Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 3

Formfindungen, zu denen Meistermann die Leere der Leinwand, und denen, auf die ihn die harten Erfor dernisse des vorgegebenen architektonischen Raumes für das Glasfenster gedrängt haben. Schritt für Schritt nachzuweisen. Sicher ist, daß man dem ganzen Umfang seiner substantiellen Formmöglichkeiten nicht gerecht wird, vielleicht sogar seinem eigentlichen Formanliegen nicht beikommen kann, wenn man diese beiden Seiten seines Schaffens nicht streng parallel durchverfolgt. Es würde sich zeigen lassen, daß sich die Etappen seines Formenweges, die Umbrüche und Ausschläge, in denen sich sein heftiges Verlangen nach Selbstauslegung wie nach Weltauslegung — hier wird beides eines — oft extrem vertobt, in genauer Analogie in der Folge seiner Tafelbilder wie in der seiner Glasfenster darstellen. Ein entscheidender Unter schied ist jedoch zu beachten: die eigentliche Evolution der Formen, die nicht ohne dos bewußte Experiment zustandekommt, wird auf der Leinwand oder gar auf dem Blatt des Graphikers vorgetrieben. Das Glas fenster entfaltet jeweils errungene Formmöglichkeiten. Aber im freien Entfalten solch gesicherter Ergebnisse wird nicht selten, wie mir scheint, der Punkt erreicht, wo dem Künstler die Grenze gerade dieser Lösungen des nothaften Formendranges peinlich scharf fühlbar geworden ist. Es lassen sich, um wenigstens einige Parallelen an zudeuten und zugleich, sehr summarisch allerdings, die entscheidenden Etappen des Meistermannschen For menweges festzulegen, durchaus Entsprechungen zwi schen den Bildern der Jahre 1944—1947, dem Bild „Fenster* von 1946 (Abb. 24) etwa und den Fenstern, mit denen er die spätromanische „Feldkirche" auf den Höhen nördlich von Neuwied ausgestattet hat, nach weisen. Die breiten Farbbahnen auf den Bildern jener Jahre, die von zwei oder drei Punkten aus die Bild fläche in jähen Kurven überziehen und die nur noch angedeuteten Landschaftselemente umgreifen, zusam menrücken und in herrischer Umschlingung Einzel gegenstände wie Haus, Baum, Acker, Wiese, Weg zu Dingmustern zusammendrängen, schaffen ein unge mein dichtes Gefüge von einander zugeordneten For men, die auf dem Bild einen überzeugenden Raum sinn gewinnen. Man braucht diese Farbbahnen nur zum Schwarz der Bleistege und Schwarzlotstriche zu verdichten, um das Gerüst eines Fensters aus der gleichen Schaffenszeit Meistermanns zu erhalten. Doch mit dieser leichten Veränderung ist bereits der Raum sinn des Bildes aufgehoben: die systematisch geführ ten Farbbahnen bringen durch gegenseitige Über schneidungen und Verklammerungen, die nur farbig eindeutig zu demonstrieren sind, den ganzen Bild raum in Bewegung, fangen Tiefe ein und entfernen wieder, so daß gegenüber diesem Vorgang die Gegenstandsembleme, die sich ergeben haben, an Wichtigkeit verlieren und der Betrachter ganz von dem Erregenden der Raumgewinnung gefangen ge nommen wird. Im Fenster der Feldkirche aus der gleichen Zeit, dem „Schöpfungsfenster" oder dem „Sakramentsfenster" etwa, faßt das Gerüst der Blei stege und Schwarzlotstriche die angedeuteten Gegen stände: Scholle-Welle-Wolke oder Ähre-Traube so direkt, daß sie ganz unverkennbar als das eigentlich Darzustellende erscheinen, allerdings nicht einsinnig als diese Gegenstände: die Macht des die Farben durchdringenden Lichts, das vom Naturraum her ein bricht, gibt ihnen Transparenz und Unergründlichkeit des Symbols. Diese Überführung ins Symbol ist nur die Fortführung der Raumsymbolik, die dieser schönen Kirche des 13. Jahrhunderts eigen ist und die Meister mann nur im innigen Konspirieren mit dem Raumsinn des Gotteshauses gewinnen konnte. Meistermann hat in einer weiteren Stufe, die, grob gerechnet, die Jahre 1948—1953 umfaßt (sie schließt noch einige Zwischenstufen ein, die Carl Liefert in seiner Monographie über Meistermann [Verlag Aurel Bongers, Recklinghausen, 1958] sehr subtil beschrieben hat), den Vorgang der Raumgewinnung aus der Ver klammerung der Bildgründe gelöst und rein der Eigenbewegung der völlig frei auf Gegenstände der organischen Natur anspielenden Form oder richtiger Formgebärde anvertraut. In keiner Periode war Meistermann so versucht, dem Einfallsreichtum der organischen Natur nachzueifern wie in dieser: Blatt, Stengel, Knospe, Blütenkelch, Flosse, Auge, Flügel, der ganze Naturschoß erzeugt einen Wirbel unge ahnter Kombinationen zwischen Formen, der nur durch die Farbe eine oft überraschende Ordnung erfährt. Der Raum, der sich als Tiefe hinter diesem rhythmischen Vorgang andeutet, ist kein Leerraum — die Naturform schlägt durch die Muster so eindeutig durch, daß die Assoziation des reinen Raumes gar nicht aufkommen mag —, er hat vielmehr das WarmBergende der Keimkammer, die sich um ein begin nendes Wachstum schließt. Bildnerisch wird das Form ereignis artikuliert durch die physiognomischen Züge der angespielten Naturdinge, die aber im Illustrativen blieben, wenn sie nicht, wie gesagt, durch die Farbe, die hier meist sehr positiv, grundakkordig eingesetzt wird, in einen übergeordneten Zusammenhang kämen. Die Bilder dieser Periode leben so sehr von der raumentfaltenden Kraft der Farbe, daß, wo diese nachläßt, der Eindruck einer starren Wirrnis entsteht. Vergleicht man mit den Bildern dieser Periode das große Treppenhausfenster im Kölner Rundfunkhaus von 1952, so ist die formale Analogie mit Händen zu greifen: Das Bildereignis ist die freie Entfaltung von lose an Gegenstände anspielende Formen über eine riesige, durch mehrere Stockwerke durchlaufende leicht getönte Glasfläche hin. Man muß sich die Kaskaden von Bildeinfällen treppensteigend erschlie ßen und die Einheit dieses großflächigen Entwurfs selbsttätig herstellen. Hier setzt wirklich zur Positivität des modernen Profanbaues die Positivität der

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