Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 1

DAS FORUM Curt Grüfzmacher, München Die Sammlung E. G. ßührle Kritische Anmerkungen zur Ausstellung im Haus der Kunst, München, 5. Dezember 1958 bis 1. März 1959 Ohne Zweifel ist die Sammlung Bührle eine der groß artigsten Europas, die in ihrer Gesamtheit den Sonder platz, den sie nun im neuen Trakt des Kunsthauses Zürich einnimmt, wohl verdient. Die Auswahl von 180 Gemälden, die sich auf die neuzeitlichen Stücke beschränkt und gegen wärtig im Haus der Kunst den Anziehungspunkt aller Freunde der modernen Malerei bildet, läßt ihre Bedeu tung klar hervortreten. Es ergeben sich aber auch man cherlei Probleme, die vielleicht bei anderen Privatsamm lungen — z. B. der Sammlung Reinhart in Winterthur — ouf Grund ihrer größeren Kontinuität nicht in gleichem Maße auftauchen würden. Vor ollem: wie ist eine Aus wahl von Bildern zu treffen, die zunächst den Sammler als zielbewußte Persönlichkeit ausweist und außerdem einen eindeutig profilierten Gesamteindruck vermittelt? — Diese Aufgabe — so scheint es uns — wurde mit der von Prof. Reidemeister im Charlottenburger Schloß in Berlin gezeigten Auswahl bedeutend geschickter bewältigt als jetzt in München. (Ganz abgesehen von dem sorgfältiger gearbeiteten und instruktiveren Katalog, gegen den der Münchner eher einem lieblosen Fahrplan gleicht.) In Berlin hieß die Ausstellung (insgesamt nur 77 Werke) „Franzö sische Malerei, von Manet bis Motisse" und akzentuierte damit deutlich den Schwerpunkt, den die Bührle-Sammlung bei Ausscheidung der älteren Bestände ohnehin hat. In München sind fast dreimal soviel Bilder zu sehen, leider jedoch auf Kosten der Gesamtwirkung. So schön es ist, zwei große Canalettos bewundern zu können, ein hin reißend vorgetragenes Porträt aus der Spätzeit von Franz Hals, einen schönen Solomon van Ruysdael und eine be deutende Landschaft von Philips Köninck — sie bilden trotzdem nur ein leicht unorganisch wirkendes „Praefix" zur eigentlichen „Tonstelle" der Sammlung. Dazu kommt noch, daß ein Greco, ein Goya, ein Pieter de Hooch und verschiedene Kleinformate durch unvorteilhafte Hängung leider völlig um ihre Wirkung gebracht werden. — Mit David und Ingres, mit Gericault und Delacroix könnte nun legitim die Einleitung zur Moderne beginnen; jedoch ge rade Delacroix ist mit nicht besonders starken Beispielen vertreten, so daß sich bei einem ungenügend geschulten Betrachter die Bewertung leicht zugunsten des fronzösisdien Klassizismus verschieben könnte. Es bleibt proble matisch, hier einen gerechten und gerechtfertigten terminus o quo zu finden. Von Delacroix ist besonders eindringlich ein Selbstbild nis voller Persönlichkeitsnähe, fast intim zu nennen, und — reizvoll für den Kenner des großen Louvre-Bildes — die „Studie zur Dante-Barke", die auf kleinem Format bereits alle entscheidenden Bildelemente des großen Wer kes enthält. Von Corot gibt es ein in den Tonwerten be stechendes „Lesendes Mädchen", welches den Motiven der dritten Italienreise (1843) entstammt und ein Pendant in der Sammlung Reinhart hat. Mit sieben Renoir-Bildern, ebensovielen Monets aus einer Schaffenszeit von annähernd 40 Jahren, und elf zauber haft strahlenden Manets beginnt die französische Malkunst ihren Ruhm in verschwenderischer Fülle auszubreiten. Nur einige der hervorragendsten Werke seien erwähnt: von Manet die „Rue de Berne", „Les Hirondelles" und die Blu men in der „Drachenvase", einem kleinen Farbwunder von körperlich spürbarer Duftigkeit; Monets im Londoner Ne bel gespenstisch auftauchende „Waterloo-Bridge", die „Madame Camus" von Degas, die „Irene Cohen d'Auvers" von Renoir und von Toulouse-Lautrec eine Szene aus „Messoline", die 1900 in Bordeaux entstand. Höhepunkt der Sammlung ist die einzigartige CezanneKollektion, von der 14 Bilder in einem Raum vereint sind (insgesamt enthält die Sammlung 19 Werke Cezannes); hier bildet „Der Knabe mit der roten Weste" den Haupt akzent. Zusammen mit den beiden anderen großformati gen Porträts, dem „Selbstbildnis mit Palette" und der „Ma dame Cezanne im Sessel", wird daran die ganze Proble matik von Cezannes Menschendarstellung gegenwärtig. Sogar in dem Selbstbildnis erscheint uns etwas nur „mit demütiger Objektivität wiederholt" und abgelöst von ollen Stimmungswerten, frei von allen subjektiv-psychologischen Komponenten, was diese Art des Menschenbildes „ins Un zerstörbare hinein steigert" und so zum Menschlichen schlechthin vordringt, so daß alle Vorwürfe einer „Enthumanisierung", die man dieser Porträtmalerei gemacht hat, nur noch als Mißverständnisse gedeutet werden kön nen. Hier hört alles Einfühlsame auf; statt dessen verwirk licht sich — im Sinne einer echten Poiesis — eine nicht von der momentanen Verfassung des Objekts bestimmte Existenz, eine Seinsweise, die alles Menschlich-Pathetische, nicht aber das Menschlich-Ethische ausschließt (Kurt Badt). — Das absolut Ruhige „als eine Grundverfassung des Seins der Dinge überhaupt" verwirklicht sich in einem Stilleben (1883—87), welches durch seine leuchtende Far bigkeit auffällt; zwei Beispiele der frühen Phase — „Schneeschmelze" und mehr noch die „Versuchung des hl. Antonius" — spiegeln die subjektive Gefühlslage, jene düster quälende Sinnlichkeit wieder, die Cezannes erste Periode kennzeichnet. Alles das vvird späterhin geläutert und von einer disziplinierten, das eigene Ich verleugnen den Geisteshaltung abgelöst, wie sie der zielsichere Auf bau der letzten Landschaften mit der aus einer immer dichter werdenden Farbstruktur herauswachsenden SainteVictoire erkennen läßt. — Bei den elf van Goghs zeigt sich am eindrucksvollsten der Wandel im Strich zwischen der Arleser Zeit und der in St. Remy. Die zwei Bilder aus Arles („Obstgarten", „Der Sämann") vom Jahre 1888 sind relativ ruhig leuchtend, im Pinselduktus noch sehr gebän digt, während die vier in St. Remy (1889) entstandenen („Gelbes Ährenfeld mit Zypressen", „Park des Spitals", „Les Sarcleuses", „Kastanienzweig") immer züngelnder und lodernder werden, um zu beinahe jugendstiligen Elemen ten zu gelangen. — Gauguin ist mit der „Opfergabe" (1902 auf den Marquesas entstanden) vertreten, die in die Reihe der späten Zweifigurenbilder gehört, sowie u. a. mit zwei Stilleben, die den Einfluß Cezannes verraten. — Interessant sind die zwei kleinen Studien Seurats zur „Grande Jotte", die Pissarros und die Fülle der französi schen Intimisten Vuillard und Bonnard, die in den hiesigen Galerien nur spärlich vertreten sind.

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