Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 2

Das Fazit? Ungewohntes wird vertraut werden — eine Frage der Zeit und Geduld. Unbilliges richtet sich heute schon, es könnte, kaum begonnen, wieder entfernt werden. Die besten Architekten unserer Zeit haben sich am Kirchenbau erprobt, weil sie spürten: Selbst in den Grenzen des Dogmas ist ein größerer Spielraum der baumeisterlichen Phantasie für sie frei als in den kommerziellen und bürokratischen Bau aufgaben, die nur noch Rechenarbeit sind. Nun kommt es darauf an, daß dieser freie Spielraum, der im ersten Jahrzehnt unseres Kirchenbaus nach 1945 gewonnen worden ist, nicht vertan wird. Diese Sorge müssen die Bauherren mit den Künstlern gemeinsam teilen. Mut ist nötig — Übermut verstimmt. Die Vision des Himmels auf Erden, die bisher immer der fromme Stolz der Kirche und ihrer Bau meister gewesen ist, sie ist heute noch offen. Die Kirche selbst muß dafür sorgen, daß sie ein Leitbild hat, an dem sich die elementarsten Wünsche der Baumeister entzünden können. Fehlt dieses Leitbild, dann müssen auch die Architekten ratlos werden und über die Stränge schlagen. Aber das gehört schon zu einem anderen Thema und berührt die Frage, ob unsere Zeit noch die Kraft hat, eine Idee in die Welt zu setzen, die spätere Generationen so anrührt, wie uns heute die großartige Bescheidenheit der Kirchen von Ravenno bewegt. Jorg Lampe und Joseph Ernst Mayer Rosenkranzkirche Wien-Hefzendorf 1909—1959 Dazu die Abb. 9—21 Neue Maßstäbe im Kirchenbau ^aß eine neuromanische Kirche von 1909 umgeybaut wird, ist an sich noch kein weltbewegen des Ereignis. Daß das geschieht, ohne daß der vor herige Bauzustand seine Hinfälligkeit erreicht oder gar überschritten hat, nimmt schon eher wunder. Daß aber außerdem noch der zuständige Stadtpfarrer sich hinsichtlich der erbetenen Architektenentwürfe ausge rechnet für den entschiedensten und •— man kann es in diesem Falle ohne Phraseologie so nennen: den ra dikalsten eingesetzt und ihn auch durchgesetzt hat, ist dann schon ein höchst beachtenswertes Faktum. Alle drei Umstände treffen für die „Renovierung" der neuromanischen Rosenkranzkirche von WienHetzendorf im vorigen Jahre und ihren Stadtpfarrer Joseph Ernst Mayer zu, der sich dafür allerdings auch heute noch, von der hartnäckig verweigerten Zustim mung des Bauamtes der Diözese ganz abgesehen, von nicht unbeträchtlichen Teilen seiner Gemeinde aller hand anzuhören hat. Die Entfernung der Pseudoromanik — an dem ganzen Bauwerk war kaum etwas echt — hätte man sich vielleicht noch gefallen lassen, aber einzig unter der Bedingung, daß irgendein an deres Pseudo, irgendeine Aufmachungs-Sakralität, eine falsche Würde und Prunkhaftigkeit an ihre Stelle träte. Gerade dieser so überaus beliebten Vorspiegelung, diesen baulichen Sentimental- und Dekorations-Kom plexen ging jedoch der Entwurf der jungen Architekten Johann Georg Gsteu und Friedrich Achleitner nicht nur aus dem Wege, sondern auch zu Leibe, und der Pfarrer Joseph Ernst Mayer, dessen besondere litur gische Absichten einzig er selbst zu schildern berech tigt ist, bekannte sich zu diesem Wege. Was aber ist geschehen? An der Gesamtkonzeption des Bauwerkes, das, wie schon angedeutet, zu gut 70 bis 80 Prozent aus Vor täuschungen bestand, konnte nur so viel geändert werden, daß man wenigstens den größten Teil der aufgepickten Zierat-Attrappen — die Säulenkapitäle bestanden aus in Gips getränkter Jute — entfernte und den Innenraum der Kirche sowohl auf seine Grundgliederung als auch auf seine struktur-funktionellen Elemente reduzierte. Auf diese Weise ist ein durchaus klarer, wenn auch für viele Augen sicher äußerst nüchterner Raum entstanden, was freilich weniger einen Mangel als eine innere Wahrhaftig keit repräsentiert, weil es buchstäblich und vor ollem den geistigen Gehalt und die Klarheit wiederzuge winnen und nicht irgendwelchen längst taub gewor denen Gewohnheiten Vorschub zu leisten gilt. Erst von hier aus kommt man an das eigentliche Ge staltungsprinzip der beiden Architekten heran. Es ist insofern im wahren Sinn des Wortes radikal, als es tatsächlich bei der Wurzel ansetzt, anstatt sozu sagen die Oberfläche aufzuputzen oder sie mit gut gemeinten sakralen Glaubensbelegen zu versehen. Das aber wird erst verständlich, wenn man die innere Situation der früheren großen Kirchenbaustile und -epochen mit der in unserer Gegenwart vergleicht. Halten wir uns an die Gotik, so wurde in ihr die ge samte Bau- und die zur Gestaltung des Kirchen-Innen-

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