An erster Stelle muß Passau genannt werden, die olte Bischofsstadt an der Donau, Inn und Hz, die schon durch ihre Loge an der bayerisch-österreichischen Grenze und darüber hinaus als Metropole eines aus gedehnten Kirchensprengels in Niederbayern, Oberund Niederösterreich wie kein zweiter Ort geeignet war, Verbindungen zwischen den benachbarten Kunstkreisen herzustellen. Mit der ganzen Stadt war 1662 auch der gotische Dom ein Raub der Flammen geworden. Der aus Böhmen stammende Fürstbischof Wenzeslaus Graf Thun berief für den barocken V/iederoufbau den Prager Architekten Carlo Lurago in die Dreiflüssestadt. Nach seinen Plänen und unter seiner Leitung entstand — mit teilweiser Benützung des alten Mauerwerks — eine weiträumige Pfeiler basilika mit nicht hervortretendem Querschiff, Vierungskuppel, flachen Wandpfeilerkapellen, mäch tigen Gesimsen, das Mittelschiff mit großangelegten Halbkuppelgewölben, auch volle Platzl oder Böh mische Kappen genannt, überdeckt. Wahrscheinlich haben euch die Brüder Dientzenhofer, vor allem die älteren von ihnen, am Dombau als Maurer mit gearbeitet. Leider sind die Baurechnungen bei dem neuerlichen Stadtbrande von 1680 vernichtet worden. Aber diese Annahme, die auch dadurch noch eine Bekräftigung erfährt, daß ein Schüler Luragos, der Baumeister Abraham Leuthner, ebenfalls aus der Dientzenhoferschen Heimat stammen dürfte, erklärt am ehesten die Tatsache, daß die altbayerischen Dientzenhofer seit 1677 bzw. 1678 in Prag anzutref fen sind. Der Inn war zu jener Zeit eine wichtige Verkehrsstraße, Passau die Zwischenstation auf dem Wege in die böhmische Landeshauptstadt. Leuthner, der im letztgenannten Jahre Anna, eine Schwester der Dientzenhofer-Brüder in Prag ehelichte, wurde auch zu ihrem Prager Lehrmeister in der Architektur. Die Ausstattung der neuerbauten Passauer Bischofskirche mit Stukkaturen schuf 1680—1686 Giovanni Battista Carlone mit seiner Truppe. Die Dientzenhofer konn ten in Passau Mitglieder der Familie Carlone als Architekten kennenlernen. Denn schon vor 1673 schaffte ein Carlone, wohl Carlo Antonio, an der Jesuitenkirche St. Michael, die 1677 ihre bauliche, nach 1680 ihre dekorative Vollendung erfuhr. Die Pfarrkirche St. Paul, errichtet 1663—1678, gehört ebenfalls in diesen Kreis hinein. Beide Kirchen reprä sentieren den querschifflosen Wondpfeilertypus von hallenartigem Querschnitt und mit emporenbesetzten Kapellen. Wenig später finden wir die gleichen Künstler gruppen mit dem Bau und der Ausstattung der Zisterzienserabteikirche im oberpfälzischen Wald sassen beschäftigt, nahe der böhmischen Grenze. Als Baumeister wird seit 1682 Abraham Leuthner aus Prag genannt, dem als Gehilfen bzw. Poliere Georg, Christoph und Leonhard Dientzenhofer zur Seite stehen. Die Kirche wuchs seit 1685 aus dem Boden als Wandpfeilerbasilika mit Emporen über den Sei tenkapellen, mit nicht vorspringendem Querschiff, einer Halbkuppel über der Vierung und einem sehr langen Mönchschore. Die Platzifolge des Mittel schiffes, entlehnt dem Passauer Dome, die Mulden gewölbe und die einem Oval angenäherte Grund rißform der Abseiten und nicht zuletzt die Wand aufteilung und die kastenartige Geschlossenheit des Mittelschiffes, olles anzutreffen in der Prager Igna tiuskirche (1665—1678 von Carlo Lurago), weisen auf Lurago als eigentlichen Planurheber hin. Das schließt natürlich spätere Korrekturen von Seite Leuthners, der Dientzenhofer und vielleicht Jean Baptiste Matheys keineswegs aus. Die Helmgewölbe im Seitenschiff des Passauer Domes sind gleich Schäch ten in die Höhe gezogen. Das Durchstoßen der Emporen in Waidsassen, wodurch Lichtschächte ent stehen, stellt nur ein logisches Weiterdenken dieser Wölbungsform dar. Die Stuckarbeiten führte 1695 bis 1698 Giovanni Battista Carlone aus. In den nun folgenden Jahren ist Giovanni Battista Carlone, vor ollem durch seinen Schwager Paolo d'Aglio als Mittelsmann, in ständiger Zusammen arbeit mit Wolfgang Dientzenhofer, dem Zweit ältesten der Brüder, in der Oberpfalz und in Nieder bayern anzutreffen. Wolfgang Dientzenhofer wirkte seit 1698 in Amberg, schon wenige Jahre später be kam er dort den Posten eines Hofbaumeisters über tragen. Carlones Leute stuckierten fast sämtliche Bauten des Meisters in Amberg aus: 1696 ff. das Kloster und 1699 ff. die Kirche der Salesianerinnen, 1699 und 1700 das Paulanerkloster, 1700 oder bald danach die kleine Gruftkapelle der Familie Weinzierl an der Dreifaltigkeitskirche, endlich 1702—1717 mit längeren Unterbrechungen die Mariahilfkirche auf dem gleichnamigen Berg im Nordosten der Stadt. Schon 1701 hotte Carlone die Stuckdekoration in der von Wolfgang Dientzenhofer barockisierten Karmelitenkirche in Stroubing angebracht. Schon diese wenigen historischen Tatsachen lassen vermuten, daß sich in unserem Räume lebendige Pro zesse abspielten, vielgestaltig, vielschichtig und von großer Bedeutung für das Bauen des 18. Jahrhun derts. Anlagemöglichiceiten und Stilmerkmale wurden gegenseitig ausgetauscht. Angenommenes mit über kommenem verschmolzen, aus Altem Neues herausentwickelt. Es ist z. B. abwegig, dem oberpfälzischen Bauwesen um 1700 Sterilität und Stagnation vorzu werfen, wie das noch Houttmann getan hat. Ein un voreingenommener Beobachter wird leicht das Ge genteil feststellen können. Skizzenhafte Bemerkun gen sollen das Gesagte erhärten. Im Verlaufe des 17. Jahrhunderts war in Böhmen für die Wandpfeilerkirchen der polare Kastenraum ausgebildet worden durch gleichmäßiges Einziehen des Presbyteriums und des Orgelchorraumes. Die erste Wandpfeilerbasilika dieser Art erstellte 1617
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