lieh lautet: „Die Trinität teilt sich durch die zwölf Apostel dem Schöpfungskranz mit" — die Säulen wer den sinnbildlich zu den apostolischen Stützen des Glaubens, sie grenzen den Gemeinderaum ab, sie um stellen und umstehen ihn: Circumstantesl Der befremdende Außenbau erklärt sich also durch den Innenraum. Aber das ist ein Umweg, jedenfalls für ein Auge, das sich nicht in die abstrakte Sprache der Grundrisse hineinversetzen kann. Daß Vergleiche mit einer Sternwarte oder einem Atommeiler auf tauchen können, zeigt uns, daß hier Verwechslungen und Vertauschungen auftauchen können. Eine Kirche aber hat den Anspruch, unverwechselbar und unvertauschbar zu sein. Es kommt also darauf an, den Außenraum so zu fassen, daß er das genaue und klare gemauerte Abbild des Innenraumes ist. Musterhaft ist das in den Kirchen von Hans Schädel geglückt. An die ser Stelle spüren wir jedoch, daß wir mit den archi tektonischen Maßstäben nicht mehr weiterkommen, weil die Frage nach dem sinnbildlichen Ausdruck un serer Kirchen bereits theologischer Art ist. Es fehlt uns nämlich an einer klaren Vorstellung, wie denn nun das architektonische Nachbild der civitas dei auf Erden aussehen solle. Die romanische Zeit suchte im Kirchen bau den Ausdruck einer Gottesburg. Die Gotik liebte den mystischen Farbenschrein mit den tiefglühenden Fenstern, so daß Ricarda Huch die Kathedrale mit dem gläsernen Berg des Märchens vergleichen konnte. Schließlich hatte noch das Barock eine sinnlich-über sinnliche Vision: Es baute Schlösser Gottes. Was kön nen wir dagegen setzen? Häufig taucht in den Me taphern unserer Zeit der Begriff des Zeltes auf — siehe Corbusiers Wallfahrtskirche in Ronchamp mit dem durchhängenden Dach, siehe die Kirche des Vati kans auf der Brüsseler Weltausstellung 1958. Das ist eine etwas nomadenhafte Vorstellung des Gottes hauses, das in dieser Welt keine sichere Heimat mehr hat. Und das ist allerdings ein Problem, das vom ar chitektonischen Einfall her nicht zu lösen ist. Die Ar chitekten haben ihre Schuldigkeit getan. Die Theologen und die geistlichen Bauherren hätten nun eigentlich das Wort ... Joseph Hoster hat mit großer Sicherheit die Zwiespältigkeit erkannt, in der wir leben: „Alle sittliche Ernsthaftigkeit der Kirchenarchitektur und ihrer Ausstattung würde nicht zu begründen sein, wenn nicht die Kirche wieder als das Nachbild des Himmels verstanden würde." Solange diese Frage offen bleibt, ist der Gefahren herd da: der willkürliche architektonische Einfall, die subjektive Laune, das dekorative Spiel. Die Architektur unserer Zeit hat keinen statischen Charakter mehr, sie ist in hohem Grade beweglich und fast wieder ba rock geworden. Dies verführt auch im Kirchenbau, wenn kein geistliches Regulativ da ist, zu abenteuer lichen Konzeptionen, deren Monsterbeispiele wir täg lich vor Augen hoben. Es gibt im Grunde keine Form der verbindlichen Vorstellung mehr, sondern, wenn man von der ebenso lästigen Mediokrität absieht, Wagnisse um des Wagnisses willen, eine Art von l'art pour I'ort-Architektur, von der Ausstattung ganz zu schweigen, von der der bissige Riemerschmid gesagt hat: „Es gibt leider Trinkstuben, die mit einem Kirchen gerät und Bildwerk geschmückt sind. Aber es gibt auch Kirchen, deren Dekor wie das einer Bar aussieht." Gefahren liegen nicht nur im Zulassen des Willkür lichen und Verblüffenden, sondern auch im Unter lassen. Es ist erwiesen, daß die Gläubigen, auch wenn sie zu den strengsten Puritanern gehören, etwas in ihren leeren Kirchen vermissen. Gemeint ist das Zu sammenwirken aller bildnerischen Möglichkeiten im Sinne des Gesamtkunstwerks. Dies aber berührt einen wunden Punkt. Es ist, meines Wissens, im ganzen Mit telalter nicht ein einziges Mal vorgekommen, daß ein allzu schroffes, allzu radikales, weil ungewohntes Bild werk durch einen episkopalen Bannspruch aus der Kirche verwiesen worden ist, wie in Kaiserslautern 1957! Die Schwierigkeit besteht darin, wie ein Kunst werk, das in seinem intuitiven Einfall und in seinem inneren Werdegang frei und autonom sein muß, in Übereinstimmung zu bringen ist mit einem dezidierten geistlichen Auftrag und einem vorgeschriebenen theo logischen Programm. Für die alten Meister war das kein Problem. Die Identität zwischen Glauben und Kunst war noch unbestritten. Heute ist diese Identität mindestens in Frage gestellt. Es hilft auch nichts, wenn ein Künstler wie Matisse unter ganz bestimmten Um ständen — und nicht zu vergessen: auf eigene Kosten! — einen Freibrief zu voller künstlerischer Unabhängig keit erhält. Das ist ein Sonderfall — und die offizielle Bewunderung für dieses „Boudoir de Notre Dame", wie die Franzosen die Kapelle der Dominikanerinnen in Vence nennen, wird sich legen, wenn erst die Zeit die nötige Distanz geschaffen haben wird. In jedem anderen Falle muß eine Verständigung stattfinden zwischen dem Auftraggeber und dem freien Künstler. Daraus können lähmende Kompromisse ent stehen. Es ist selten, daß ein „Grünewald" auf einen Abt Guersi trifft und dann beide so etwas wie den Isenheimer Altar zustandebringen, der eine mit Rat, der andere mit Tat. Eine furchtlose Kunst wie die von „Grünewald" (Matthis Gothardt Neithardt) war noch im Raum der Kirche möglich. Danach kommt es immer häufiger vor, daß eine religiöse Kunst außerhalb der Kirche existiert — siehe Rembrandt, Caspar David Friedrich und Marc Chagall. Wenn die Kirche sich in ihren alten Gewohnheiten verhärtet, wenn sie süßliche Konvention und Devotion will, dann ist ein strenges und frommes Bündnis zwischen ihr und den Künstlern nicht möglich. Dann besteht die Gefahr der völligen Trennung und eines Schismas, das die Entfremdung zwischen dem Auftrag der Zeit und dem zeitlosen An spruch der Kirche unsagbar vertieft.
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