsätzlich das Gegenteil: Hineinschwinden aller Figurationen, aller Geschehnis träger in ein Feld, das als ein Universum in jedem Punkt Mittelpunkt ist. Daher findet auch die auftei lende Bezugsetzung auf den Ausschnitt des Vierecks der Fläche nicht statt, jenes Ordnungsschemas, das sich innerhalb des Vierecks als Balance einspielen muß. Ein solches Schema muß die eingrenzenden Horizontalen und Vertikalen oder Ränder in sich hin einnehmen wie ein Kreuz, irgendwie muß die Außen begrenzung als Herzfigur des Inneren wieder auf treten, sonst könnte der Ausschnitt nicht in ein in sich geschlossenes Bild verwandelt werden. Aber eine solche Setzung und Voraussetzung muß die Akzente ihres Ganges schließlich in eine gleichgewichtige Ruhe auflösen, die den Impulsen ihres Vortrages widerspricht. Das aus Bewegungsstößen erzeugte Feld hingegen ist selbst Bewegung und vermag die Bewegungs impulse zu entfalten. Die Folge davon ist, daß nicht nur das Eingefangene und Festgestellte ausgeschieden bleibt, nicht nur die Wendung des Bildes zum Be schauer unterbleibt, sondern daß das Bild über die Ränder hinaus atmet, schwebend über jeder Ein schränkung steht und die Herzkraft seiner Bewegung in ein Kontinuum schickt, das verwahrende Sichtbar keit ist. Für die perspektivische Schaustellung ist Sicht barkeit eine Art von Bühnenbeleuchtung, ein trium phales Vorführen von Gefangenen; für den konstruk tiven Charakter des gegenstandslosen Bildes ist Sicht barkeit die Verfugung aller Bildelemente ineinander zu einem Block; für die Hervorbringung des bewegten Raumes aber ist Sichtbarkeit das Numinosum, das die Aufhebung von Raum und Zeit, das die Entrückung bewahrt. Günter Rombold Der Tod in der modernen Kunst In memoriam Alfred Kubin Dazu die Abb. 18—21 I y' unst ist Existenzerhellung. Existenz aber, mensch7"^^ liehe Existenz, ist ständig bedroht vom Tode. Doch erfährt das Leben erst in dieser Bedrohung seinen letzten, eigentlichen Sinn. Die Konfrontation mit dem Tod ist für den Men schen eine Konfrontation mit seiner Bestimmung. Zu allen Zeiten hat die Kunst dazu geführt. Die Kunst unserer Zeit macht keine Ausnahme davon. Doch er scheint der Tod in ihr in sehr verschiedener Gestalt. Wir suchen das am Beispiel einiger Werke von Münch, Kubin und Paul Klee zu verdeutlichen. Vor uns liegt ein Holzschnitt von Edvard Münch: Krankenzimmer (Abbildung in Heft 4/1958). Die Be handlung des Holzstocks ist eine für Münch charak teristische: die lebendige Zeichnung des Holzstocks — die Faserung — bleibt erhalten; sie wird im Holz schnitt in zarten, teilweise unterbrochenen Linien sichtbar. An einigen Stellen setzen diese vollkommen aus: hier steigert sich das Dunkel zu absoluter Schwärze. Schemenhaft wachsen aus diesem Grund vier Gestalten heraus. Links eine vorgebeugte Frau mit schmerzhaft geöffnetem Mund; ihr Blick fällt auf
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