Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 3

jeweils eigenen, aus der Tiefe der Substanz bestimm ten Formengang fortentwickelt zum Verweisungszei chen für einen als wirklich erfahrenen Inhalt, der nur in dieser Form festgehalten, nie aber auch noch anders „übersetzt" werden kann. Man wird der künstlerischen Leistung Meistermanns nicht gerecht, wenn man sein Schaffen nicht im Zu sammenhang mit diesem geschichtlichen Auftrag sieht. Die oft überraschenden V/andlungen seiner Formen sprache folgen der Dynamik, die durch dieses geheime Diktat ausgelöst ist, und die heftigen Ausschläge dieser Bewegung verstehen sich wohl nur aus dem verbissenen Bemühen, bildnerisch immer neu die Stelle zu besetzen, wo die Stimme, wenn sie im Getümmel von Schicksal und künstlerischer Selbstbehauptung unterzugehen droht, wieder deutlich vernehmbar wird. Meistermann ist ein mit Lust weltlicher Künstler, wenn auch sein innerster Auftrag, wie man glauben darf, ein geistlicher ist, und aus dieser herausfordernden Gegensätzlichkeit erklärt sich, daß sein Gehorsam gegen jenen Auftrag stets erkämpft werden muß. Stetigkeit ist nur im schonungslosen Einsatz des Eigenen, der allein Meistermann befähigt, sich Form elemente einer anderen Sprache souverän anzuverwandeln. Meistermann, 1911 in Solingen geboren, hat noch vor dem Jahre 1933 sein Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie begonnen, dann infolge der Zeitereig nisse abbrechen müssen. V^fas er seinen Lehrern Hein rich Nauen und Ewald Matare verdankt, Elemente der Gestik mehr als entscheidende Formimpulse, reicht jedenfalls nicht hin, das erstaunlich Eigene schon so früher Bilder wie der V\finterlandschaft von 1937 zu erklären (Abb. 23). Die Art, wie hier hinter einem starr den Bildraum verriegelnden Fensterkreuz der farbige Kontur geführt und dadurch Raumtiefe in die Bildnähe herangeholt und zugleich an eine größere Tiefe freigegeben wird, verrät, daß auf diesem ge genständlichen Bild der eigentliche Gegenstand der Raum ist. — Die herrische Aufteilung des Bildfeldes ist unverkennbar die Antwort auf die übermächtigung durch den horror vacui, der nicht von ungefähr einer der gewaltigsten Beweger im Bereich der modernen, vielleicht sogar überhaupt der neuzeitlichen Malerei ist. Es geht bei jedem Ausgriff auf den Raum im Bild darum, diese Leere innerlich zu besetzen, aus dem Leerraum den angeeigneten Binnen- oder Herzraum zu machen. Hier auf dieser frühen Stufe ist das Gegen ständliche der Widerhalt, an dem sich Schrecken und Zuversicht kanten. Doch das ist nur der Beginn des Abenteuers, das in Bildern der beiden letzten Jahre mit der Schaffung von Raum allein durch die Farbe, die Intensitätsstufen der Farbe, vorerst einen so kaum geahnten Höhepunkt erreicht hat. Daß Meistermann zur gleichen Zeit, da seine ersten vollgültigen Bilder entstanden, zur Glasmalerei ge kommen ist, mag äußere Anlässe gehabt haben; der ursprüngliche Antrieb, so darf man, vom Tafelbild Meistermanns herkommend, annehmen, ist die im Glasfenster entscheidend erweiterte Möglichkeit, die Raumerfahrung schöpferisch durchzuproben. Denn in bezug auf die Funktion des Raumes verhalten sich Tafelbild und Glasfenster komplementär. Im Tafel bild ist der Raum stets Ereignis, niemals Vargegebenes; alle Primärelemente des Malens wirken zusammen, den Raum überhaupt erst zu schaffen. Das gilt für den illusionären perspektivischen Raum der alten Malerei nicht anders als für die Simultan räume des Kubismus und schließlich für den sehr besonderen Raum, der auf den gültigsten der tachistischen Bilder erfahrbar wird, der Raum, der aus dem Selbsterlebnis des Körpers erwächst und sich im Transponieren solcher Leiberfahrungen in Sichtbares progressiv erstellt. — Im Glasfenster wird vorge gebener Raum, architektonischer Innenraum auf ihm analoge Funktionen reduziert und wie durch das Kristallgitter der Formen mit dem Licht an den Natur raum vermittelt. — Man darf nun sagen. Meistermann hat aus einer echten gestalterischen Not beide Rich tungen der malerischen Betätigung eingeschlagen: Um der Versuchung zu entgehen, im Bild den Raum zu Formkristallen erstarren zu lassen, so daß der Raum als Fertiges, Gegebenes seinen Ereignischarakter ver löre, vollzieht er, vom vorgegebenen (architektoni schen) Raum ausgehend, im Glasfenster den Kristalli sationsprozeß zum Bildgefüge, das, um zur dynami schen Entfaltung zu kommen, der Gnade des Lichtes bedarf. Daß Meistermann sich in den letzten Jahren zu einer so konsequenten Erprobung der raum schaffenden Energien in seiner Tafelmalerei konzen trieren konnte, verdankt er zweifellos dem Umstand, daß er in großen Glasfensterentwürfen der vorher gehenden Jahre diesen Formentrieb ausleben konnte. Es braucht darum nicht abgestritten zu werden, daß die Verbindung beider Tätigkeiten auch Gefahren der Vermischung, unerlaubter Transpositionen jeweils be sonderer Formmöglichkeiten in sich birgt. Aber Meistermann ist ein zu intelligenter und zugleich ge triebener Maler, als daß man gelegentliche Ver mischungen ernster beurteilen dürfte denn als ein zeitweiliges Versagen der geforderten Trennkraft. Die Entschiedenheit seines Formenganges auf diesen bei den komplementären Wegen wegen solcher Grenz verwischungen in Frage zu steilem, wäre mehr als kurzschlüssig. Das Verbindende zwischen beiden Be tätigungen, das uns erlaubt, hier von einem bild nerischen Werk zu sprechen, liegt in dem innersten Gestus der Meistermannschen Formsprache, den er im Fenster so wenig verleugnen kann wie auf der Lein wand: jene frei ausgreifende Bewegung, die nie auf eine Grenze, sondern auf den denkbar offensten Raum bezogen ist. Es ist in dem engen Rahmen dieser Betrachtung nicht möglich, die Korrespondenzen zwischen den

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