herrschende Stellung im Leben des Volkes wieder gewonnen. Auch der Sieg über die Türken war ja ein Triumph der Kirche, die Verwirklichung der universal abendländischen christlichen Idee, die schon Karl V. in sich getragen hatte. Weltlicher Glanz und religiöse Inbrunst suchen und finden jenen unnachahmlichen Zusammenhang, den wir als barocke Kultur bezeich nen. Ihr künstlerischer Ausdruck liegt noch offen und sichtbar vor uns, aber es darf nicht vergessen wer den, daß es sich hier nur um die äußere Form eines inneren Erlebnisvorganges handelt, der durchaus nicht nur im Künstlerischen zur Darstellung und Ge staltung ringt. Die neue Lebensform, die dos meiste den Anregun gen verdankt, die der romanische Süden vermittelt, offenbart sich im Rahmen der zeitgemäßen sozialen Verhältnisse. In der Periode der Ausbildung und Vollendung absolutistischer Herrschaftsformen reprä sentieren der kaiserliche Hof, der Adel und die Kirche am deutlichsten den Geist der Zeit. In diesen Kreisen sammelt sich das kulturelle Streben zu den höchsten und dauerndsten Leistungen. Das reiche Besitztum bietet die materielle Grundlage dafür. Es wird bisweilen bis zur wirtschaftlichen Erschöpfung ausgenützt. Als weltliche und geistliche Hofkultur tritt der Barock in Erscheinung, aber er trifft weithin auf ein im Volke schlummerndes Bedürfnis nach geisti ger und künstlerischer Entfaltung und Neugestaltung, das sich aus den ärmlichen Lebensverhältnissen des 17. Jahrhunderts in reicher Vielfalt nach verschiedenen Richtungen auszuleben sucht. Städte und Dörfer über nehmen nach ihren bescheidenen Kräften die neuen Ausdrucksformen eines gesteigerten seelischen Emp findens. Andererseits fließen niemals verloren gegan genes heimisches Gedankengut, heimische Überliefe rung und bodenständige Gesinnung in unzähligen Bächlein in den breiten Strom des durch die hohen Vorbilder der Meisterschaft erwecicten kulturellen Schaffens. „Barock" ist an sich ein internationaler, ein europäischer Lebensstil, aber jedes Volk und jedes Land schafft sich die eigene Gestalt seiner Er scheinungsform. Barock ist vor ollem ein sinnliches und zugleich irrationales Raumerlebnis eigener Art. Der Erweite rung und Zusammenfassung des territorial-politischen Raumes entspricht ein geistiges Raumerlebnis und eine weitgespannte Reaktionsfähigkeit des Gemütes. Die bildhafte Darstellung dieses Raumerlebnisses macht auch vor dem Grenzenlosen und Zeitlosen nicht halt. Der Erdenraum mit seinen Wundern, der Raum zeiterfüllender historischer Erkenntnis, der Raum des mystisch-religiösen Erlebnisses in Himmelsweiten, das alles fügt sich zusammen und drängt eine hemmungs lose Phantasie und ein anspruchsvolles Gestaltungs vermögen zu beispielloser Schaffensfreude. Barock ist Pathos in sinnhafter und symbolischer Gebärde. Wo die zeitgebundenen Erkenntnismittel versagen, tritt die sinnvolle Allegorie an ihre Stelle. In historischer Verkleidung programmatischer Allegorie und Anspie lung soll der tiefere Sinn der Gegenwart gedeutet werden. Ein überschwengliches Gefühl durchstürmt die geformte künstlerische Gestalt. Das Ungewöhnliche und Großartige will sich dem staunenden Auge offen baren, der Glanz irdischer Herrschaft und himm lischer Glorie, der Wissenschaften und Künste. Thea tralisch und auf Eindruck berechnet ist das prunk hafte Zeremoniell im weltlichen und geistlichen Be reich und fürstliches und kirchliches Bauen schaffen Raum und Rahmen für die Entfaltung eines sinnhaften Schauspieles. Die Macht und Kraft des Symbolischen durchbricht die rationalen Grenzen strenger Gesetz mäßigkeit, die Phantasie triumphiert über die Logik. Barock bedeutet Ehrfurcht und Bewunderung für das, was man als groß empfindet. Der mächtige Fürst, der erfolgreiche Stratege, der ekstatische wunder tätige Heilige, heroische Leistung, heroisches Opfer und Leiden, in zahllosen Varianten wird das alles zur Anschauung gebracht, soll entzünden, hinreißen und zur Nachahmung bewegen. Barock will das Leben, das Leben in dieser Welt, das Leben nach dem Tode in himmlischer Glorie oder auch in irdischem ewigem Gedächtnis. Es will auch das Leben der Vergangen heit, der Tradition, der Geschichte. Es ist ein eminent geschichtliches Zeitalter: denn die Größe leitet sich ab aus der Geschichte, die Größe des Vaterlandes und die Größe des eigenen Geschlechtes. Die Großräumigkeit barocker Lebensschau erstreckt sich also auch über den zeitlichen Raum in die Vergangenheit und Zukunft. Man versteht die Spannungen, die sich aus einem derartig vielfältigen Komplex der Lebensformen und des Lebensinhaltes ergeben müssen, die Spannung zwischen Weltsinn und Weltüberwindung, die Span nung zwischen Vorstellung und Wirklichkeit, zwischen Herrentum und Dienst, zwischen reich und arm, vor allem aber die erregende Spannung zwischen Schein und Wahrheit. Diese Zeit ist erfüllt von solchen Ge gensätzen und daraus entspringender Erregung, sie ist zu großer Begeisterung fähig. Der innige Augen aufschlag zum Himmel, diö in Inbrunst über der Brust verschlungenen Hände, die wie von einem inneren Geisteswehen bewegten Gewänder, sie ge hören ebenso zu dem Wesen der Zeitidee wie der gebietende Held auf sprungbereitem Roß und die wallenden Togen der Majestät, die funkelnden Ketten und blitzenden Juwelen, aber auch wie der phanta stische Reichtum an leuchtenden Farben und theatra lischen malerischen Konzeptionen. Imperium und Sacerdotium, Herrschaft und Priestertum, Reich und Kirche, das sind die universalen Themen in Geschichte und Gegenwart. Was geschaf fen wird, soll nicht allein dem augenblicklichen Be dürfnis lebender Geschlechter dienen, sondern zu gleich Denkmal für die ferne Zukunft sein: „Denn
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