Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 3

vorübergehend zurückgedrängt und zur beweglichen Folie, während die Raumgewinnung nunmehr durch sehr differenzierte Weißstufungen erfolgt, wie auf den „Onoma"-Bildern von 1956 bis 1957. Diese Umkehrung der Funktionen hat einen sehr deutlich erlebboren Verfremdungswert; der Raum zieht nicht mehr an und in sich hinein, er wirkt durchwaltet, bewohnt von einer Macht, die sich nicht nennt. Das Bild selbst wird Name (griechisch Onoma), der sich in solchen Raum ereignissen artikuliert, aber abgelöst von diesen Vor gängen nicht weiter sagbar ist. — Der nächste Schritt führt, wohl aus der Sorge, daß diese „Benennung" für das Bild noch die Gefahr der Sinnverkürzung, der Eindeutigkeit und damit Zerstörbarkeit in sich birgt, zur Vieldeutigkeit der Monochromie: Stufungen des Rots, Spannungen des Blaus, die kein Eindringen mehr erlauben, obschon kein Gerüst, keine Verriegelung den Zugang behindert. Der in der gradweise dich teren Farbe auf uns andringende Bildraum läßt gar nicht den Gedanken aufkommen, wir könnten ihn noch mit dem Unbekannten teilen, das sich da mani festiert. Gegenüber der herrischen Inbesitznahme des Raums auf den füheren Bildern sind diese unbewehrten Fläcnen und Tiefen wie ein ohnmächtiges Erleiden von Raum, der sich mit einer unsagbaren Anwesen heit füllt. Noch ein Schritt, und wir haben die großen, meist monochromen, jedenfalls alle Positivität der Farbe vermeidenden rechteckigen Felder, die wie ein Schild eine verborgene Gegenwart beschirmen. Die übergroßen, doch sehr sorgfältig durchgefühlten Flä chen scheinen auf etwas sehr Äußerliches und doch in jeder Malkunst höchst Bedeutsames ablenken zu wollen, die „peinture", das Leben der Oberfläche von Gnaden des schöpferischen Pinselstrichs, damit jenes Walten in der Tiefe sich um so ungestörter auf uns sammeln kann. Es ist ein Weg der Entsagung, der progressiven Abschälung von den hoffärtigen Impulsen zu direkter Selbstverwirklichung im Malwerk, und wer diesen Weg nicht mit ihm geht, wird vielleicht vor diesen Monochromien auf den mesquinen Gedanken verfallen. Meistermann habe, nachdem er sich jeweils die Mög lichkeiten der Formsprache Klees, Miros, Juan Gris' zunutze gemacht hat, nunmehr bei Zeitgenossen wie Rothko ein neuestes Formenkostüm entliehen. Das hieße, im Werk eines modernen Künstlers das Ent scheidende, den Weg unterschlagen. — Diese äußerste Reduktion mag etwas Gewalttätiges haben —, in die ser Gewaltsamkeit ist aber mehr Liebe als in dem laschen Vortasten nach neuen Malgeheimnissen, die bei näherem Zusehen oft sich als nichts anderes er weisen denn als Materialisierungen eines morbiden Reizhungers, dem es gar nicht mehr um die Stillung durch substantielle Nahrung geht. — Und noch eines soll hier mit allem Nachdruck herausgestellt werden: Nicht von ungefähr hat ein weltliches Bemühen um die menschenmögliche Ausschöpfung der ihm anver trauten Formenschätze zugleich eine Intensität der Aussage erreicht, die mehr Gegenwart des Göttlichen verspüren läßt, als es thematisch religiöse Kunst — von erlesenen Einzelleistungen wie die Manessiers abgesehen — gemeinhin vermag. Ob von dort her ein weiterer Schritt — in Glasfenster, Wandbild, Tafelbild — in Richtung auf eine auch explizit reli giöse Kunst geschehen kann, wird Meistermann selbst zu entscheiden haben. Es wären — dessen ist sich wohl niemand bewußter als er — Schritte auf einem schwindelerregend schmalen Grat. Conrad Westpfahl Das Geschehen ist das Ereignis des Bild-Raumes Conrad Weslpfahl ist einer der führenden Ver treter der gegenstandslosen Kunst in Deutschland. Wir haben ihn gebeten, sich zum Thema »Warum malen wir gegenstandslos?" zu äußern. /""s kann von keinem Gegenstand ausgegangen 'V L werden, weil ein vorstellbarer Gegenstand einem anderen Bereich als dem des Geschehens angehört. Vorstellbares ist vor uns, vor uns hin-, vor- und weg gestellt, es kann beobachtet werden, es kann gestellt werden wie ein Wild, es kann nicht ins Geschehen gerissen werden, denn dann entschwindet es als Vor gestelltes. Vorgestelltes kann aber nachgemacht wer den, irgendwie, niemals so, in solchen Graden, wie es vorgestellt worden ist. Es wird dann noch einmal und schlechter vorhanden sein: ohne das Traumhafte, ohne das Auftauchen, das eben zur Vorstellung aufgestie gen und sein Auftauchen in eben dieser Vorstellung beendet hat. Der eigentliche Schaffungsprozeß liegt sozusagen vor ihm, nicht in ihm und kann nach ihm nicht noch einmal anfangen. Auf den Anfang aber kommt es an. Schaffen heißt, etwas heraufbringen, was nicht war; anfangen heißt, Entscheidungen fällen. Warum: unbekannt, wohin: unbekannt. Das un bekannte „Wohin" ist der Sog, dem der Schaffende folgt, wenn er aus sich heraus und in ein anderes

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