Richard Biedrzynski Gefahren im Kirchenbau heute Überschrift möge nicht mißverstanden werjr yden: Der moderne Kirchenbau imponiert uns, und die Frage, ob wir Oberhaupt noch Kirchen bauen können, muß mit einem klaren Ja beantwortet wer den, wenn wir an Architekten wie Rudolph Schwarz, Dominikus Böhm, Fritz Schaller, Hans Schädel und Olaf Andreas Gulbransson denken. Freilich sind das Musterbeispiele, ja fast Ausnahmen in einer Bilanz von bestürzender Aktualität. Im evangelischen deut schen Bereich sind in den letzten zehn Jahren eben soviel neue Kirchen entstanden wie seit der Refor mation in vier Jahrhunderten insgesamt, im katho lischen französischen Bereich rund sechstausend seit dem ersten Weltkrieg. Das sind so erstaunliche und verblüffende Zahlen, daß wir uns hüten müssen, aus ihnen falsche Schlüsse zu ziehen. Die Summe ist kein Kriterium der sakralen Qualität — im Gegenteil: sie macht uns mißtrauisch. Denn es könnte ja sein, daß allzuvieles zu schnell auf einmal gebaut worden ist — entweder aus gedankenloser Herkömmlichkeit oder aus übereilter Modernität. Da hätten wir schon ein Gefahrenmoment, das aber leider irreparabel ist. Diese Tausende von modernen Kirchen lassen sich nicht mehr zurücknehmen. Wir wollen nicht vollzogene Tatsachen beklagen, sondern Gefahren verhüten für zukünftige Bauten. Dafür brauchen wir Maßstäbe, die konkret, deutlich und produktiv sind. Worin könnten denn Gefahren für den modernen Kirchenbau liegen? Im Material? Vor dreißig Jahren etwa war diese Frage aktuell. Heute ist der sinnlose Kulturkampf um die Baustoffe längst verjährt. Noch als Otto Bartning seine Stahlkirche für die PressaAusstellung in Köln 1928 montierte, hörte man den Vorwurf: Er versündige sich am Gotteshaus durch ein unwürdiges Material. Man muß sich aber entschieden abgewöhnen, im Material selbst einen Unterschied zwischen dem Profanen und dem Sakralen zu sehen. Es steht nirgends geschrieben, daß Beton ein schlech terer oder unwürdigerer Baustoff sein soll als der Backstein. Das Schöpfungsmaterial ist immer nur Mit tel zum Zweck. Quader, Ton, Zement, Stahl und Glas sind variable Mittel, deren Nutzanwendung jeder Zeit überlassen bleiben muß. Keines ist vor den Augen Gottes würdiger oder unwürdiger. Entscheidend ist allein das Formgewissen, das den Schritt vom Nütz lichen zum Numinosen, vom Säkularen zum Sakralen vollzieht. Bartning hat das präzisiert, wenn er sagte: Jedes Material und jede Technik hat einen gottes dienstlichen Sinn, wenn es gelingt, „die Materie zur Form zu erlösen", das heißt: ihr einen spirituellen Sinn zu geben. Außerdem haben in allen Zeiten die profanen und sakralen Elemente miteinander kommuniziert. Die alt christliche Basilika ist aus der römischen Gerichtshalle entstanden, die romanischen Abteien sind in ihren Bau formen völlig identisch mit den gleichzeitigen kaiser lichen Pfalzen und Burgen, die Kirchen der Gotik mit den Rathäusern der Bürgerstädte, die geistlichen Re sidenzen des Barock mit den Feudalschlössern der Weltfürsten. Rudolph Schwarz hat dieses Problem in ein paar paradigmatischen Sätzen zusammengefaßt: „Wir kön nen nicht zu den alten Domen zurückkehren und ihre unterbrochene Übung wieder aufnehmen. Das war der Irrtum der Historisten. Schon das Werkzeug, die ,Technik', würde sich uns versagen. An sich wäre es ja möglich, die tiefen Portale und die gewaltigen Pfeiler der Romanik oder die Netzgewölbe der Gotik nachzuahmen. Aber es wäre nicht wahr. Die Wand ist uns nicht mehr ein schweres Gemäuer, sondern eine gespannte Membran. Wir kennen den zugfesten Stahl und überwanden durch ihn die Wölbung. Die Bau stoffe sind uns etwas anderes als den alten Meistern. Wir kennen ihren inneren Bau, die Lagerung ihrer Atome, den Verlauf der inneren Spannung. Und bauen, indem wir das alles wissen, denn es kann nicht zurückgenommen werden. Die schwere alte Form würde uns zur theatralischen Atrappe, und die Men schen merkten die hohle Packung. Sie zögen voreilige Schlüsse auf die Sache, der da mit hohlen Formen gedient wird." Wo könnten noch Gefahren für den modernen Kir chenbau liegen? Wenn nicht im Materiellen — dann vielleicht im Formalen? In allen Gesprächen, die über unser Thema geführt werden, tauchen die Stichworte auf: Diese neuen Kirchen seien zu kahl, zu ungemüt lich, zu nüchtern, zu frostig, zu profan. Den Katholiken sind diese fast leeren Räume zu protestantisch, den Reformierten noch immer zu katholisch. Umgekehrt hat Pater Couturier, einer der Wortführer der domi nikanischen Avantgarde aus dem Kreise der L'Art Sacre und der Protektor der heiß umstrittenen Wall fahrtskirche in Ronchamp von Corbusier, die bittere Frage gestellt: Sind diese angeblich so schmucklosen Kirchen vielleicht „zu" religiös, gerade weil sie Ernst machen mit einem modernen Minoritentum, mit einer mönchischen Askese und jener Tempelreinigung von aller „duckmäuserischen Konvention", von der der französische Maler Rouault gesprochen hat? Die älteren Menschen von heute sind in der Tat diese nackte Bauweise nicht gewöhnt, sie bekommen gleichsam einen Schüttelfrost. Aber diese rein emotio-
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