Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 3

Meistermannschen Farben mit ihrer freudigen Leucht kraft den glücklichsten Akzent. Mir will vorkommen, daß nicht von ungfeöhr ein Fenster in einem Profan bau die Formtendenzen dieser Periode seines Schaf fens am überzeugendsten zur Darstellung bringt. Um das Jahr 1954 hat sich bei Meistermann durch Verschärfung der Spannung zwischen den einzelnen Bildelementen, durch Reduktion: der Naturformen auf anorganische Raumkörper und nahezu geometrisch bestimmbare Flächen, d. h. also durch progressive Ausklammerung aller dem Natursinn entgegenkom menden imaginativen Brücken ein härterer Bildstil ausgeprägt, der dem Bildgeschehen, verglichen mit der fast spielerischen Positivität der vorausgehenden Bilderreihe, eine jäh aufreißende Dramatik verleiht: Die Raumtiefe wird kälter, gefährlicher, das Verhält nis der Bildpläne zerklüfteter, und schon zeigen sich an Stelle der organischen Formzüge Anspielungen auf konstruktive Elemente der Architektur. Ein Bild wie „Das große Tau" (1954) zeigt, daß hier der Gegen stand, soweit ein solcher noch angespielt wird, eine viel intensivere Verweisungskraft auf einen bestimm ten Inhalt erhält: hier durch das mächtig vor den letzten Hintergrund gestellte Tau (T), als Kreuz, Fen sterkreuz, Andreaskreuz usw. abgewandelt, nahezu einen religiösen Gehalt gegenwärtig setzt. — Je mehr der Gegenstandscharakter des Bildelements zurück genommen wird, um so größer wird diese Verwei sungskraft. Und hier scheint ein Punkt erreicht, wo die Formen in ihrem schwer bestimmbaren Raum zusammenhang symbolische Bedeutsamkeit anneh men. Und so ist es nur folgerichtig, wenn man in diese Periode die bis dahin intensivsten religiösen Darstellungen Meistermanns ansetzt: die Glasfenster, vor allem das große Chorfenster von St. Kilian in Schweinfurt, und das Wandbild an der Chorrückwand von St. Alfons in Würzburg. Was dieses betrifft, so war der Maler sich des Wagnisses wohl bewußt, auf einer riesigen Fläche (20X10 m) über dem Altar einer betont als Kultraum konzipierten Kirche ein Thema der Apokalypse, die Verherrlichung des geschlachteten Lammes, darzustellen. Meistermann hat hier zweifellos seine äußersten Formkräfte eingesetzt, und es ist ebenso unbezweifelbar, daß diese riesige Fläche einem monumentalen Zug gehorcht, der die drei Zonen des Bildes: die übernatürliche Ferne, aus der die vier Engel treten, den eigentlichen Verklärungs raum in der Mitte und unten das „gläserne Meer" machtvoll genug zusammenhält, um das eigentliche Ereignis im Mittelfeld: die Gottesepiphanie und den Herrschaftsantritt des geschlachteten Lammes hervor treten zu lassen. Das von beiden Seiten einfallende Licht gibt dem beherrschenden Weiß seine Funktion', das Zentralgeschehen in diesem besonderen Raum zu stellen, der diesem erhabenen Vorgang allein ange messen scheint. Genau besehen, ist es jedoch gar kein Raum mehr, sondern ein Gefüge von lichtvollen himmlischen Wesen: die 24 Ältesten und zahllose Engelgestalten, die sich so dicht aneinanderschließen, daß kaum noch Durchblick auf einen Hintergrund raum bleibt. Damit ist das angestrebt, was ihm in St. Kilian in Schweinfurt das Glasfenster vom Material her bot, die Lichtfolie der Ewigkeit, und was in den altchristlichen Mosaik- und Freskobildern der Gold oder Blaugrund bewirkte. Die Frage, die sich dem Künstler höchst bedrohlich stellte, war nur, wie sich gegen diesen Herrlichkeitsraum das Herrlichkeits geschehen der Mitte noch augensinnlich dartun ließe. Daß hier die Kraft des Künstlers versagte, vielleicht aus einer viel tiefer gelagerten Schwierigkeit, die nicht mehr im individuellen Vermögen des Künstlers zu suchen ist, versagen mußte, gibt noch lange kein Recht, die Großartigkeit dieses Versuches anzu zweifeln. Meistermann ist auf eine viel strengere Weise mit sich ins Gericht gegangen, als es je ein Kritiker ver mocht hätte. Seit 1955 bekommt das Tafelbild in seinem Schaffen ganz unzweideutig das Übergewicht und wird jetzt zum Experimentierfeld, um äußerste Formerfahrungen durchzuproben. Die Reduktion auf die Grundformen geht jetzt immer radikaler vor sich, der Gegenstand hebt sich jetzt immer eindeutiger auf das allein noch Ernstzunehmende, den Raum hin auf, der nun auf seine letzte Aussagekraft abgetastet wird. Um nicht von diesem Geschehen abzulenken, werden die Bilder — „Grundriß", „Raumplan" sind jetzt charakteristische Bezeichnungen — trocken, die Flä chen gespant, bis zu metallischer Kälte, die Farbe so dicht, daß die tragenden Formen ihre raumerschlie ßende Funktion im Höchstmaß erfüllen können (vgl. „Grundriß", 1956, Abb. 25). Raumerschließung ist hier wirklich als Vorgang gemeint. Formen und Farben werden für den Beschauer selbsttätig, wechseln ge legentlich ihre Funktion aus: die Fläche, die den Vordergrund beherrscht, springt unversehens durch Hinzutreten eines neuen Formelementes in die Tiefe zurück, wie sich ebenso das Umgekehrte ereignen kann, und so gerät der Betrachter in die gleiche Bewegung, die beim Künstler den schöpferischen Vor gang ausgelöst hat. Bemerkenswert an der Raum darstellung dieser Bilder ist, daß sie das Höchst bedrohliche unseres Einbezogenseins in diesen Raum härtester Spannungen zur Erfahrung bringen, nie jedoch das Gefühl der ünausweichlichkeit aufkommen lassen, wie es sich dem Betrachter vor den mörde rischen Raumverzahnungen der Konstruktivisten, etwa Magnellis aufdrängt. Der Raum Meistermanns ist in Bewegung, und in welches Geschick er uns führt, ein gnädiges oder gnadeloses, ist völlig offengelassen. Man spürt, daß Meistermann auf einem Wege ist, auf den er sich auf alle Risiken eines äußersten Ein satzes gewiesen weiß. So wird Schritt für Schritt ge tan, die Farbigkeit aus der beherrschenden Funktion

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