INHALT Titelbild : Innenraum der Rosenkranzkirche Wien-Hetzendorf nach der Restaurierung. Foto: Hubmann. BAUEN UND BEDEUTEN Dr. Gonsaiv Mainberger OP, Viadana 33 DIE GRUNDRICHTUNGEN DER MODERNEN ARCHITEKTUR Arch. Otfokar Uhl, Wien .... 37 GEFAHREN IM KIRCHENBAU HEUTE Dr. Richard Biedrzynski, Stutt gart 43 ROSENKRANZKIRCHE WIEN HETZENDORF 1909-1959 Jorg Lampe und Joseph Ernst Mayer, Wien 45 NEUE KIRCHENBAUTEN IN DER SCHWEIZ Dr. Erich Widder, Linz 50 Die Hauptartikel dieses Heftes betreffen den „Kirchenbau der Gegenwart". Sie greifen damit die Thematik der Hefte 3/1955 und 1/1957 auf. In der nächsten Nummer (3/1959) werden wir weitere Beiträge zu diesem Thema bringen. BERICHTE: Die neuentdeckten romanischen Fresken in Lambach (Dr. Nor bert Wibiral) 54 Gotik in Niederösterreich (Dr. Fritz Dworschak) 55 Der Maler Ernst Fuchs (Msgr. Otto Mauer) 57 Galerie St. Stephan 1959 (Jorg Lampe) 59 Marc Chagall im „Haus der Kunst" in München (Curt Grütz macher) 63 BUCHBESPRECHUNGEN 61 EINZELPREIS DES HEFTES: 18 SCHILLING (3 DM) CHRISTLICHE KUNSTBLÄTTER, Eigenfümer, Verleger und Herausgebe^: Diözesan-Kunstverein, Linz o. d. Donau, Herrenstrafje 19. Schriftleiter: Dr. Günter Rombold. — Für die Diözese St. Pölten: Prälat Dr. K. B. Frank, St. Pölten, Domplatz 1. — Der Jahrgong besteht aus 4 Heften. Bezugspreis für den ganzen Jahrgang: 72 S. Postscheckkonto Wien 26.090; für das deutsche Bundesgebiet 12 DM, Postscheckamt München, Konto Nr. 120.088; tür das übrige Ausland 2 S — Oberweisungen aus dem Ausland werden erbeten an die Bank für Oberösterreich und Salz burg, Linz, Konto Nr. 683. Druck: Jos. Feichtingers Erben, Linz. — Klischees: Franz Krammer, Linz.
Gonsaiv Mainberger OP Bauen und Bedeuten P. Consolv Mainberger, Luzern, ist durch sein Buch .Die Seinsstufung als Methode und Metophysik", das jüngst als 24. Folge der Studio Friburgensia erschienen ist, bekannt geworden. Er ist derzeit Professor für Philosophie im Dominikanerkloster in Viadonc (Belgisch-Kongo). // JOS bedeutet dies, wenn zehn Kongolesen in Zentralafrika, auf einem Posten mit achtzig Kilometer Umkreis, fünfzigtausend Menschen, zehn tausend Christen und zwei Seelsorgern, mit Flußsand und Ziegelsteinen vier Mauern errichten, ein Dach darüber schlagen und dies dann Kirche nennen? Für den Priester bedeutet das, dem selbstverständlichen Erfordernis zehnjährigen Apostolates Genüge leisten; den Arbeitern bedeutet es Verdienst, den Besuchern des sonntäglichen Kultes Schutz vor unerbittlicher Hitze und vor prasselndem Regen. Bedeutet es dem Priester und dem Schwarzen und dem Christen nicht mehr? Dann muß aber dieses: einen Platz roden, ihn ous-räumen, abstecken, einen Grundriß ziehen, Mau ern errichten und ein schonendes Dach legen, in sich etwas bedeuten. Der Bau als solcher muß bedeutend sein. Was er bedeutet und unter welchen Bedingungen er etwas bedeutet, soll hier gesagt werden. Philosophie der Kunst Wenn der Philosoph über Kunst nachdenkt, ist dies etwas anderes als wenn Kunsthistoriker Kunstwerke analysieren. Beide kommen darin überein, daß sie über Kunst theoretisieren. Beide unterscheiden sich gemeinsam und grundsätzlich vom Künstler, der nicht theoretisiert, sondern den wahrnehmbaren Gegen stand schafft. Er setzt Seiendes. Der Philosoph erfährt dieses Seiende und befragt es als Gemachtes nach seinem Sein. Die Frage besteht für ihn nicht wie für den Kunsthistoriker darin, dieses Seiende auf ge schichtliche Faktoren, auf äußere Einflüsse und psy chologische Reaktionen zurückzuführen, auch nicht darin. Seiendes zu machen, sondern darin, es durch wiederholte und vertiefende Erfahrung in den Blick zu bekommen (theorein). Philosophie der Kunst setzt das gemachte Seiende als Kunstwerk im Vorbegriff voraus, ebenso den Blick für das Künstlerische daran sowie die Ergebnisse der Kunsthistorie'). Kunst hinZum Unterschied von Kunstphilosophie und Ästhetik vgl. Max Sense, Aesthetico. Metaphysische Beobachtungen am Schönen. Stuttgart, 1954. 21. — Es wäre noch zu untersuchen, wie weit etwa die Abhängigkeit Hegels von der damaligen Kunst geschichte zu veransdilagen ist, wenn er die Entwidclung des tdeals zu den besonderen Formen des Kunstschönen nur im Ablouf von klassischer Kunstform zur romantischen Kunstform ent faltet. G. W. F. Hegel, Vorlesungen über Ästhetik. Bd. II. Jubiläumsausgabe, herausgegeben von H. Glöckner, Bd. 13. Stuttgart, 1953. gegen als Können ist im ganzen auf das zu schaf fende Werk hin angelegt-). Die Bedeutung einer Sache kommt ihr von ihrem Grund und Wesen her zu. Grund und Wesen zu be fragen ist die Sache des Philosophen. Also betrachtet er Grund und Wesen des Kunstwerkes als Kunst werk, um dessen Bedeutung zu ermitteln und zu sagen, was es für einen Sinn habe, zu bauen, wenn anders der Bau selbst einen Sinn haben soll. Nun wird sogleich ein Einwand laut. Wenn sich Sache des Denkens und Sache der Kunst vermengen, wird das Resultat unvermeidlich ein Asthetizismus sein. Wenn theoretische Überlegungen in den Ateliers und auf den Bauplätzen entscheiden, sind wir wieder beim Programm und Werkstattbetrieb eines P. Desiderius Lenz und der Düsseldorfer Schule angelangt oder un versehens beim Epigonentum rund um Le Corbusiers Kapellenbau gelandet. So ist denn eine grundsätzliche Unterscheidung vonnöten. Wenn von Ästhetik die Rede sein wird, dann nicht im praktischen Sinne als Regel der Kunst. Philosophie der Kunst und Kunst als Kön nen unterscheiden sich in ihrem Verhältnis auf Sei endes, wie eben gesagt wurde. Somit ist das Unter schiedene unzurückführbar aufeinander. Also können die Prinzipien der Kunstphilosophie nicht die Regeln der Kunst abgeben, und dürfen es folgerichtig auch gar nicht. Und zwar vom Seienden her nicht, das gewahrt bleiben will. Schönsein als Gegenstand des Denkens Der Künstler denkt selten über sein schaffendes Tun nach. Er macht in intuitivem Vollzug mit wahrnehm baren Stoffen nicht das „Schöne" — und nicht das „Sakrale" und nicht das „Religiöse" —, sondern ein (schönes) Bild, einen (sakralen) Bau, ein (religiöses) Tafelbild. Schön und sakral und religiös beziehen sich nicht auf den dargestellten Gegenstand, sondern auf dessen Darstellung. Und doch: schön und sakral und religiös sind nur auf Grund und aus dem Sein des betreffenden Werkes. Für den Künstler jedoch sind Schön-sein und Sakral-sein und Religiös-sein ganz im Sein des Kunstwerkes verschwunden, absorbiert, aus gelöscht. Nur derjenige, der das Kunstwerk unter dem Gesichtspunkt des Seienden betrachtet, bekommt wie der die Weise des Schön-seins, Religiös-seins, Sakral seins in den Blick. Diese Betrachtung fragt nach den -) »Ars nihil aliud esf quam recto rafio aiiquorum operum faciendorum." Kunst ist nidits anderes als die richtige Regel der zu vollführenden Werke. Thomas v. Aquin, Summa theol. 1. II. qu. 57. art. 4 c.
Bedingungen, unter denen die Darstellung dieser Landschaft, die Lösung jener Bauaufgabe, die Fügung der Klänge im Musikwerk schön oder sakral oder religiös genannt werden können'). Objektive Kunstbetrachtung Die Prinzipien der Kunstphilosophie sind keine Regeln der Kunst. Die Regeln der Kunst genügen ihrerseits nicht, das Sein des Kunstwerkes nach Grund und Wesen zu befragen, sondern nur, es zu schaffen. Wäre dem nicht so, dann müßte alles, was irgendwie vom Menschen geschaffen ist, Kunstwerk sein! Wird der Künstler aber zum „Denker", dann gerät er ins Ästhetisieren und bedroht die Kunst in ihrem ab soluten Sein — wird der Philosoph anderseits zum Bildner (etwa im Sinne des Wortbildners, oder radi kaler: des Weltbildners), läuft er Gefahr, vom be trachtenden Denken ins mythisch-magische Wirken überzulaufen und das ihm zugewiesene Feld des Seins und Denkens zu verlassen. Also haben Kunst und Philosophie gar nichts mit einander zu tun? Oder schließen sie sich sogar aus? Wie ist es dann aber mit der Liebe zum Schönen, zum Erscheinen des Seins, die beiden gemeinsam ist? Noch ein anderer Sachverhalt ist indessen auf getaucht, der nur in diesem Zusammenhang an den rechten Ort der Befragung und Beantwortung rückt. Hat nicht die Kunstkritik bisher die Aufgabe über nommen, nach dem Sinn und der Bedeutung der Kunstwerke zu fragen und ebensosehr versucht, ein deutige, endgültige Antworten zu verfertigen? Sie tat es mit Hilfe chronologischer Tafeln, vergleichen der Methoden, historischer Nachforschung, geistes geschichtlicher Hintergründe. Sie hat vieles zu Tage gefördert und nützliche Arbeit geleistet. Wie wäre es, wenn diese Art Kunstkritik einmal mit den Mög lichkeiten der Kunstphilosophie verglichen würde? Kritik ist doch wesentlich Sache des Denkens. Es er möglicht überhaupt erst Kunstkritik, wenn anders sie objektiv sein und aus dem Wesen und Grund des Kunstwerkes dessen Sinn und Bedeutung erschließen will. Es seien hier zwei Weisen des Nachdenkens über Kunstwerke vorgelegt. Daraus soll sich ein Weg öffnen, die Sache des Bauens und jene des Denkens überhaupt näher zu bringen. Der Vergleich Nicht zur Stütze einer vorgefaßten Theorie über Bauen und Denken, über die Weise, etwas vom Sinn und der Bedeutung des Bauwerkes zu erfahren, ist der Vergleich zustande gekommen. Die Ästhetik Ni colai Hartmanns') und das Buch Vom Bau W. Worringer, Absfrakfion und Einfühlung. Mönchen, 1918. 2. ^)N. Horfmann, Äsfhetik. Berlin, 1953. der Kirche von Rudolf Schwarz') weisen sachlich aufeinander him. Beide Verfasser versuchen im Grunde dasselbe. Sie erforschen Seiendes im Hin blick auf seine ästhetische Grundverfassung, ästhetisch im metaphysischen Sinne als bedeutungshaft, als seins deutend verstanden. Hartmann greift das Thema um fassend an (1—5). Schwarz beschränkt sich auf den Bau der Kirche. Die Voraussetzungen beider sind jedoch gleichermaßen universal. Von da her erscheint der Vergleich gestattet. Der Künstler ordnet sein ganzes Denken als prak tisches auf das Werk hin an. Anders der Philosoph, der dos Werk und den künstlerischen Vorgang vor aussetzt, um daraus Seiendes als das Erscheinende, als das Schöne zu ermitteln. Auf die Möglichkeit, daß ein Künstler selbst über Kunst nachdenkt, und wie diese Möglichkeit gerechtfertigt werden kann, soll hier nicht eingegangen werden. Nehmen wir einmal die Tatsache hin, daß der Architekt besondere Voraus setzungen günstiger Art zu dieser Möglichkeit mit bringe. Schwarz geht nicht wie die „nur" bauenden Meister von optischen Konzeptionen aus. Er steht nicht in der Reihe der Praktiker, wie Bramante, Michelangelo und Neumann, sondern der Theoretiker, wie Alberti, Pollodio, Fischer von Erlach. Er schafft also aus der Polarität zwischen einem hohen Gedanken und den Elementen der Baukunst") heraus. Das gibt seinen Gedanken über Baukunst jene allgemeine Bedeutung, die sonst nur philosophischen Aussagen eignet. Trotz dem versteht Schwarz sein Buch als Lehrbuch (167ff.; 23). Auf die Baukunst ist alles hingeordnet. Aber nicht so, daß der Leser nachher ein Rezept in Händen hätte, „einen Inhalt, der ohnehin schon da ist" mit „gebräuchlichen Mitteln zu verzieren und in angeneh mer Form auszudrücken" (167). Wären seine Über legungen so gemeint, dann gälten sie nur für Fach leute und dem Buche käme weiter keine Bedeutung zu als diejenige, die einem praktischen Handbuch zu gemessen werden darf. Schwarz gibt eine Theorie der Baukunst im wah ren Sinne des Wortes. Der Weg, auf dem diese Theorie erworben wird, kann am bezeichnendsten als aristotelisch benannt werden. Echt philosophisch steht am Anfang ein Prinzip, das durch Erfahrung ermittelt ist. Als gültig, das heißt als fähig zur Anwendung in jedem Falle (analog) erscheint es dadurch, daß es vom Denken je verschieden an verschiedener Sache erprobt wird. Ein solches Prinzip hat die Eigenschaft, daß es das, was bisher zufällig am Seienden sich zeigte, also nicht-notwendig einem konkreten Kunst werk zugehörig begegnete, nun notwendig, als In zweiter Auflage erschienen 1949 im Verlag Lambert Schnei der, Heidelberg. Wir zitieren die erste Auflage 1939. — Die Autoren Hegel, Hartmann und Schwarz werden nur ein erstesmal In Anmerkungen geführt. Nachher verweist die Zahl immer auf die entsprechenden Seiten. 8) W. Braun fei s, St. Anna in Dören, in: baukunst und werkform, 10 (1957), 145.
innerlich zugehörig von ihm ausgesagt werden muß und auch als solches erfahren wird. Für Schwarz ist Baukunst infolgedessen „Urhebung lebendiger Form", sie beruht „auf der Vergleichbar keit der Dinge in ihren gestalthaften Zuständen unter einander und mit den mathematischen Figuren" (35). Bauen heißt, immer aufs neue Weltall verwirklichen, Welt gründen, eine „Welt" erstehen lassen. Schönheit als Grundverfassung des Seienden Hartmann onolysiert die Erscheinung des Schönen im Gesamt der künstlerischen Produktion. Wir be schränken uns hier, gemäß dem Vorhaben, auf die Ausführungen über Baukunst. Als methodisches Mittel dient Hartmann dos Schichtenschema: Vordergrund — Hintergrund, dann Aufspaltung dieses Hintergrundes in viele weitere Schichten als inhaltliche Mehrschichtig keit des künstlerischen Gegenstandes. Diese Mehr schichtigkeit ist überhaupt die „ästhetische Bedingung seiner (des ästhetischen Gegenstandes) Tiefe und sei nes Reichtumes, seiner Sinn- und Bedeutungsfülle, zugleich aber auch, und nicht an letzter Stelle, der Höhe des ästhetischen Wertes, der Schönheit" (166). Das Schichtungsprinzip ist Mittel, um das Wesen des Schönen, so wie es seiend sichtbar im ästhetischen Gegenstand sich darstellt, denkerisch zu bewältigen. Hartmann zwingt auch den letzten Rest, den unsag baren des Schönen, in sein Schema. Dieses ist dann letztlich aber doch wieder nicht so umfassend und nicht durchsichtig genug, um das Sein des Schönen in seiner Bedeutung aufscheinen zu lassen. Das Sein waltet nämlich zwischen Hintergrund und Vorder grund, zwischen Sinn und Zweck, zwischen materieller Anlage, räumlicher Komposition und geistiger Aus sage. Mit dem Prinzip der Vergleichbarkeit der Dinge hat Schwarz vom vorneherein schon tiefer angesetzt, weil Seiendes vom Sein her noch dem Schönsein befragt wird. Nicht das rationale Schema enthüllt Seiendes als das Schöne, als das Aufscheinende, das heißt als die Seinsweise eines Kunstwerkes als Kunst werk, sondern nur die aus hinreichender Erfahrung und in darauffolgender Reflexion gewonnenen Seins prinzipien. Dos Offene des Seienden kommt so in den Blick. Die Grundgestalten des Seins sind dann zugleich die Grundgestalten des So-seienden als Bauwerk: Zeit liches in Ausrichtung auf Ewiges, Re latives im Hinblick und in Abhängig keit auf Absolutes, dos Durchschreit bare ins Unbegehbare sich öffnend, das „Innen im Außen" und das „Außen im Innen" als Ineinanderfließen der Räume. Das sind denn> auch die seins mäßigen „Schichten", an denen das Sein des Bauwerkes erfahrbar wird und sich als Schönheit enthüllt. Gotik als Bedeutung Das Beispiel der Gotik erläutere das, was philo sophisch gesagt sein will. Nicht als beiläufig auch Gesagtes, sondern als unentbehrliche Erfahrungs grundlage (im Sinne obiger Notwendigkeit) des Nachdenkens über Sinn und Bedeutung des Seins des Kunstwerkes. Hartmann betrachtet, mit Recht, das Gemeinsame der nichtdarstellenden Künste im freien Spiel mit der reinen Form. Dazu tritt in der Baukunst gleichzeitig die Gebundenheit an Stoff und praktischen Zweck (125). Die Gotik gilt bei dieser Analyse als Typ, in dem durch die dynamische Komposition (gemeint als Spannung der Kraftfelder, die die Schwere der Ma terie zu überwinden im Stande ist) „die Schwere des Materials und ihre Überwindung durch die Konstruk tion in der sichtbaren Form anschaulich ist" (215). Diese rein funktionale Deutung, im konkreten Falle sicher klärend, genügt jedoch nicht, zumal sie die letzte Begründung des „Gotischen" leisten soll. An diesem Punkte setzt nämlich die Sinn deutung des gotischen Bauprinzips erst an. Und um dieser Sinndeutung willen geht Schwarz auf einen tiefern Ursprung zu rück. „Heiliger Ursprung dieses Funktionalismus ist die Heilsangst. Der Mensch merkt, daß die Erde präch tig geordnet, daß ober in dem glatten Ring der Not wendigkeiten eine Lücke ausgespart ist, und in diese Lücke wurde er selbst mit seinem eigenen Heil ge stellt. Daß er dos erlangt, gewährleistet ihm die Ord nung der Welt nicht. Der Mensch gewinnt Klarheit über seine eigene Lage und fällt in Besorgnis. Er bemerkt, daß er allein ist, und daß sein ewiges Heil unsicher ist. Er will sich in Gott bergen und findet, daß Gott sich aus den Dingen zurückgezogen hat. Da geht er ihm nach. Er schmiedet aus dem weltlichen Stoff eine unendliche Kurve, die ihn als liniendünner Steg zu Gott hintragen soll. So verliert er die Hei mat und gewinnt den Himmel doch nicht. Die lineare Askese verfeinert den Stoff dieser Welt, aber sie ändert ihn nicht und die Kurve kommt nicht ins Jen seits . . . Die neue ,dynamische' Welt wurde eine Form reiner Umgetriebenheit" (140—141). Hinweis auf den Kirchenbau Der Vergleich zwischen Hartmann und Schwarz er gibt zunächst ein Resultat theoretischer Natur. Es wurde deutlich, daß nur eine philosophische Aufhel lung der seinshaften Beziehung zwischen Zweck, Kom position und Sinn ein Bauwerk als das zu bestimmen vermag, was es als Kunstwerk metaphysisch ist. Die innere Notwendigkeit und die aus dem Werk und in ihm selbst sich ergebende Wirksamkeit des Ordnens
und Richtens macht das ästhetische Sein eines Baues aus. Im Erscheinen seiner selbst wird das eigentliche, höhere, notwendige, wirkliche, sowie sakrale, gehei ligte Sein offenbar. Hegel kommt zur Auffassung, den Kunstwerken sei, „der gewöhnlichen Wirklich keit gegenüber, die höhere Realität und das wahrhaf tigere Dasein zuzuschreiben" (28). — Die gleichen Überlegungen gestatten alsdann, auch das Bauen unserer Zeit zu deuten. Gotik war ein konstruktiver Formalismus, ausgehend von einem entsprechend theologischen Sinn. Unserer Zeit ist dieser theologischheilsgeschichtliche Sinn abhanden gekommen. Das Ba rock war sein letztes geschichtliches Auftreten in Form eines umfassenden kosmischen Taumels. Wir haben sowohl dos Theologische wie das Kosmisch-eksta tische ersetzt durch das Liturgisch-zweckhafte und sind damit allerdings rascher und unvermeidlicher an jenes Ende geraten, an welchem auch die Gotik ent artete und das Barock verwilderte. In vielen Kirchen der Schweiz, den sog. „liturgischen Gotteshäuern", er schöpft sich die „dynamische Komposition" in einer schönen Form, die von der Möglichkeit des Betons her kaum und von echt moderner Raumkonzeption her (innen und außen in Kontinuität) schon gor nicht mehr überzeugen, nichts mehr bedeuten. Beton hebt die Schweregesetze des Stoffes, sein „Erscheinen" als erdgebundenes Material, in viel radikalerer Weise auf, als gotische Konstruktion dies vermochte und als so genannte moderne Kirchen dies auch nur anzudeuten vermögen. Die Möglichkeit ineinanderfließen der Räume als Zeichen o n t o I o g i s c h e r Verschiedenheit von Erde, Kosmos und Himmel müßte notwendig dazu führen, daß die zweck hafte Vielgestaltigkeit des katho lischen Kirchenraumes seinen architek tonischen, d. h. zeichenhaften Ausdruck in einer bedeutungshaften Sinnein heit dieser Vielgestalt fände. Nur die richtungweisende Notwendigkeit und tiefere Ver gleichbarkeit der seinshaft verschiedenen Räume machen Gestein und Gemäuer zu heiligen Gestalten. Und nur die vom Werke selbst unwiderstehlich aus gehende Wirksamkeit macht jenes zu einem sakralen Zentrum, zu einer „Welt", zum unbegehbaren Ort. In dem Maße also ist ein Bau „schön", als er in seiner ganzen Erscheinung Zeichen ist dessen, was ohne ihn noch nicht zum Vorschein gekommen wäre: der eigent liche Raum, in dem das Sein sich aufhält. In dem Maße auch ist ein Bau religiös, als er offen ist für den Ein bruch des Transzendenten, als er wirklich Weltgröndung und Weltexistenz verstattet, die Verbindung mit dem Göttlichen sichert und das Chaos profaner, unge stalteter Erdhaftigkeit formt. Zweck und Bedeutung Architektur ist zweckgebunden. Ein unpraktisches Haus ist in keinem Falle schön. Es hat an Bedeutung verloren, also seinshaft Einbuße erlitten. Die Undienlichkeit eines Bauwerkes verunmöglicht die Wesens verfassung des Bauwerkes als Seiendes. Entscheidend ist nun aber, wie weit der Begriff „Zweck" gefaßt und wie sein eigentliches Verhältnis zu Komposition und Sinn des Bauwerkes bestimmt wird. Ober den praktischen Zweck sind sich Hartmann und Schwarz einig. Ersterer führt darüber hinaus den Begriff des „ideellen Zweckes" ein, und verlegt ihn in den Hintergrund und zwar in den „seelischen Hinter grund" (126 bis 127), der sich durch spätere Analysen als Innenschicht in verschiedene Stufen aufspaltet (215ff.). Das Grundverhältnis oder Erscheinungsverhält nis bleibt sich dabei immer gleich: es vollzieht sich noch den Gesetzen des Zweckes. „Freilich bleibt trotzdem der Konflikt zwischen praktisch und schön bis in die Einzelheiten hinein erhalten. Und vielleicht ist er nie ganz zu bewältigen. Hier liegt die dem Bau meister gestellte Forderung: er steht vor der Aufgabe, die Synthese zu finden. Und die kompositorische d. h. die künstlerisch-architektonische Genialität dürfte eben in dem Maße des Ausgleiches bestehen, der dem zu gleich konstruktiven und formproduktiven Blick ge lingt" (128). Indem Hartmann den Begriff des „ideellen Zweckes" einführt, umgeht er jedoch dos eigentliche Problem. Der Stand der Frage hat sich lediglich auf die Innen schicht verlegt, in die der „ideelle Zweck" einfach auf gehen soll — oder als Konflikt weiterbesteht. Etwas anderes ist es, wenn „ideeller Zweck" als S i n n aufgefaßt und überdies noch zu einem Prinzip erhoben wird. Unter Prinzip soll jetzt wiederum nicht ein Motiv verstanden sein, sondern die Gestolthaftigkeit, die aus den Seinsverhältnissen der Dinge — im Falle des Bauens der Räume — ablesbar geworden ist. Schwarz meint dies, wenn er von der „Vergleichbarkeit der Dinge" spricht, die für ihn die Grundlage der Architektur bedeutet. Bauen als Aufgabe, Kunstwerk als Gabe Es ergeben sich aus obiger Bestimmung, in welchem Verhältnis architektonische Zweckaufgabe und bau liche Schönheit stehen, einige zwingende Folgerungen. Zweck und Sinn nennen nun nämlich auch im Bauwerk selbst begründete Unterschiede: Bau, der Wohnbau ist, also Zweckbau, oder auch umzirkter Raum, Schutzraum, Feierraum etc. und Bau, der „nur" noch bedeutet (Schwarz, 32). In beiden Fällen steht der Baumeister vor der Aufgabe, den eigentlichen Sinn des Bauens und der entsprechenden Bauten ins Werk zu setzen, wahrnehmbar Seiendes sinnvoll zu gestalten und sicht bar ins Erscheinen zu bringen. Dies ist nur möglich, wenn dieser letzte Sinn nicht nur als Seinsverfassung den Menschen (als Subjekt einer Aufgabe gegenüber) betrifft, sondern wenn er auch als Grundgestalt
in der Weit anwesend ist und von dort her als Gabe entgegengenommen wurde. Alle Räume wollen Weltraum ersetzen oder abbilden oder dessen Existenz bekunden. Weltraum aber ist geöffnet ins Unendliche. Diese Öffnung im Weltraum sollte der Architekt durch sein Bauen schlie ßen. Das ist seine Aufgabe. Und die ist unlösbar. Der Konflikt, der eben in der Spannung zwischen Zweck und Schönheit bestand, verschärft sich und wird zum Streit zwischen Erde und Welt, zwischen Ordnung und Chaos, zwischen Geschlossenem und Offenem, zwi schen Schein und Sein'). Hartmann sucht die Lösung in der Synthese, die geboten ist im schöpferischen Blick auf Konstruktion und Form zumal. Das ästhe tische Sein dieses Seienden, etwa des Bauwerkes, besteht in der Ausgeglichenheit zwischen Konstruktion und Form, in der Lösung der Aufgabe. Für Schwarz dagegen stehen alle großen und gültigen Werke im Angesicht des Unmöglichen (seinshaft, der Verfasser), sie sind alle begonnen „im Hinblick", als gewaltige Näherungen an die unlösbare Lösung, und ihre Größe besteht nicht in irgend einer ästhetischen Genießbar keit, sondern darin, daß sie die absolute Un möglichkeit schöpferisch ausspre chen, und daß jede ihrer Formen die ewige Lücke erschließt (69; vgl. baukunst und werkform, 10 [1957]), 152). Der Unterschied beider Auffassungen sei nun im eigentlichen und als Grundsatz zum Verständnis des Bauens und dessen Bedeutung festgestellt. Für Hartmann sind Sinn und Ziel und ideeller Hintergrund sowie Lebenswille und Idee der Baukunst nur vermit telnd, das heißt, daß sie das in Stein und Form und Kunstruktion Erscheinende sind, nicht ober das zur Erscheinung Drängende. ^]M. Heidegger, Der Ursprung des Kunstwerkes, in: Holz wege. Frankfurt a. M., 1952. 37, 51. Für Schwarz — für jegliches Denken, das Kunstwerke vom Sein her noch ihrer eigentlichen Seinsweise be fragt — sind die hintergründigen Dimensionen tran szendent, das heißt sie gehen durch sämtliche Schich ten hindurch und stehen ihrerseits am Anfang, als seinshafte Grundgestalten. So ist denn Heiligkeit z. B. ein Ursprung, nicht ein Zweck, auch nicht eirt ideeller. (Sonst sinkt Heiligkeit sofort von ontologischer Bedeutung ins „Motiv" herab. Heiligkeit, Sakralität ist jedoch immer seinshaft zu verstehen.) Das Offene, das Jenseitige, das Nicht-Profane gehört als das jenseits des Raumes Liegende auch noch zur baulichen Auf gabe. Es ist die eigentliche Gabe des Seins an das zu Seiende. Es ist gerade das an diesem konkret Seienden zu Verwirklichende. Es ist jedoch zugleich dos eigentlich Wirkende, dos eigentlich und vorzüg lich Seiende. Was ins Werk gesetzt werden muß, dos ist das an jedem Seienden Offene; die Kunst ist es, die das Offene des Seienden dem verschlossenen Blick des gewöhnlichen Menschen eröffnet. Das eigentlich Licht hafte, der splendor formae, wird erst im Werk sicht bar, und zwar im Kunstwerk. „Das Kunstwerk ist zwar nicht die einzige Stelle, an der die Hintergründigkeit der Dinge erfahren werden kann. Aber es ist einer der vorzüglichsten Orte der Begegnung mit der wah ren Wirklichkeit®)." Diese Begegnung geschieht durch den Bau selbst, nicht durch ein angehängtes Motiv — sei es noch so sakral, noch so religiös — und eben sowenig durch könnerische Routine. Auch nicht durch Erfüllung der Zwecke wird ein Bauwerk als Seiendes offenbar, sondern durch die Ablesborkeit des Ab soluten kommt das Sein des Schönseins als Glanz des Seins selbst zustande. ^)W. Weischedel, Die Tiefe im Anfllfz der Weif. Ent wurf einer Metaphysik der Kunst. Philosophie und Geschichte, 73/74. Tubingen, 1952. 48, 58. Ottokar Uhl Die Grundrichtungen der modernen Architektur im Profan- und Kirchenbau Die Anfänge Dazu die Abb. 1—8 /"TJ^as 19. Jahrhundert, reich an bedeutenden WerJ ken der Musik und Malerei, des Romans und der Lyrik, entwickelte keinen eigenen Baustil, sondern griff auf Bauformen vergangener Zeiten zurück. Frei lich brachte auch diese Zeit bedeutende Architekten persönlichkeiten hervor, wie Karl Friedrich Schinkel, Gottfried Semper oder Violett-Ie-Duc. Gleichzeitig mit der Industrialisierung nimmt die Bevölkerung sprungartig zu, der Zug in die Stadt setzt ein. In 150 Jahren vergrößert sich London um dos
achtfache, Paris in 50 Jahren um das zweieinhalbfache. Eine völlige Veränderung der Herstellungsmethoden und das Verdrängen und Ablösen des Handwerks durch die Industrie führt zur Machtstellung der Technik. Die Entwicklung der Naturwissenschaften führt zu einer Revision unseres Weltbildes und verändert den menschlichen Alltag bis in alle Einzelheiten. Die Archi tektur hatte sich bisher auf fast gleiche Bauaufgaben beschränkt: Kirche, Schloß, Rathaus und Bürgerhaus. Mit der Industrialisierung begannen sich nun neue Bauaufgaben herauszukristallisieren, wie Fabriken, Verwaltungsgebäude, Bahnhöfe, Krankenhäuser, Sport bauten, Schulen, Bibliotheken und Ausstellungs gebäude. An dieser Fülle von Einzelaufgaben schei tert der Eklektizismus mit seiner an historischen Vor bildern geschulten Methode. Jede stilgeschichtliche Epoche hat noch, auf der Suche noch ihrem spezifi schen Ausdruck, das Material gefunden, das ihrem Anspruch entsprach. Zu den bisher natürlichen Bau stoffen: Stein, Holz und Lehm, kommen die künst lichen: Stahl, Beton und Glas. In einer Zeit des schöp ferischen Tiefstandes erwartet man sich nun vom Eisen entscheidende Anregungen. Solche gehen in der Tat vom Brückenbau aus. 1779 baut John W i Ik i n s o n die erste gußeiserne Brücke in Europa über den Severn bei Coalbrookdale in England. Diese reine, auf jeden Dekor verzichtende Konstruktion führt zu einer neuen ästhetischen Wirkung. Mit großer Kühnheit entwirft Thomas Telford 1801 eine weit gespannte stützenlose Brücke über die Themse in London. Der erste Versuch im Hochbau ist die von Henri Labrouste 1843—1850 erbaute Bibliotheque Nationale in Paris. Unmittelbar darauf, 1851—1854, erbaut Joseph Paxton den Kristallpalast in London. Als Gegenstück dazu entsteht 1889, anläßlich der Pariser Weltausstellung, die „Galerie des machines", die bereits als klassisch zu bezeichnende Stahlkon struktion. Hier gelingt zum erstenmal eine völlig stützenfreie Überspannung von großer Distanz (115 m), sie ist die Erfüllung einer seit Jahrhunderten erträum ten Raumvorstellung. Der zur selben Ausstellung errichtete Eiffelturm (Höhe 300 m) verwertet die Er fahrungen der vorhergegangenen Brückenbauten und wird mit seiner architektonischen Eleganz zum Denk mal der modernen Ingenieurkunst. Im 19. Jahrhundert gilt Stahl als der neue Baustoff, obwohl der Stahlbeton seit der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, durch die Entdeckung des Gärtners Monier, bereits bekannt ist'). Die konstruktiven Grund lagen schafft erst der Franzose Francois Hennebique im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, zur gleichen Zeit, als man in der Architektur die schlichte, sachliche Form anstrebte. Stahlbeton setzt sich aus Stahl und Beton zusammen. Beton selbst besteht aus einem Gemenge von Sand, Kies, Zement und Wasser, ist also nidits anderes als ein künstlich hergestelltes Ge stein. Stahlbeton verbindet die Orud(festigkeit des Betons mit der Zugfestigkeit des Stahls. Der Beton umschließt dabei feuersicher die dünnen Stahleinlagen und schützt sie zugleich vor Rost. Die neue Konstruktionsmöglichkeit und dieser Ge staltungswille führen zu einer günstigeren Entwicklung als im Stahlbau, wo es eigentlich nur zu Einzellei stungen kam. Nun entstehen auch die ersten Kirchen bauten im neuen Material. 1894 baut Anatole de Ba udot die Kirche St. Jean de Montmartre in Poris, den ersten Sakralbau aus Stahlbeton. Die Raumform bleibt der mittelalterliche Gewölbebau. Erst 1908 folgt die von Theodor Fischer erbaute Garnisonskirche in Ulm, auch aus Stahlbeton (die Zwischenfelder sind ober mit Ziegeln ausgefüllt). Sie bricht als erste mit dem basilikalen Schema. 1903 errichtet der Altmeister des französischen Beton baues, Auguste P e r r e t, 1874—1954, das Wohnhaus in der Rue Franklin in Paris in Skelettbauweise. Es gelingt ihm damit, eine für Stahlbeton typische Ge staltung zu entwickeln. Die wenigen Stützen, auf denen die Konstruktion ruht, erlauben weitgehende Freiheit in der Raumteilung durch Trennwände. Da mit ist der variable Grundriß, später ein Element der modernen Architektur, geschaffen. Bei Perrets Ent wurf für eine Garage in der Rue Ponthieu in Paris tritt die unverkleidete Skelettkonstruktion als Architektur form in Erscheinung. Sie ist Konstruktion und Form zugleich. Die nicht tragende Wand wird in Glas auf gelöst. Damit wird eine weitere Ausdrucksform der modernen Architektur vorweggenommen. Höhepunkt seines Schaffens aber ist die Kirche Notre-Dame Le Raincy 1922. Die Wände aus Stahlbetonfertigteilen, von jeder Tragfunktion befreit, lassen das Licht all seitig ein, die dünnen Stützen wirken als senkrechte Raumakzente und bilden die seitliche Begrenzung des mittleren Schiffes. Damit ist der modernen Architek tur der endgültige Durchbruch im sakralen Raum, in der Einheit von Material und Konstruktion, gelungen. 1913 baut Max Berg die Jahrhunderthalle in Breslau, eine Betonrippenkuppel mit einer Spannweite von 65 m. In Amerika beginnt die Entwicklung mit der von George Washington Snow entwickelten BolloonFrame-Konstruktion, einer Art zimmermannsmäßig vor bereiteten Skelettkonstruktion in Holz, zum erstenmal angewandt bei der Kirche St. Mary in Chikago 1833. 1848 entwirft James Bogardus eine Gußeisen fabrik in New York. Gußeiserne, vorfabrizierte Ele mente ersetzen das Mauerwerk. Die Tragkonstruktion besteht aus gußeisernen Stützen und Balken. Dieses Gebäude ist als Vorläufer für die Skelettbauweise zu bezeichnen. Erst durch die Verwendung von Stahl, der nicht nur druck-, sondern auch zugfest ist, und durch das Verbinden der Stützen und Balken wird das Ske lett vom Fundament bis zum Dach ein in sich steifes Tragwerk. Die erste Stahlskelettkonstruktion wendet William Le Baron Jenney bei dem Home Insurance Building in Chikago 1883—1885 an, sie wird zum Markstein einer von innen heraus organisierten Archi tektur. Durch die Übersetzung von Sempers „Stil" und
I "• H: » i =5.r^, ^-1 n m-^f 1 Anatole de Baudo), St. Jean de Montmartre, Paris t894. Erster Sakralbau aus Stahlbeton, die Roumlorm hält am mittelalterlichen Gewölbebau lest 2 Auguste Perret, Notre Dame, Le Raincy, 1922. Die Wände lassen dos Licht allseitig ein. Dünne Stützen wirken als senk rechte Roumakzente und bilden die seitliche Begrenzung des mittleren Schilles 3 Otto Wagner, Kirche am Steinhol, Wien, 1905. Reinheit der Form, aus der Konstruktion entwickelt. Weitgehender Verzicht auf ornamentalen Schmuck. Vollendete Verbindung von Architektur, Plastik und Malerei 4 Frank Lloyd Wright, Unitarisches Andachtsgebäude, Madison, Wiscon sin, 1951. Einordnen des Boukörpers in die Natur. Verwendung natürlicher Materialien, wie sie die Umgebung bietet: Stein und Holz i i
5 Rudolf Schwarz, Fronleichnamskirche Aadien, 1930. Ein grofjer Einheifsraum. Das einzige Seifenschiff nimmt Beichtsfuhl und Andachfsräume auf 6 Ludwig Mies van der Rohe, Kapelle Illinois Insfifufe of Technology, Chikago, 1952. Ein sfüfzenfreier „Einheifsraum", Aufjenwände mif Sfahlrahmen und Ausfachung aus gelbem Badesfein 7 Le Corbusier, Kapelle Nofre-Dame>du-Hauf, Ronchamp, 1950—1955. Kapelle mif drei Türmen (darunter Alfäre) und einem Aufjenaltar für den Coftesdiensf im Freien. Die plastische Auffassung der Einzelform hat den Baukörper ergriffen 8 Enrico Casfiglioni, Wallfahrfskirche In Syrakus, Ent wurf 1927. Freie plastische Vorstellungen, in Architektur umgesetzt. Dachschale aus Stahlbeton, die auf drei frei im Raum stehenden und sechs von den Um fassungsmauern ummantelten Stützen ruht.
der weit verbreiteten Publikation „Manifest über die moderne Baukunst" von Otto Wagner durch John W. Root beginnt der Einfluß europäischer Architektur theorien spürbar zu werden. Louis S u II i v a n, 1856 bis 1924, der stärksten Persönlichkeit der damals ent stehenden „Chikagoer Schule", gelingt mit seinem 1899 erbauten Warenhaus Carson, Pirie und Scott in Chikago, der besten Ausdruck der Skelettkonstruktion. Sullivan wird nicht nur als Praktiker, sondern auch als Theoretiker richtungweisend; sein Gedanke, ein Ge bäude von innen nach außen zu planen, war damals neu. Durch die Weltausstellung 1893 in Chikago feiert die sogenannte „Abstrakte Schönheit" den Sieg über die funktioneile Gestaltung Sullivans und damit auch über die Chikagoer Schule und ihre modernen Strö mungen. Allein dastehend, führt der aus dieser Schule hervorgehende Frank Lloyd Wright 1869—1959 deren Tradition weiter. Die Einordnung des Baukör pers in die Natur und die Entwicklung des Hauses von innen nach außen, ohne Bindung an die über lieferten Formgesetze, führt zum „organischen Bauen". Erst 1932, seit der Berührung mit der modernen euro päischen Architektur durch die nach Amerika emigrier ten Architekten, tritt Amerika wieder entsdieidend auf. Loslösung In den neunziger Jahren entwickeln sich in England, Belgien, Österreich und Deutschland Bewegungen, die trotz ihrer Verschiedenheit gemeinsame Züge auf weisen: Ablehnung jeglicher Formen vergangener Stile, Suche nach einer neuen Ornamentform (damit noch dem 19. Jahrhundert verhaftet). In England sam meln sich in der Bewegung Arts and Crafts um William Morris, 1834—1898, und John Ruskin, 1819 bis 1900, bereits nach der Mitte des Jahrhunderts Künstler, die um die Hebung des handwerklichen Niveaus bemüht sind. Der Schotte Charles Rennie Mackintosh übt später, mit seinem neuen Konzept für das Wohnhaus (von innen nach außen konzipiert, mit zweigeschossiger Halle, um die die übrigen Räume locker gruppiert werden) wesentlichen Einfluß auf Adolf Loos und die Wiener Sezession. Zum Unter schied von „Arts and Crafts" erkennt ArtNouveau in Belgien die Bedeutung der Maschine für das neue Bauschaffen. Henry van de Velde, 1863—1957, der spätere Direktor der Kunstschule Weimar, mit seiner „Reinheit der neuen, zweckmäßigen Form" bildet das Haupt dieser Bewegung. Die in München erscheinende Zeitschrift „Jugend" gibt dem Stil seinen Namen. Um ihn gruppieren sich Victor de Horta in Belgien, H. P. Berlage in Holland und Charles Rennie Mackintosh in England, die Wiener Sezession mit Otto Wagner, 1841—1918, der, ursprünglich dem Eklek tizismus verhaftet, sehr bald eigene Wege geht, die Reinheit der Form aus der Konstruktion entwickelnd (vgl. dazu seine 1895 erschienene Publikation „Mo derne Architektur"). Bei seiner 1905 entstandenen Postsparkasse in Wien verzichtet er auf jeden orna mentalen Schmuck und findet in seiner Anlage und seiner Kirche am Steinhof in Wien, die ein bisher unerreichtes Beispiel sakraler Architektur darstellt, seinen Höhepunkt. Joseph Olbrich, ein Schüler Otto Wagners, stellt mit seinen Bauten auf der Mathilden höhe in Darmstadt die Verbindung zu der deutschen Gruppe mit Behrens, Eckmann, Endeil und Riemerschmid her. Die Wiener Sezession bildet die Grund lage für die 1903 entstehende „Wiener Werkstätte", in der Joseph Hoffmann dos moderne Wiener Kunst gewerbe gestaltet. Adolf Loos 1870—1932, ein Feind des Ornaments und damit der Antipode zu Olbrich und Hoffmann, schafft mit seinem Haus Steiner 1910 einen puritanisch strengen, einfachen Baukörper; die Fenster sind ohne Profile in die nackte Fläche ge schnitten, die ästhetische Wirkung geht allein vom Wechsel von verglaster und geschlossener Fläche aus. Durch die Absage an das Ornament tritt die Propor tion hervor. Die unbedingte Sachlichkeit wird die neue Architektursprache. Viele Anregungen dieser Zeit stammen von Malern und Plastikern. Für die Entstehung der modernen Architektur ist die „optische Revolution" entscheidend. Neue Sehgebiete erschließen sich, die perspektivische Raumvorstellung wird abgelöst von der Sehform, die ein Objekt von verschiedenen Standpunkten aus zu gleich erfaßt. Das bedeutet in der Architektur, daß der nach außen durch Wände abgeschlossene, ein deutig von einem Standpunkt erfaßbare Raum ab gelöst wird von einem Gefüge ineinandergeschobener Raumvolumina. Das Stahl- und Stahlbetonskelett gibt die konstruktive Möglichkeit. Adolf Loos' Haus Steiner kann hier als erstes Beispiel angeführt werden. Die holländische S t i j I gruppe, zu der sich 1917 die Maler Mondrian und Von Doesburg, die Architekten Oud, Van't Hoff und der Bildhauer Vantongerloo zusam menschließen, setzt sich mit den sozialen und wirt schaftlichen Gegebenheiten der Zeit auseinander. Die wechselseitige Beeinflussung der Künste führt zum erstenmal zu einem formal geschlossenen Erschei nungsbild auf den verschiedensten Gebieten. Die Ent würfe der Stijigruppe leben vorwiegend von der Har monie von Kuben, Flächen und Linien, hinter der die Funktion und Konstruktion zurückstehen. Als klas sisches Beispiel und Manifest zugleich, ist das 1923 von Van Doesburg und Car von Festeren entwickelte Haus anzusehen. Die veränderte Vorstellung von Ge stalt und Funktion des Hauses führen zur Auflösung des nach außen zu abgeschlossenen Raumes und be gründen damit die neue Raumkonzeption der moder nen Architektur mit ihrer Verbindung von Innen und Außen. Mies van der Rohe verwirklicht diese Andeu tung 1930 ini seinem Haus Tugendhat in Brünn. Hier sei auch noch Antonio Gaudi, 1852—1956, der die fließenden Linien des Jugendstils in die Dreidimen-
sionalität seiner durchmodellierten Architekturpiostik zu einer expressiven Baukunst führt, erwähnt. Durch die Übernahme organisch empfundener Formen in die Architektur ist sein Einfluß auf die Stadtplanung der dreißiger Jahre und auf Einzelbauten nachweisbar. Der deutsche Werkbund, 1907 gegründet, faßt Ar chitekten, Industrielle und Soziologen zusammen, er will die Entfremdung zwischen den entwerfenden Künstlern und der Industrie überwinden. Peter Beh rens, 1868—1946, versucht die Reform der Architek tur von der großen Form her. In seinen Bauten für die AEG Berlin wird der Industriebau zum erstenmal architektonisch bewältigt. Er sucht aus dem Material und der maschinellen Herstellung entsprechend klare Formen zu entwickeln. Er steigert die Zweckform ins Monumentale und gelangt schließlich zur klassizisti schen Form (wie in gemäßigtem Ausmaß auch Per ret). Mit seinen Industriebauten leitet er über zum Monumentolismus, und Plastizismus. Expressionismus Neben Behrens bemüht sich auch Hans P o e I z i g um die Formung des Industriebaues. 1911 entsteht sein Wasserturm in Posen, als ein noch ausgesprochen kon struktives Beispiel; für seine monumentolisierende und expressiv übersteigerte Architekturrichtung ist das 1919 errichtete Schauspielhaus in Berlin charakteristisch. Die expressionistische Architektur ist ein Versuch, die starke Ausdrucksgebärde der gleichzeitigen Flächen kunst auf das dreidimensionale architektonische Ge bilde zu übertragen. Hans Poelzig verkleidet die Kup pel des Zuschauerraumes des Berliner Schauspiel hauses mit einer Unzahl hängender Zapfen; Fritz Hoegers 1923 erbautes Chilehaus in Hamburg spitzt sich wie der Bug eines Schiffes in einem spitzen Win kel zu. Das Bauwerk wird zum Bildwerk. Der Expres sionismus bildet ein kurzes Zwischenspiel, bedeutende Beispiele gelingen nur im Theater- und Kirchenbau. Hier entwickelt Otto Bartning mit seinem Entwurf für eine Sternkirche 1922 einen Zentralbau, der einen pathetischen Irrationalismus vertritt. Erich Mendelsohn ist am nachhaltigsten vom Expressionismus beeinflußt. Ihm ist es in seinen frühen Bauten in erster Linie um einen plastischen Ausdruck der Betonstruktur zu tun. Angeregt durch die Formbarkeit des Stahl betons schafft er 1920 den Einsteinturm in Potsdam. Futurismus Im Entwurf von Antonio Sant'Elia 1913 sehen wir riesige Aufzüge, Fahrbahnen und Drehscheiben, auf fällig angebracht, die das Bild der Architektur von Augenblick zu Augenblick verändern. Diese Richtung beschränkt sich fast nur auf Italien und ist als erste Reaktion auf den Eklektizismus und den Jugendstil zu verstehen. Funktionalismus, Rationalismus und Konstruktivismus Alle diese Bestrebungen sind aber mehr oder weni ger Obergänge zu den schließlich ganz Europa um faßenden eigentlich revolutionären Bewegungen der heutigen Architektur, die aus dem geschichtlichen Ein schnitt, den der erste Weltkrieg bedeutet, hervorgehen. Als Mitarbeiter im Büro Behrens wird Walter Grop i u s, geboren 1883 in Berlin, mit den Elementen der modernen Architektur vertraut, distanziert sich aber bald von der Monumentalität. 1911 errichtet er die Fogus-Werke in Alfeld und begründet damit seinen Ruf. Neuartig ist die Formidee, die nicht tragende Funktion der Außenwand zwischen den Pfeilern da durch ästhetisch zu verdeutlichen, daß sie als dünne, vorgesetzte Haut aus einem Stahlwandfachwerk ausge bildet wird. Eine Entdeckung, die heute als „Curtain Wair (Vorhangwand) zu einem wichtigen Gestaltungs element im Hochhausbau geworden ist. Sein 1922 ent worfenes Bürogebäude für die Chikago Tribüne zeigt die Konstruktion als sichtbares Formelement wie bei Perret, die Tragkonstruktion liegt in der Wandebene, Stützen und Balken bilden ein rechtwinkliges Gitter — ein reiner Stahlbetonskelettbau, der bis heute beispiel gebend ist. Die sichtbar gelassene Konstruktion wird zum Ausgangspunkt einer neuen Gestaltung. 1919 wird Gropius Nachfolger van de Veldes an der Kunstschule in Weimar, dem späteren Bauhaus. Das Ziel liegt in der Verwirklichung einer modernen Architektur, die gleich der menschlichen Natur das ganze Leben um faßt. Die Trennung zwischen der bildenden Kunst und der Architektur und Technik soll aufgehoben werden. Gropius ruft bedeutende Maler, wie Feininger, Kandinsky, Klee, Schlemmer und Moholy-Nagy ans Bau haus. 1925 übersiedelt das Bauhaus nach Dessau. Hier hat Gropius die Möglichkeit, beim Bau des Schulge bäudes und der Lehrerwohnungen sein architekto nisches Konzept zu verwirklichen. Die Mittel, die er dabei verwendet, sind: Einheitlichkeit der Formen sprache und Differenzierung der Baumassen nach ihrer Funktion. Gerade diese Differenzierung wieder führt zu einer Formbelebung, die bis heute in den verschie densten Werken zum Ausdruck kommt. Die Bedeutung des Bauhauses lag nicht in einem klaren Programm, sondern in seiner „Idee", der Idee der Vereinigung von Kunst und Technik als Grundlage einer modernen Ge staltung. Die schwere Aufgabe bestand nun darin, die verschiedenen Richtungen zu koordinieren. Gropius fühlte, „daß das Wohl der Baukunst auf wohlabge stimmter Arbeit einer Gruppe von Mitarbeiter be ruht". Damit ist der Gedanke der Teamarbeit geboren, die er 1945 in seinem „The Architects Colloborotive" verwirklicht. 1928 tritt Gropius als Direktor zurück und bleibt bis zu seiner Emigration nach England in Berlin selbständig tätig. 1937 erhält er eine Berufung als Lehrer an die Harvard Universität. Die amerikanische
Architektur stand noch immer unter dem Einfluß des Eklektizismus, der die Schule von Chikago abgelöst hatte. Zu gleicher Zeit kommt Mies von der Rohe an das Illinois Institute of Technology in Chikago. Dies wirkt so befruchtend, daß erst von diesem Zeitpunkt an von einer Breitenwirkung des modernen Bauens ge sprochen werden kann. Gropius' pädagogisches Werk ist in seiner Wirkung noch nicht abzuschätzen, er will nicht Ergebnisse überliefern, die übernommen werden können, er will eine Methode des Denkens lehren. Sein großer Gegenpol, Le Corbusier, geboren 1867 in La Chaux-de Fontes, Schweiz, ist zugleich Maler und Bildhauer und strebt deshalb ebenfalls eine Vereinigung der Künste an. Anfangs vollkommen iso liert, wird er durch seine Schriften und scharfen Formolierungen bekannt. 1908 bis 1909 lernt er bei Perret alle Möglichkeiten des Stahlbetons kennen. Stahlbeton wird auch das Material, mit dem er seine eigenen Formvorstellungen verwirklicht. Seine Ästhetik ist durch fünf von ihm formulierte Prinzipien gekennzeichnet: 1. Tragkonstruktion und raumbegrenzende Wände werden getrennt, freistehende Stützen heben das erste Geschoß vom Boden ab, die Grünzone wird unter dem Baukörper weitergeführt, der Baukörper selbst ist ein geschlossener Kubus zum Unterschied von Wright und Mies van der Rohe. 2. Der Vorstellung des Hauses als Würfel entspricht das Flachdach, die konstruktiven Vorbedingungen sind gegeben, das Flachdach wird in eine Dach terrasse verwandelt. 3. Die Skelettkonstruktion erlaubt eine freie Grund rißgestaltung; die Anordnung der Wände wird ausschließlich von der Raumfunktion bestimmt. 4. Die freie Gestaltung der Außenseite — die tra genden Stützen sind innen — erlaubt ein durch gehendes Fensterband. 5. Das horizontale Fensterband dient der Einheit des äußeren Erscheinungsbildes und ist ein logischer Ausdruck der Konstruktion. Immer wieder setzt sich Le Corbusier mit den Grund lagen einer neuen Wohnungsform auseinander. Die Befriedigung von Bedürfnissen, also die Erfüllung der Zwecke, ist im Wohnhaus von 1927 in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung erreicht. Seine städtebauliche Idee ist die, die Flächenbebauung aufzulösen und durch große Wohneinheiten, die sich in die Höhe erstrecken und in großen Grünflächen stehen, zu ersetzen. Die volle Realisierung wird erreicht in der Unite d'Hobitation, Marseilles 1947 bis 1952. Die Abmessun gen des Gebäudes hat Le Corbusier auf Grund des von ihm entwickelten „Modulor" festgelegt, der eine Pro portionsreihe darstellt, die in Beziehung zu den Maßen des menschlichen Körpers steht. In seinen letzten Ent würfen verläßt Corbusier die geometrisch-rechtwink lige Grundauffassung und kommt zu einer betont pla stischen Gestaltung. Diese Tendenz läßt sich schon früher in seinen Dachaufbauten und in der Gestaltung der Innenwände erkennen. Die Plastik der spä ten Bauten steht nicht mehr in direkter Beziehung zur Konstruktion-, sondern entspricht einem reinen Form empfinden, und findet seinen Höhepunkt in der Wall fahrtskirche Ronchamp 1950 bis 1953. Sie bildet zu gleich einen krassen Gegensatz zu drei prinzipiellen Beispielen von Sakralbauten dieser Stilepoche: Karl Mosers St.-Antonius-Kirche, Basel 1926 bis 1927, eine reine Stahlbetonkonstruktion wie bei Perret, auf eine steile, kantige Raumform angewandt mit quadratischen Pfeilern statt Rundstützen; Otto Bartnings Stahlkirche, Köln 1928, ein Raum, dem eine geöffnete, entmateriali sierte, bunte Wand eine eigenartige Atmosphäre gibt, wobei die innen liegenden Stützen zwei Seitenschiffe ergeben, die als Umgang um den Chor geführt sind; die Fronleichnamskirche von Rudolf Schwarz, Aachen 1930, ein großer Einheitsraum, der durch eine geschlos sene, kompakte Ziegelwand begrenzt wird, während ein Seitenschiff Beichtstühle und Andachtsräume auf nimmt. Im Funktionalismus wird dem Grundriß großes Au genmerk zugewandt, auf seine Auflockerung und Variabilität wird großer Wert gelegt, dos Haus löst sich vom Boden, durch das Glas dringen Sonne, Licht und Luft und dos Bild der Landschaft in die Räume, der Garten setzt sich unter dem Haus und auf dem flachen Dach fort. Durch dos Verlegen der Stützen nach außen tritt eine völlige Freizügigkeit in der Un terteilung ein; Curtain-wall, Fensterband, sicht bares und spürbares Konstruktionsgerüst sind die neuerk Merkmale. Mies van der Rohe, geboren 1886 in Aachen, ist anfangs beeinflußt von Behrens' Neoklassizismus. 1919 Studien über gewellte, scharfkantige und ge brochene Glasflächen an hohen Gebäuden, 1922 über ein Bürohaus in Stahlbeton mit nach innen genom menen Stützen. Bei einem Wechsel von Brüstung und Fensterbändern dominiert die Horizontale, eine neue Form, die später immer wieder verwendet wird. Bei der dritten Studie, dem Wohnhaus 1923, ging es Mies van der Rohe um die Formulierung einer neuen Raum konzeption. Die Wand wird selbständig, greift üoer die Grenzen des Innenraumes hinaus, verbindet den Innenraum mit dem Freiraum. Mies van der Rohes deutscher Pavillon auf der Internationalen Ausstellung in Barcelona 1929 demonstriert am reinsten diese Form. Dos 1930 folgende Haus Tugendhat in Brünn wendet dasselbe Prinzip im Wohnhaus an. 1938 nach Amerika berufen, führt er dort als Krönung seines Le benswerkes das Institute of Technology aus. Mies van der Rohe versucht bei dieser Anlage mit äußerster Dis ziplin, die Einheit von Fläche, Raum und Körper durch ein einheitliches Maßsystem auszudrücken. Die Kapelle dieses Institutes 1952, ein stützenfreier „Einraum", ist ein edles Beispiel moderner Baukunst. Weitere „Einräume" der letzterk Jahre sind das Mannheimer Theater und der Bau der Architekturabteilung des Institutes of
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2