Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 2

Körperliche, in das sie gebettet ist und das sie durch dringt, nicht beherrscht, um ihre eigene Gesetzlichkeit zu entfalten. Freud hat Tiefenstockwerke der Seele erforscht und dort den beherrschenden erotischen Trieb entdeckt; er schuf eine Mythologie seiner Entdeckung, die sich in Lehr- und Schulbüchern verfestigte. Die surrealistische Bewegung hat ihn zum Vater und Magister erwählt. Aber die Mysterien des Fleisches, die dort zelebriert werden, zeigen bald ihren wahren Charakter: das Tödliche und das Paranoische. Geruch der Verwesung und Flügelschlag des Irrsinns durchdringt ihre Gebilde und Objekte, die Fetische einer irreligiösen Religion sind. Und nicht zu vergessen: hier regiert die Melancholie der Vergeblichkeit und des Nichtsinns. In den trüben chaotischen Seelen dschungeln nistet eine stumme Art von Verzweiflung; eine Verzweiflung, die Rebellion bedeutet. Angelpunkt Fleisch: es zieht in seinen triebhaften Zuständen Zerstörungswillen, Todessucht, Drang zum Nichts und die Absage an einen göttlichen Sinn des Ganzen nach sich. Die Kurtisane Baby lon ist der Inbegriff des „Ehebruchs" der Schöpfung von ihrem Schöpfer weg in die Unterwelt fleischlich-geistiger Götzendienste, in unterirdischen Höhlen der Seele spielen Feste der Dämonen. Ernst Fuchs entringt sich mit Mühe der Faszination dieser Mysterien in den Blättern über dos „Einhorn". Es stellt die Natur dar, die, üppig und wuchernd, doch eine todgeweihte ist. Welchen Weg wählt der so Gezeichnete und Verur teilte? Den Weg der Heroisierung des Untergangs, der Umdeutung des Todes in eine Explosion und Fanal des Lebens? Solcher Lügen sind Literaten fähig und ihre Anhänger schaft ist Legion. Der Schicksalsweg des „Einhorns" ist ein realistischer; das Unabwendbare, Unausweichliche der naturhaften Existenz läutert sich in seinen Leiden. Die Dornenkrone taucht auf, das Sinnbild der Sühne. Das Da sein wird ein Purgatorium; Leiden wird Sinn, sinnerfüllter Vorgang des Aufstieges. Nicht mehr eine Signatur von Vergeblichkeit und besiegeltem Untergang. Das Natur hafte läutert sich zum Moralischen. Teufel und Engel kämpfen miteinander (woanders sollte dos Schlachtfeld sein, als in dieser unerforschten und „einzigen" Seele)? Natur kennt keinen Dualismus von gut und böse. Wo er auftritt, ist Menschwerdung im Geiste. Erzengel kämpfen mit Leviathan, mit der alten Schlange der Hybris im Fleische. Gott und Teufel sind nicht dasselbe, und Satan ist nicht die Kehrseite des Lichts. Die Himmel-HölleWelt schließt in sich ein unversöhnliches Entweder-Oder. Licht und Finsternis sind auf immer getrennt und finster ist Negation, nicht Position. Die Frage nach dem see lischen Heil wird unüberhörbar laut. Freilich: Kein gnostischer Seinsdualismus durchzieht diese Welt. Das ist die Alternative der beiden: Fleisches kult als Götzenbildverehrung oder Fleischeshaß in Form von Askese oder Ausschweifung (beides dient der Zerstö rung). Kein böses Prinzip steht als Ursprung und Vater des Sichtbaren, Sinnlichen, Leibhaften. Und der Schöpfer der geistigen, personalen Welt ist auch der Schöpfer des Sichtbaren und Stofflichen. Fleisch ist kein „Nichtseinwol lendes", sondern ein Faktum der Schöpfung, Realität, die verpflichtend zur Kenntnis genommen werden will. Das Fleisch nicht schlecht machen I Volentinus und Moni sind nicht tot in der Geschichte des menschlichen Geistes. Aber der Gott der Bibel sagt „gut" zu jedem Tag seines Schöpfungswerkes und am sechsten Tag sagt er „sehr gut" zu seinen Menschen. „Wachst und mehrt euch und erfüllt die Erde." Nicht von irgendwoher kommt der Geist, sondern aus dem Vorgang der Zeugung und Geburt, mitgegeben dem Tun des Flei sches. „Alles Fleisch wird das Heil Gottes schauen", sogt die Schrift. Das heißt ein zweifaches: daß der Mensch Fleisch ist und daß das Fleisch nicht bloß seinen Kerker bildet, sondern sein Wesen mitformt. Und: daß dieses Fleisch Mensch heilsfähig ist. Dos Heil kommt durch einen Menschen, durch einen „Himmlischen" zwar, dennoch durch einen Menschen, der seinen Leib, dos Instrument des Heiles, nicht von irgendwoher, nicht vom Himmel, sondern aus der Frau, der Jungfrau genommen hat. Caro salutis Cardo, das wahre Fleisch des Christus hat in Ge horsam leidend die Sühne geleistet und das Fleisch wird auferstehen am letzten Tage. Nicht die Unsterblichkeit der Seele, die ein Dogma der Philosophen ist, nützt, sondern die Wiederherstellung des ganzen Menschen, die mit einer Rechtfertigung des Fleisches für immer und ewig verbun den ist. Nicht emigrieren aus dem Leib heißt die Parole, sondern den ganzen Menschen retten. Der Christus weiß sich als Ikone des Vaters auch seiner leiblichen Erschei nung nach: „Philippus" sagt er, „wer mich sieht, sieht den Vater." Er legt auch seinen Körper (in dem er gelitten hat) nicht ab, sondern trägt ihn mit sich in die Herrlichkeit. Deshalb hat diese Kunst auch ewas Liturgisches. Der Kult im Zelt und im Tempel unter dem Priestertum des Aaron war sinnenfällig und geistig zugleich. Und das geistige Opfer des Christus als „Hochpriester nach der Ordnung des Melchisedek" ist geistlich und physisch zu gleich (allen Spiritualisten und ihrer Arroganz zum Trotz). Das Sakramentale benützt das Körperhafte als Symbol und Träger des Geistlichen. Dieser Liturgie sinnt der Künstler in zahlreichen Bildern und Figuren nach. Aller dings könnte das Kultische in Gefahr kommen, Ausdruck und Symbolisierung für Ideologien und Mythologien zu werden. Die Darstellung einer aus der Seele und dem Intellekt erzeugten Welt, die an die Realität von Schöp fung und Geschichte nicht heranreicht und den echten metaphysischen Bezug durch eine introvertierte Seelentiefenwelt ersetzt. Dos verhindert hier den Rückbezug auf das Historische. Nicht nur Himmlisches erscheint in diesen Bildern, die Figur des Kreuzes spielt in ihnen die Rolle eines Ver weises über das Bildhafte hinaus. Das Kreuz und der Gekreuzigte sind mehr als Zeichen für archetypische Vor gänge und Strukturen des seelischen Inneren. Die histo rische Gestalt des Christus als des Erfüllers und der Fülle der Zeiten, verknüpft das Heil der Seele mit jener ge schichtlichen Wirklichkeit, die der Ursprung allen Kultes ist, dem Ereignis von Golgatha. Der Mythos beschreibt Natur und Seelenmächte; Meditation, Spekulation und Mystik trachten, im Seelengrunde die Gottheit zu ent decken und zu schauen; die Zirkel des Inneren aber durch bricht allein das Ereignis der Auferstehung des Gekreu zigten als ein Einbruch in die Seelenwelt von außen und oben. Trotzdem bleibt das Göttliche immer noch Gegenstand des Glaubens. Das Geheimnis wird wirksam, aber bleibt verborgen. Der Gott und Vater kann mit den Augen nicht geschaut werden, weder mit denen des Historikers, noch mit denen der Augenzeugen des Wunders. Der Christus selbst will „Weg" und „Engel", d. h. „Bote des Bundes" sein. Das „Zeige uns den Vater* ist in seiner geschicht lichen Erscheinung erfüllt und noch nicht erfüllt. Es steht der Tag noch aus, dessen Name „Gott olles in allem" lautet. Prophetische Visionen und Manifestationen von Engeln sind Vorläuflgkeiten auf den Tag ohne Bilder und Vorhänge hin, den Tag des „von Angesicht zu Angesicht". Eine große intellektuelle Anstrengung liegt in den Arbeiten von Ernst Fuchs, ein weiter geistiger Weg wurde in ihnen begangen: aus der dämonischen Gnosis surreali stischer Mythen zur öberwirklichung des Spirituellen, aber die Realität des Fleisches bleibt in beiden Fällen gewahrt. Das eine Mal wird sie zum Ausgangspunkt heilloser intro vertierter Spekulationen, dos andere Mal zum Angelpunkt einer wahrhaften metaphysischen Wandlung.

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