Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 1

tauchen wieder auf In der Benediktinerabteikirche Melk (1702 ff. von Jakob Prandtauer), die Emporendurchbrüche In der Stiftskirche zu Dürnstein (1721 ff. von Josef Mungenast). Eine festumrissene Gruppe altbayerischer Zentral bauten des 17. Jahrhunderts entnimmt ihre Grund risse der religiösen Symbolik. Der Kreis, die Drei- und Vierpaßform als Sinnbilder Gottes, der allerheiligsten Dreifaltigkeit und des Kreuzes waren besonders be liebt. Die Wurzeln dieser Formenwelt dürfen wir in der volkstümlichen Frömmigkeit suchen, die es liebt, die Glaubensgeheimnisse „handgreiflich sichtbar" werden zu lassen (Passionsspiele!), und in venezia nisch-lombardischen Anregungen, die im Salzburger Domchor (1614—1628 von Santino Solari) nördlich der Alpen monumentale Gestalt gewannen. Der Wesso brunner Bildhauer-Architekt Konstantin Bader (ge storben 1681) verband diese Ströme miteinander und erhob sie zu eigenwilligen Kunstwerken. In der Wall fahrtskirche Maria-Birnbaum bei Aichach (1661—1665) fügte er Kreissegmente und Dreipässe aneinander, in der Kreuzkirche von Westerndorf bei Rosenheim (1668—1672) umschrieb er einen Vierpaß mit einem Kreis. Georg Dientzenhofer krönte diese Entwicklung mit der Wallfahrtskirche Kappel bei Waldsassen (1685—1689). Flier stoßen drei mit ffolbkugeln über wölbte Halbkreise derartig aneinander, daß ihre Sehnen ein gleichseitiges Dreieck bilden, welches durch drei eingestellte Säulen bezeichnet wird'). Drei Altäre, drei Türme, drei Laternen, ein sich ringsum anschmiegender niedriger Umgang vervollständigen dos originelle Gebilde zu Ehren des einen Gottes in den drei Personen. Das Problem des symbolischen Grundrisses hat die Dientzenhofer immer wieder be schäftigt. Genannt seien die Vier- bzw. Dreipaß anlagen Wolfgangs in der Salesianerinnenkirche zu Amberg (1697—1699) und in der Wallfahrtskirche Frauenbründl bei Straubing (1705—1707), Leonhards Rundkapelle mit Nischen zu Ehren des hl. Kreuzes in Goibach/Ufr. (1697—1698) und die vielen Entwürfe im sogenannten Dientzenhofer-Skizzenbuch des Baye rischen Nationalmuseums in München. Daß aus die sem Kreise Impulse auf das oberösterreichische Bauen ausgegangen sind, kann bei den nachweisbar engen Beziehungen keinem Zweifel unterliegen^). In Ober österreich erscheinen nämlich wenig später recht ähn liche Grundrißlösungen. In der Wallfahrtskirche Christkind! bei Steyr (begonnen 1706 von Carlo An tonio Corlone, noch 1708 von Jakob Prandtauer fort geführt) sind an einen überhöhten kreiszylinderförmigeni Hauptraum vier Konchen gelegt, in der Drei faltigkeitskirche Stadl-Paura bei Lambach (1714—1717 von Joh. Mich. Prunner) ist ein kompliziertes Drei konchengebilde einem Hauptraumzylinder unterge ordnet und in ein gleichseitiges Dreieck einbezogen. An Stelle des gleichberechtigten Neben- bzw. An einander der altbayerischen Anlagen ist, entsprechend der späten Stufe, das Prinzip des Ineinander und der Unterordnung unter einen Hauptraum getreten. In wiefern die reichhaltige Symbolik in den Wallfahrts stätten Böhmens und Mährens — am phantastischsten wohl in Johann Santini Aicheis Johann-NepomukHeiligtum auf dem Grünen Berg bei Saar (1719—1722) — auf bayerische Anregungen zurückzuführen ist, konnte von der Forschung bislang nicht festgestellt werden. Die Frage bleibt aufgegeben. Unsere Studie konnte sich auf den Kirchenbau be schränken, da der Schloßbau in unserem Räume an Bedeutung weit zurücksteht. Hauttmann nennt die Zeit von 1650—1720 die Hochstufe. Wir möchten ober die Spätstufe bereits um 1700 beginnen lassen, weil um 1700 die linearen bzw. aus Kreisen und Ovalen be stehenden den kurvigen, ineinander verklammerten Grundrißformen weichen müssen. Auch lösen um 1700 die deutschen Kräfte die italienischen ab. Riesenhuber bezeichnet die Hochstufe als „Stuckbarock", im Gegensatz zur Spätstufe (1700—1780), die er „Fresko barock" nennt. Aber nur in Österreich und Bayern dominiert wirklich die Stuckdekoration, während sie in Böhmen kaum jemals zur Raumbeherrschung auf steigt. Die Zeit vor 1700 war eine Zeit der Vorberei tung, die nachher eine Zeit der Erfüllung des barocken Bauwollens („Bewegung und Kraft") in der südost deutschen Landschaft. Die Barockforschung hat sich vornehmlich mit der Zelt der Erfüllung beschäftigt, es wäre dringend notwendig, daß sie die Zeit der Vor bereitung weit mehr in ihre Betrachtung miteinzöge, als dies bisher geschehen ist. Die Zuschreibung der Linzer Jesuilenkirche an die Corlone stützt sidi auf sichere Kriterien: das genau eingehaltene Schema in Grundriß und Wandsysfem, die übliche Doppelturmfassade, deren Attikageschofj frapezförmige Pilasfer und liegende Ovalfenster da zwischen aufweist, wie an St. Midiael in Passau; die Auffeilung des Fassadengiebels mit Segmentabschlufj wie in Carsten; auch die Baluster des Mitfelfensters kehren wieder, ein carlonlsches Lieblingsmotiv, das z. B. an der Nordfassade der Schlierbacher Kirche vorkommt. Damit Ist auch die ,,Echtheit" der Passauer Je suitenkirche gesichert, die sdion ein Blick auf den Stüde nahelegt (Blätterstab unterm Gesims, Einzelhelten des Gebälks), vor allem aber die in fast sämtlichen Carlone-Bauten übliche, dekorative Einschiebung einer Art Attika mit Voluten bzw. Figuren seitli^ der Gewölbegurtansätze, auf der die Quertonnen über den Kapellen aufliegen. -) Man vergleiche auch damit die Räume der Zisferzienserabteiktrche in Fürstenfeldbruck (1701 ff. von Giov. Ant. Viscardi), in Dlefjen und Zwiefalten (1732 bzw. 1740ff. von Joh. Mich. Fisdier). Johann Michael Fischer, der berühmte Münchener Hof- und Stadt baumeister, war ein Enkelschüler Wolfgang Dientzenhofers. '') Leonhard Dientzenhofer übernahm diese Raumform — die er auflockerte und dynamisierte — in der Bamberger Karmelitenkirche (1692—1707). •') Die Wandform der Kappel — den böhmischen Wandpfeilerbcisiliken entnommen, bereichert durch Nischen zwischen den auseinanderfretenden Doppelpilastern — verwendet Georg Dientzen hofer wieder in Trauttmannshofen und in St. Martin in Bamberg (1686 ff.). "'') So war z. B. der Linzer Stadtbaumeister J. M. Prunner 1716 und 1724 in Passau, nach 1730 in Regensburg tätig. Oder man ver gleiche die Wirksamkeit des Passauer Bildhauers und Architekten Jos. Math. Götz in Straubing, Fürstenzell, Schärding, Wilherlng, Zwettl, Mariataferl usw, Wir neigen dazu, in der Enge heutiger Grenzziehungen zu denken. Damals lebte man aber in Bayern, Böhmen und Österreich in ein und demselben Heiligen Römischen Reiche Deutscher Nation.

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