Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 2

Technology. Das Haus Famworth 1950 ist eine De monstration in seiner allseitigen Offenheit und ein Beispiel des fließenden Raumes. Die Strahlungskraft der Ideen von Mies van der Rohe, das Unbedingte seiner Formensprache, haben großen Einfluß auf die heutige Architektur ausgeübt. Er verkörpert mit seiner Strenge (Stahl) den größten Gegensatz zu den Bauten von Nervi und Candela (Stahlbeton). Strukturelle Architektur Den größten Veränderungen in Gestalt und Kon struktion sind heute die Hallenbauten ausgesetzt. Das Verhältnis von Pfeiler und Balken wird abgelöst von stützenfreien Hallen unserer Zeit, die ein vollkommen neues Raumgefühl andeuten. Von der Pariser Ma schinenhalle, 1889 (in Stahl), über die Jahrhundert halle in Breslau (in Stahlbeton), bis zu den räumlichen Tragwerken in Stahl und der Schale und dem Faltwerk in Stahlbeton, ist ein weiter Weg. Die erste wirklich sachliche Formgebung findet sich bei der 1916 in Orly bei Paris er richteten Luftschiffhalle von Eugene Freyssinet. Hier wurde das erste Faltwerk verwirklicht. 1922 konstruiert Walter Bauersfeld eine Kuppel aus einem Netzwerk aus kurzen Stäben, diese Gitter überspritzt er mit einer Schicht von 3 cm Beton, der noch keinerlei statische Funktion besaß. Die gekrümmte Schale war geschaf fen, eine Theorie wurde entwickelt, wobei die Trag wirkung sowohl dem Beton als auch der Armierung zugewiesen wurde. Mit 8 cm Schalenstärke überbrückt man 60 m. Felix Candela, geboren 1910 in Spanien, jetzt in Mexico lebend, entwickelt daraus eine eigen willige Formensprache. Bei Candela ist die Schale eine homogene Membrane. Beispiele sind sein Strah lenlaboratorium der Universität Mexico City und die Kirche Santa Maria Miraculosa in Mexico City, eine dreischiffige Kirche über rechteckigem Grundriß, mit angeschlossenen Andachtskapellen. Die Stahlbeton dächer sind nicht stärker als vier Zentimeter. Ein ähn licher Versuch in dieser Konstruktionsform ist der Ent wurfeiner Wallfahrtskirche in Syrakus von Enrico Castiglioni. Eine steile Kuppel setzt sich auf drei Punkten ab, die als frei im Raum stehende Stützen ausgebil det sind. Wie Candela entwickelt Luigi Nervi, geboren 1891 in Italien, aus Stahlbeton eine eigenwillige Formen sprache. Wie bei Candela die Schale, so ist bei Nervi das vorfabrizierte Element von Bedeutung. Der Wan del der Konstruktionsmethoden läßt sich von seinem Stadion in Florenz, 1930, bis zu seiner Ausstellungs halle in Turin, 1948, verfolgen: Von den klassisch ge wordenen Elementen des Stahlbetons, der Platte und dem Balken, bis zur tonnengewölbten Holle aus Fer tigteilen aus Stahlbeton mit einer Maximalstärke von 5 cm und einer Spannweite von 75 m. Auf Walter Bauersfelds Idee der kurzen Metallstäbe aufbauend, ursprünglich nur eine Etappe auf dem Weg zur Schalenkonstruktion, werden sie in den Bau ten von Polyedern von Buckminster Füller (an Stelle von Beton kommt eine Haut aus Plastik) oder dem Raumtragwerk als flache Scheibe, von wenigen Stützen getragen, von Konrad Wachsmann, geboren 1901 in Frankfurt an der Oder, verwirklicht. Wachsmann ist ein Schüler von Poelzig und Mitarbeiter von Gropius. Bei ihm ergibt das räumliche Tragwerk aus kurzen Stäben, die bündeiförmig in sinnvoll konstruierten Knoten zusammengefaßt werden, ein architektonisches Gebilde von ganz neuem ästhetischem Reiz. Das Bau werk entwickelt sich indirekt, durch die Multiplikation von Zelle und Element. Wachsmann vertritt einen kon struktiven Strukturalismus. All diese vielfältigen Gestaltungformen verfolgen das gemeinsame Ziel der Architektur, nämlich die Gemeinschaft zu gestalten. In ihnen wird ein im wei testen Sinn sozialer Impuls, eine Entscheidung für Offenheit und Freiheit spürbar, die sich ebenso in der Öffnung des Hauses zur Umwelt hin auswirkt, wie im Auflösen der schweren stabilen Wand und im allseits umschreitbaren Baukörper. Hinter der modernen Architektur steht ein Menschenbild, wenn nicht als Wirklichkeit, so doch als Hoffnung. S. Ciedion: Space Time and Ardiitecfure. 1956. Jürgen Joedicke: Gesdiichfe der modernen Ardiilektur. 1958. Karl Raimund Lorenz: Quersdinilt durch die Internallonole Ardiifekiur der Gegenwart. 1952. Eduard F. Sekler: Prinzipelles zur Architektur der Gegenwort. Hoch land, Februar 1958.

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