Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 2

ganz anderen Gottesdienstvorstellungen aus gebaut worden sind. Vor welche seelsorglichen Probleme stellt uns der schmale romanische oder gotische Langhaus bau mit dem tiefen Presbyterium! Kaum ein Drittel der Gläubigen kann mit den Augen dem Gang der heiligen Handlung auf dem Altar folgen. Die Ehr furcht vor der künstlerischen Kraft unserer Vorfahren hält uns zurück, neue Gestaltungen zu wagen trotz der Unzulänglichkeit des Raumes für unsere Gottes dienstform. Aber vor Imitationen ist Ehrfurcht nicht am Platzl Kopien und Kompilationen verdienen keine Schonung. Hier fordert der neue Gottesdienst gebie terisch sein Recht. Unsere Zeit hat einen lebendigeren Sinn dafür, daß die sichtbaren Dinge nicht Belanglosigkeiten, sondern Gleichnisse sind. Man darf sie deswegen nicht ver flüchtigen, sondern muß ihnen ihre saftige Wirklich keit lassen oder wiedergeben, damit sie uns von der unsichtbaren Wirklichkeit künden. Blaß-Formen, MischFormen sagen uns nichts mehr. Wir suchen die reine, anschauliche, gleichnishafte Form. Tisch soll wieder Tisch und nicht Postament für Leuchter, Blumen, Sta tuen und Bilder sein. Brot soll wieder Speise und nicht Schauobjekt sein. Nicht gewundene, historische Er klärungen, sondern die unmittelbare Anschauung soll uns wieder zum Wesen führen. Die spezialisierte und differenzierte Frömmigkeit des 19. Jahrhunderts hat den Kirchenraum überfordert und überladen. Er kann nicht zehn Sinnrichtungen auf einmal erfüllen. Wenn jeder Christ seine private De votion an zentraler Stelle im Gotteshaus wiederfinden will, dann kann das Ergebnis nur eine große Kon fusion sein. Nicht in der Summierung und Befriedigung oller religiösen Bedürfnisse aller Gläubigen liegt das Heil. Man muß von der Theologie und Frömmigkeits lehre eine stärkere Herausarbeitung der ihr inne woh nenden wesentlichen hierarchischen Ordnung verlan gen, jene über- und Unterordnung, jenen Kosmos der Wahrheit, den dann die Kunst im Kirchenraum nach bilden kann. Wir müssen lernen, was ins Zentrum und was an die Peripherie (aber immer noch hinein) gehört. Auch im Kirchenraum, auch im frommen Men schenherzen gilt: Alles an seinen Platz, nicht alles an einen Platz. Der christliche Gottesdienst gehört diesem Äon an, der Zeitform zwischen Christi Himmelfahrt und Christi Wiederkunft. In ihm „feiern wir den Tod (und die Auferstehung) des Herrn bis Er wiederkommt". Es ist uns nicht verstattet, ihn in ekstatischer Entrücktheit, in himmlischer, unirdischer Ferne zu feiern. Wir haben im Gleichnis zu bleiben. Alles andere wäre eschatologische Hybris. Die heiligen Mysterien künden von einer anderen Welt, aber sie bleiben streng in dieser Welt. Sie sind ein heiliges Schauspiel, gehören aber nicht auf eine Bühne! „Die Sakramente sind für die Menschen da", man darf sie nicht aus ihrer Mitte entfernen. Weder das Wort Gottes, noch das Opfer Christi darf über die Köpfe der Menschen hinweg gehen. Wieviele, oder besser gesagt, wie wenig Stufen dürfen deshalb zum Altar und zum Predigt stuhl hinaufführen? Das liturgische Geschehen muß in der Gemeinde bleiben. Die Erbauung vieler Stufen ist nichts anderes als die Aufrichtung eines Lettners. Gewiß steht der Altar auf einem mystischen Berg, auf dem Kalvarienberg. Denn die Messe ist die Vergegen wärtigung des Kreuzesopfers von Golgatha. Aber die Gläubigen stehen nicht am Fuße dieses Berges, sie stehen neben dem Kreuze auf der Höhe von Golgatha. Von solchen Grundgedanken beseelt, gingen die Architekten Johannes Gsteu und Fritz Achleitner mit dem Verfasser als Pfarrer und Bauherrn an die Auf gabe heran, die schwer bombengeschädigte Rosen kranzkirche in Wien-Hetzendorf im Innern zu reno vieren, das heißt „neuzugestalten". Die Außenreno vierung war in den vergangenen Jahren mit nur ge ringen Veränderungen des Bestandes durchgeführt worden. Der Pfarrer wollte sich nicht an der Fassade finanziell verbluten. Daß nun freilich ein starker Gegensatz zwischen der Innenform und der Außen form des Gotteshauses entstanden ist, mußte in Kauf genommen werden und ist an sich nichts Neues, wenn wir an die vielen gotischen Gotteshäuser mit barockisiertem Innenraum und barocker Innenausstattung denken. Man hat die Kirche nach ihrer Neugestaltung „die modernste Kirche Wiens" genannt, wie es scheint, mit Recht. Denn in ihr finden sich eine Reihe neuer Lösungen, die für den Kirchenbau der Zukunft an regend und beispielgebend sein könnten. Die Kirche besitzt einen Werktags- und Sonntags raum, die (zum erstenmal in Österreich) axial hinter einander angeordnet sind. Der Werktagsraum umfaßt das ehemalige Presbyterium und besitzt ganz in der Apsis einen freistehenden Altar, der zugleich Sakra mentsaltar ist. Der Sonntagsraum umfaßt das Quer schiff und die drei Langschiffe und besitzt seinen Altar in der Vierung. Der Werktagsraum ist mit beweg lichem Gestühl ausgestattet, das für den Sonntag ent fernt und im Querschiff aufgestellt wird. So ist es möglich, daß die wenigen Gläubigen, die an Werk tagen die heilige Messe mitfeiern, nicht irgendwo zer streut in der Kirche herumsitzen, sondern zu einer kleinen Gemeinde zusammengefaßt werden. Weil sie die große, leere Kirche im Rücken haben, stört der leere Raum in keiner Weise. Andererseits ist es von Vorteil, daß der einheitliche Kirchenraum erhalten blieb und die Werktagschristen sich nicht in irgend eine Kapelle verschliefen müssen. Charakteristisch ist, daß die Kirche kein Presby terium besitzt. Sie hat freilich auch kein „Presby terium", wie Professor Jungmann 8. J. gelegentlich eines Besuches scherzhaft sagte, sie hat keine Prie sterschaft, sondern nur einen Zelebranten und einen Beichtvater. Die ganze Kirche liegt auf einem Niveau und gehört ohne Schranken und Abgrenzun-

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