Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 2

raumes verwendete Materie im Sinne einer Apotheose sozusagen entmaterialisiert und in das bildliche Gleichnis für das „himmlische Jerusalem" verwandelt. Die Materie als solche also galt noch nichts, und das „Bild" war alles. Heute jedoch liegen, wenn wir es richtig sehen und verstehen, die Dinge geradezu um gekehrt. Das „Bild" hat sich erschöpft. Es wurde, zumal seit dem 19. Jahrhundert, immer blasser, dünner schwächlicher, und damit unausweichlich zu einer fast leeren Formel. Die Materie hingegen, vom Menschen durch Jahrhunderte hindurch in allen ihren tausend fältigen Bereichen erobert, aufgeschlüsselt und mobil gemacht, stellt mehr und mehr die entscheidende Ge staltsaufgabe dar — auch im Kirchenbau. Denn war die Schöpfung früher nur „Idee" und Symbol — jetzt ist sie aufgetragene, das heißt als Schöpfung geisterfüllte und dem Menschen zur Getaltung und Erfüllung an vertraute Lebenswirklichkeit. Das jedenfalls ist unsere Situation, im Kirchen- wie im Lebensbau überhaupt — bei Strafe des Unterganges. Gsteu und Achleitner haben das irgendwie erfaßt und die Konsequenz gezogen, nämlich das Maß ge sucht und gefunden, das sie erstens die Reinheit der Konstruktions- und Baumethoden bei der gesamten Innenraumgestaltung herausarbeiten und zweitens das rechte „Modul" (Verhältnisschlüssel) für den Propor tionszusammenklang aller Gestaltungsglieder und der verschiedenen verwendeten Materie-Arten entwickeln und gewinnen ließ. Da sind zunächst sämtliche Be festigungsmethoden im Metall auf das Schweißen und im Holz auf das Leimen reduziert. Da ist zweitens jede Materie bis zu ihrer vollen Leistung ausgenützt oder eigentlich richtiger: eingesetzt und damit eben letztlich auch an der Darbringung des geistigen Raum gehaltes beteiligt. Materie als „Schöpfung" trägt oder, wenn man noch einen Schnitt weitergehen will: ist ihn sozusagen mit. Als Materiearten sind beim Boden für den Altar-, den Ambo- und den Taufbereich Terrazzo und für die anderen Bodenflächen Asphalt, für die Kirchenbänke und die Beichtstühle Buchenholz, für den Volksaltar und die Kommuniontische Eiche, beim Hauptaltar ligurischer Muschelkalk, im Tabernakel ein vergol deter, glatter und möglichst fugenarmer Stahlpanzer von 62 cm Höhe, Breite und Tiefe, für die StandartenAltarbilder und das Tragkreuz Leichtmetall und schließlich für den Korpus am Kreuz, für das Tauf und die Weihwasserbecken ein lichtdurchlässiges Kunstharz verwendet worden. Das „Modul" wieder geht von der Lisenentiefe der Pfeiler von 8 cm aus. 8X8X80 ist das Maß der 55 Elemente des Volks altars, während 6X6X60 für die Kommuniontisch elemente gilt und 4X32 die Stärke und die Breite der 3 m langen und von verschweißten, an beiden „Schen keln" von je 4 cm breiten Winkeleisen getragenen Bänke ausmacht. Die Fuß- und Armstützenbreiten keh ren beim Ambo und in den Beichtstühlen wieder, so daß in allen Gegenständen der Einrichtung eine Be zugsharmonie gesichert ist. Von besonderer Bedeutung ist das gleichfalls an allen Konstruktionspunkten wahrgenommene Prinzip der Separierung, das eben der Konstruktion ihr Er scheinungsrecht und den verschiedenen Materiearten gleichsam ihre Selbständigkeit bewahrt, also alle Zusammenfügungen zu fast schwebender Leichtigkeit befreit und sie zugleich in ihrer Gesetzlichkeit bestä tigt. Was aber bedeutet das alles anderes, als daß eben Materie (und nicht bloß „Material") im Wesen erfaßt und damit über den sachlichen Zweck hinaus ihrer Gestalt zugeführt, also als Schöpfung wahr genommen und verwirklicht werden will? Gsteu und Achleitner sind da offenkundig auf einem guten Wege, denn wir stehen hier mitten in unserer Situation, in der sakraler Raum kaum je mehr allein von der Litur gie oder von der „Kunst" als Kunst her, sondern nur noch dann geschaffen werden kann, wenn auch die Materie von der in ihr angelegten Wahrheit und Ord nung her zum vollen Klang erweckt wird. Jorg Lampe Gottesdienst und Kirchenraui Je mehr unsere Zeit zu eigenständiger künstleri scher Gestaltung drängt, je mehr sie, vor ollem in der Architektur, zu gültigen, bleibenden Leistungen findet, um so problematischer werden uns die Bauten des 19. Jahrhunderts mit ihren Stilkopien. Je mehr wir zu unterscheiden vermögen zwischen ursprünglicher und abgezeichneter Form, desto weniger vermögen wir den unechten Glanz auszustehen, mit dem jene Bauwerke prunken. Ob man also nicht doch gelegent lich einer Renovierung etwa eines Gotteshauses aus jener Zeit versuchen sollte, eine solche Erneuerung we sentlich und grundsätzlich durchzuführen und sich nicht mit einer Aufpolierung des Altbestandes zu begnügen? Altäre der Tischlergotik gewinnen nicht an künst lerischem Wert, wenn man sie frisch lackiert. Nur weil solche Werke „Ausdruck der damaligen Zeit" sind, soll man sie stehen lassen oder gar noch aufschönen? Sie sind eben leider ein matter Ausdruck einer schwa chen Zeit. Frühere gesunde, selbstsichere Zeiten gingen mit ihrem Erbe viel radikaler um, als wir es wagen. Aber das Konservieren von Unechtem ist Schwäche und Verschwendung. Außerdem hat die liturgische Bewegung der letzten fünfzig Jahre uns tiefer und wesentlicher erfahren lassen, was christlicher Gottesdienst ist. Wir kommen nicht mehr zurecht mit den alten Kirchen, die von

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