Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 3

„natura naturans" auseinandersetzt, hat auch die Kunst ihren „Gegen-Stand" ins innere, Gesetz liche und Urbildliche vorverlegt. Wer daher verlangt, sie habe in diesem spezifischen Gerichtetsein, das vielleicht sogar als Frevel gebrandmarkt wird, vor der christlichen Thematik haltzumachen, der ver urteilt von vornherein die auf eine solche Thematik bezogene Kunst zur Sterilität, zur Künstelei oder zu modischen Frisierversuchen. Alfred Manessier liefert nun den schlüssigen Beweis dafür, daß die Entfernung von der Bildersprache der natürlichen Erscheinungswelt weder eine Entfernung von der Schöpfung als Schöpfung noch etwa eine Preisgabe jener Thematik ist, sondern nur neue Aspekte aktiv und sichtbar werden läßt. Ob diese reicher und wesentlicher sind als die früherer Zeiten oder nicht, steht gor nicht zur Debatte. Entscheidend ist, daß es die Aspekte aus dem bildnerischen Forschungs-, Erkenntnis- und Gestaltungsstand von heute sind, ohne daß damit auch nur dos Geringste gegen olle ehrlichen Ausklänge früherer bildnerischer Forschungs-, Erkenntnis- und Gestaltweisen in diesem Heute gesagt sein soll. Manessier jedenfalls hat auf Grund seiner geistigen und praktischen Befassung mit den malerischen Mit teln an sich und als selbständigen Bild-„Vokabeln" und „Dichtungs"-Elementen eine solche Durchgeistigung und Beseelung aller Bildgestaltbezüge erreicht, daß sie tatsächlich sowohl „physisch" als auch „meta physisch" lichtempfänglich und -durchlässig wurden. Ihm gelang es also, was ihn übrigens nicht unwesent lich von seinen beiden Kameraden auf dem Wege zu einem neuen religiösen Bildausdruck, von Jean Bozoine und Gustave Singier unterscheidet, nicht nur die Vordergründigkeit der Naturerscheinung, sondern auch den Stofflichkeitscharakter der bildnerischen Mittel, also vor ollem der Farben, gleichsam hinter sich zu lassen und sie ganz im Sinne ihrer Gleichnishoftigkeit, ihres geheimnisvollen Schöpfungsbezuges, ihrer Geisthoftigkeit einzusetzen und als Zeichen einer höheren Ordnung aufeinander abzustimmen. Dos sei nun an einem Bildbeispiel erläutert. Monessiers „Gethsemane", von dem es mehrere Fassungen, darunter die einer bei der „Guilde de la Gravüre", übrigens auch in zwei Farbgebungen, erschienenen farbigen Lithographie gibt — von der dunklen Aus gabe ist hier die Rede —, weicht völlig von der sonst bei diesem Thema üblichen Szenenschilderung ab. Sie ist auf einen schwarzen, Tod und Trauer symbolisie renden und doch gleichsam von hinten her angestrahl ten Grund gesetzt. Dieses Licht bricht in edelstein gleichen, meist rechteckigen, ober verschieden großen und gelagerten Einsprengseln eines leuchtenden Gelb, eines heiteren Blau und eines zarten ins Rosa spie lenden Violett durch die Schwärze des Grundes glasfensterartig in den Bildraum ein, der in der Haupt sache von einer nur ganz entfernt auf eine mensch liche Gestalt beziehbaren liegenden Figur in dunklem Meergrün beherrscht wird. Einer von links unten nach rechts oben strebenden Gebärde läuft eine von rechts oben noch links unten zielende Gegenbewegung parallel. In diese Gesamt-„Figur" sind schwarze, ober an den Rändern gelegentlich in einen blauen Schim mer ausstrahlende, zeichenhafte Gebilde hinein gesetzt, die die Kreuze von Golgatha, die Marter werkzeuge, Waffen der Soldaten und die Ideen wie von zwei Engeln sozusagen bedeutungsweise ahnen lassen, ohne den Betrachter unbedingt auf konkrete Vorstellungen zu verpflichten. Von dem Schwarz und dem Meergrün aber, von den dämmernden Rändern und den leuchtenden Gelbs, Blaus und Violetts, die sich da kontrapunktisch begegnen und stützen zu gleich, von der Spannung zwischen den schwer lasten den und den blitzenden Formen geht eine solche Kraft und Tiefe der Bildaussage aus, daß man tat sächlich das Gethsemane Gestalt und Gegenwart geworden erleben kann. Selbst wenn man nicht den Titel des Blattes wüßte, würde doch der Kontrast von tiefster Bedrängnis und gleichzeitiger Heilsgewißheit als das zentrale Bildthema offenkundig werden, weil hier das Dunkle und das Helle nicht nur ihre Trans parenz, sondern auch eben die Beziehung zur Trans zendenz gewannen. Manessiers Verhältnis zum Glasfenster ist daher durchaus wesenhaft durch die „Lichtsättigung" und -durchlässigkeit seiner Farbbehandlung und diese wieder durch die Geistdurchlässigkeit und -erfülltheit seines bildnerischen Tuns bedingt. Dieses als solches ist damit in den Bereich der Gleichnishaftigkeit er hoben. Da wird gar nicht mehr bloß Bezug genommen auf irgend welche Bekenntnisziele, wie das sonst in der religiösen Malerei die Regel ist, sondern es be dient sich vielmehr (in den wirklich gelungenen Arbei ten) — so hat es wenigstens den Anschein — das Sein, die geistige Welt in Alfred Manessier der bild nerischen Mittel, um sich, im Ausmaß und in der Art seines „Geist-Spektrums" anschaulich kundzutun. Insofern hat natürlich Manessier nichts mit dem gemein, was bei den Angelsachsen „action-painting" und bei den Deutschen „aktiv-abstrakt" heißt, denn es geht bei ihm keineswegs um einen wenn auch kontrollierten „Automatismus" des Bildvollzuges. Genau so wenig aber kann man bei ihm von einem antezipierten Bildkonzept, von einer sozusagen fer tigen Themenstellung sprechen. Gestaltbildungen jedenfalls, wie sie sich in Manessiers 1949 entstan dener und geradezu erschütternder Folge von sieben fünffarbigen Lithos zum Osterthema ergeben haben, oder wie sie in den immer wieder aufgegriffenen Motiven der „Litanies vesperales" oder „Offrande du soir", der abendlichen Litaneien und Opfergaben von 1949, 1951 und 1957 (?) sichtbar werden, sind nur aus einem geistigen und seelischen Geführtsein wäh rend des Schaffens abzuleiten und weder als Reali-

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