Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 2

Jorg Lampe Galerie St. Stephan 1959 Die Wiener Galerie St. Stephan, die sich seit geraumer Zeit, wenn auch nicht immer mit demselben Effekt und Erfolg, darum bemüht, die wesentlichen bildnerischen Be strebungen, Probleme und Experimente unserer Tage an schaulich zu machen und zur Diskussion zu stellen, hat dos Jahr 1959 mit einer Ausstellung von Gouachen und Graphiken von Wols (Wolfgang Schulze) begonnen, die auf weitgehende Beachtung stieß. Konnte sie sich gewiß auch nicht mit der großen Wols-Ausstellung der vorjäh rigen Biennale in Venedig messen, so ließ sie doch die bildnerischen Intentionen von Wols, der 1913 in Berlin ge boren und 1951 in Poris gestorben ist, unmißverständlich in Erscheinung treten. Für Wols, der bildnerisch vom späten Berliner Bauhaus herkam und in der ersten Zeit nach seiner Übersiedlung nach Paris (1931/32) den Surrealisten nahestand, vor allem aber sich zum Zen-Buddhismus hingezogen fühlte, ging es um mehr als um den Niederschlag von Traumwelt und Unterbewußtsein, weil um etwas anderes als eine bloße Ausleuchtung des Menschlichen in allen seinen Dimen sionen. Wie der Mensch des Ostens vielmehr wollte er mit dem Kosmos, mit der Schöpfung, mit dem Too, oder wie immer man das tätige Sein und seine Ordnung nennen will, in Übereinstimmung gelangen und aus dieser her aus auch seine Bildnereien weniger schaffen als ge schehen lassen, was schon durch einen Satz wie „Anstren gung verhindert die Vollkommenheit" hinreichend be leuchtet wird. Auf allen und zumal auf den graphischen Arbeiten von Wols, seit er sich vom Surrealismus löste, der ihm begreif licherweise zu eng und selbstgefällig erscheinen mußte, findet man daher sozusagen das Bildnerische selbst und aus sich heraus am Werke. Wohl sind sie eine Art von Psychogrammen, aber nicht aus Psychoanalyse, sondern weil eben die Seele der Ort ist, an dem sich „das Bild nerische" in einem dem Menschen zugänglichen Maße mitteilt, wenn nicht gar vollzieht. Das freilich setzt einen nicht alltäglichen Gehorsam und eine tiefe Stille und Hin gabefreudigkeit voraus, die Wols selber in seiner Ein samkeit sich oft nur unter Zuhilfenahme alkoholischer Ge tränke verschaffen konnte. Aber wie ernst es ihm um ein wirkliches Horchen und Gehorchen dem spontanen sich Bilden gegenüber war, das geht aus einem fast resignier ten und zugleich bewundernden Ausruf vor einem Freunde beim Anblick einer verwitterten Pariser Häusermauer her vor: „So weit werde ich's nie bringen." Der Wols-Ausstellung folgte eine solche des jetzt drei ßigjährigen Wiener Malers Josef Mikl mit rund 40 Bil dern, die die größeren und die kleinen Formate trennte. Mikl, der sehr konstruktiv begonnen hotte und sich sicht lich von der Welt der Technik stark beeindruckt zeigte, ging später zu einer organischeren, weil den Knochenbau systemen verwandten Strukturierung über, die zum Teil auch noch in seinen heutigen Zeichnungen fortlebt. Die Farbe wurde ihm eigentlich erst seit seiner Beschäftigung mit dem Glasfenster (deren zwei er beispielsweise für die Pfarrkirche in Salzburg-Parsch schuf) erschlossen. Die neue Ausstellung in der Galerie St. Stephan macht diesen Umschwung deutlich. Von der Farbe her haben sich die strengen Formen aufgelöst und manchmal, zumal auf den großen Bildern, fast sogar einer gewissen Chaotik Platz gemacht, ein Eindruck, der vielleicht nur dadurch entsteht, daß das „Auflösen" weniger eine Sache Mikls zu sein scheint als das Bauen, dessen Betätigung er aller dings auch auf den großen Formaten nicht ganz ver leugnen kann. Die kleinen Bilder aber wirken reicher und geschlos sener. Hier binden und schließen sich die Farben und die Formen zusammen, und ein fast einheitliches Strömen und Leuchten läßt sie wie aus einem Kern gewachsen sein. Es ist daher anzunehmen, daß Mikl wieder zu einem exakteren Formbau gelangen wird, wenn er erst einmal die Farbe ganz erarbeitet und gewonnen hat. Dieser Formbau muß nicht wieder konstruktiv, er kann auch „frei" sein, aber ohne ihn wird sich Mikl auf die Dauer nicht voll entfalten können. In der nächsten Ausstellung brachte die Galerie St. Ste phan den jungen Wiener Maler Peter Bischof heraus, der bisher nur mit einzelnen Arbeiten hervorgetreten war. Bischof, der durchaus redlich wirkt, was bei neu auftre tenden Leuten nicht immer selbstverständlich ist, weist ein anderes Temperament als Mikl auf. Seine emotionellere Art steht Soulages, Gerard Schneider, Hans Hortung oder dem Amerikaner Franz Kline nahe. Seine Formen oder richtiger: seine Erregungs-Ausstrahlungen haben etwas mit Unterholz, Gestrüpp und grober Sponflechterei zu tun. Es wird sich freilich erst zeigen müssen, wohin es von da aus weiter gehen wird, eine Frage, die sich vor vielen jungen Bildnern von heute stellt, weil sie oft ohne ein ordentliches „Woher" auch kein ordentliches „Wohin" zu bieten zu haben scheinen. Da aber Bischof redlich wirkt, wird er sich diese Frage sicher selber stellen. Die jüngste Ausstellung der Galerie St. Stephan bestand eigentlich in der Hauptsache in einer Vernissage. Georges Mathieu, der 1921 geborene Pariser Maler und Tachist, malte in 50 Minuten ein 6X2.50 m großes Bild tachistischer Manier im vollbesetzten Fleischmarkttheater vor einem sichtlich interessierten, ober ebenso sichtlich gemischten Publikum. Es war ein gigantischer Kampf artistischen Exhibitionismus', dem man, ohne freilich dos Gefühl der Peinlichkeit loszuwerden, die Bewunderung nicht versagen konnte. Der Versuch, in 50 Minuten eine solche Fläche zu bewältigen, gelang und mißlang zugleich. Er gelang, weil tatsächlich ein erstaunliches Ergebnis zustandekam, und er mißlang insofern, als erstens ungezählte Schwünge des direkt aus der Tube malenden Armes vergeblich waren, weil die Tube streikte, und als zweitens der Mangel an Muße an vielen Stellen ein Zuviel an schriftzeichenähnlicher Figuration hervorrief, so daß diese Stellen aus gesprochen patzig und überladen wirkten. Ob es im übri gen selbst einem Genie gut bekäme, auf einer Bühne seine Emotionen vorzuhüpfen und vorzuschwitzen, ist eine Frage, auf die man schwerlich ein Ja zu finden in der Lage wäre. Draufzahlen wird dabei freilich nur Georges Mathieu selber. Kein Grund also zur Entrüstung, weil man die Kunst nicht zu „retten" braucht. S i e hält den Zirkus

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