Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 1

INHALT Titelbild : Blick in die Kuppel einer Seitenkapelle der Kollegien kirche in Salzburg von Johann Bernhard Fischer von Erlach (1694 bis 1707) Foto; Dr. Erich Widder DER GEISTIGE GEHALT DER BAROCKZEIT Univ.-Prof. Dr. Hugo Hantsch, Wien 1 LURAGO, CARLONE UND DIENTZENHOFER Dr. AIcuin Gürth OSB, Würzburg 5 JOHANN MICHAEL PRUNNER Doz. Dr. Erich Hubala, München 9 MARGINALIEN ZUM WERKE PRUNNERS Dr. Benno Ulm, Linz 14 Dieses Heft ist dem „Barock in Österreich" gewidmet, vor ollem seiner Glanzzeit von 1680 bis 1740. Damit bildet das Heft eine Fortsetzung der Nummer 3/1958, die die Grundlegung des Barock in der Zeit von 1580 bis 1660 zum Gegenstand hatte. EINE UNBEKANNTE KRIPPE VON JOSEF THADDÄUS STAMMEL Dr. Georg Kodolitsch, Graz .... 17 BILDERVERZEICHNIS 20 KLEINE FORSCHUNGSBERICHTE Cosmas Piazza von Cosfelfranco (Dr. Ekkort Sauser) 21 DAS FORUM Die Sammlung E. G. Bührle (Curt Grützmacher) 22 EINZELPREIS DES HEFTES: 18 SCHILLING (3 DM) BUCHBESPRECHUNGEN 23 CHRISTLICHE KUNSTBLÄTTER, Eigentümer, Verleger und Herausgeber: Diözesan-Kunslverein, Linz o. d. Donau, Herrenslraljo 19. SchriMleiler; Dr. Günler Rombold. — Für die Diözese St. Pölten: Prölo! Dr. K. B. Fronk, St. Pölten, Domplolz 1. — Der Johrgong besteht ous 4 Helten. Bezugspreis für den gonzen Johrgong; 72 S. Postscheckkonto Wien 26.090; für dos deutsche Bundesgebiet 12 DM, Postscheckomt München, Konto Nr. 120.088; tür dos übrige Austand 2 S — Überweisungen aus dem Austand werden erbeten on die Bonk tür Oberösterreich und Satz burg, Linz, Konto Nr. 683. Druck; Jos. Feichtingers Erben, Linz — Klischees; Kübter 6 Co., KG., Linz

Uni V. - Prof. Dr. Hugo Hontsch Der geistige Gehalt der Barockzeit Jm Jahre >697 beendete der Friede von Rijswijk die große europäische Auseinandersetzung, die mit Unterbrechungen drei Jahrzehnte das Reich und Frankreich in kriegerische Verwicklungen gestürzt hatte. Er bedeutete keinen durchschlagenden Erfolg für den Kaiser, aber auch nicht für Frankreich. Lud wigs XIV. Kräfte hatten sich als nicht mehr groß genug erwiesen, die Eroberungen, die ihm der Friede von Nijmwegen (1679) eingebracht hatte, auszuweiten. Er mußte sich mit einem Kompromißfrieden begnügen und froh sein, dank der diplomatischen Unterstützung durch die Seemächte ohne größere Einbußen davon gekommen zu sein. Zwei Jahre später beschloß der Friede von Karlowitz einen ruhmvollen Türkenkrieg, der im unmittelbaren Anschluß an die Befreiungs schlacht bei Wien (1683) fast ganz Ungarn von der 150 Jahre dauernden Besetzung erlöste. Die glänzen den Siege im Verlauf dieses Feldzuges, die den Feld herrnruhm des Prinzen Eugen begründeten, gaben Österreich ein lange nicht so überwältigend emp fundenes Gefühl der Kraft und Sicherheit. Das 17. Jahrhundert, durchtobt von unaufhörlichen Kämp fen, hatte unserem Lande schwerste Opfer auferlegt, die den Willen zum Wiederaufbau und zur Neu gestaltung immer wieder hemrnten. Nicht daß es überhaupt an kulturellen Leistungen, an Plänen und Gedanken gefehlt hätte, aber es kam nur vereinzelt zur Ausführung von Werken dauernder Bedeutung. Das meiste trug doch den Stempel einer erzwungenen Genügsamkeit, wie sie die beschränkten Mittel einer von Gefahren erfüllten Zeit erforderten. Doch am Ende des Jahrhunderts begannen neue Lebensströme das Land zu durchfluten. Zwei große Krisen waren überwunden, die eine, die von Osten hereinwirkte, und die andere, welche die innere Einheit in Frage gestellt hatte. Osterreich hatte von Ungarn her nichts mehr zu befürchten und hatte in der Wiederherstel lung der Glaubenseinheit die Basis einer gemein samen Lebensauffassung geschaffen. Ein Triumph der universalen abendländischen Gewalten, des Kaiser tums und der Kirche, erweckten den Sinn für Größe und geschichtlichen Ruhm, entfachte die Glut kulturel len Lebens und künstlerischer Gestaltungskräfte zu einer leuchtenden Flamme. „Finis saeculi novam rerum faciem apperuit." Man könnte diesen Ausspruch von Leibniz übersetzen „Das Ende des Jahrhunderts sah -eine neue Welt", politisch in der neuen Kräfteverteilung der europäischen Staa ten, geistig in der Entfaltung neuer Erkenntnisse. Ein neues Lebensgefühl und in der Folge ein neuer Lebensstil setzten sidi durch, ein immer stärkeres Be dürfnis, sich eindrucksvoll zu betätigen und nicht nur der Gegenwart, sondern auch der Zukunft Bewunde rung abzuringen. Es war wie ein überquellen ange stauter Energien, die sich nun auf allen Lebensgebie ten Bahn zu brechen suchten. Freilich, noch war das Zeitalter der großen europäischen politischen Aus einandersetzungen und Neugestaltungen nicht zu Ende. Als die spanische Linie der Habsburger, die Karl V. begründet hatte, im Jahre 1700 ausstarb, führte der Streit um das reiche spanische Erbe zwi schen den Bourbonen und Habsburgern zu einem dreizehnjährigen Krieg, wahrend dem auch eine ungarische Freiheitspartei wieder zu den Waffen griff, um die Herrschaft der Habsburger abzuschütteln. Beide Kriege führten zu einer Erhöhung kaiserlicher Macht und österreichischen Ansehens. Belgien, die Lombardei und das Königreich Neapel, später auch Sizilien, kamen unter die Herrschaft des Hauses Osterreich und die Ungarn anerkannten schließlich nach fruchtlosen Kämpfen die Pragmatische Sanktion, die im Jahre 1713 erlassene Nachfolgeordnung ihres Königshauses. Als noch noch einem glänzenden Tür kenkrieg die letzten Reste der Türkenherrschaft im Bereich der Stephanskrone beseitigt, Belgrad erobert, ja sogar ein Teil des nördlichen Balkans besetzt wer den konnte, war das Haus Osterreich auf dem Höhe punkt seiner Macht und seines europäischen Ansehens angelangt. Die reichen Ströme einer entwickelten geistigen und künstlerischen Kultur ergossen sich in ein Land, das von einem unerhörten Aufbauwillen beseelt war, und wurden von hier aus in jene Gebiete des Ostens gelenkt, die eben erst von den Türken befreit worden waren und sich als ein weites Kolo nisationsgebiet präsentierten. Angeeifert von den mächtigen Impulsen, die eine überragende Macht stellung auslöste, traten Handel und Wandel des österreichischen Volkes in ein neues Stadium einer fruchtbaren Entwicklung, deren künstlerischer Aus druck auch heute noch, nach mehr als ZOO Jahren, im Antlitz Österreichs unvertilgbare Züge hinterlas sen hat. Der glänzende Aufschwung dynastischer Macht und kaiserlicher Hoheit umstrahlte den kaiserlichen Hof und die Hofgesellschaft, die sich um ihn gruppierte und diese Macht, die so ausdrucksvoll in Erscheinung trat, war katholisch. In der Generation, die am Be ginn des 18. Jahrhunderts groß geworden war, waren die Erinnerungen an die protestantische Vergangen heit verblaßt. Die katholische Kirche hatte ihre be-

herrschende Stellung im Leben des Volkes wieder gewonnen. Auch der Sieg über die Türken war ja ein Triumph der Kirche, die Verwirklichung der universal abendländischen christlichen Idee, die schon Karl V. in sich getragen hatte. Weltlicher Glanz und religiöse Inbrunst suchen und finden jenen unnachahmlichen Zusammenhang, den wir als barocke Kultur bezeich nen. Ihr künstlerischer Ausdruck liegt noch offen und sichtbar vor uns, aber es darf nicht vergessen wer den, daß es sich hier nur um die äußere Form eines inneren Erlebnisvorganges handelt, der durchaus nicht nur im Künstlerischen zur Darstellung und Ge staltung ringt. Die neue Lebensform, die dos meiste den Anregun gen verdankt, die der romanische Süden vermittelt, offenbart sich im Rahmen der zeitgemäßen sozialen Verhältnisse. In der Periode der Ausbildung und Vollendung absolutistischer Herrschaftsformen reprä sentieren der kaiserliche Hof, der Adel und die Kirche am deutlichsten den Geist der Zeit. In diesen Kreisen sammelt sich das kulturelle Streben zu den höchsten und dauerndsten Leistungen. Das reiche Besitztum bietet die materielle Grundlage dafür. Es wird bisweilen bis zur wirtschaftlichen Erschöpfung ausgenützt. Als weltliche und geistliche Hofkultur tritt der Barock in Erscheinung, aber er trifft weithin auf ein im Volke schlummerndes Bedürfnis nach geisti ger und künstlerischer Entfaltung und Neugestaltung, das sich aus den ärmlichen Lebensverhältnissen des 17. Jahrhunderts in reicher Vielfalt nach verschiedenen Richtungen auszuleben sucht. Städte und Dörfer über nehmen nach ihren bescheidenen Kräften die neuen Ausdrucksformen eines gesteigerten seelischen Emp findens. Andererseits fließen niemals verloren gegan genes heimisches Gedankengut, heimische Überliefe rung und bodenständige Gesinnung in unzähligen Bächlein in den breiten Strom des durch die hohen Vorbilder der Meisterschaft erwecicten kulturellen Schaffens. „Barock" ist an sich ein internationaler, ein europäischer Lebensstil, aber jedes Volk und jedes Land schafft sich die eigene Gestalt seiner Er scheinungsform. Barock ist vor ollem ein sinnliches und zugleich irrationales Raumerlebnis eigener Art. Der Erweite rung und Zusammenfassung des territorial-politischen Raumes entspricht ein geistiges Raumerlebnis und eine weitgespannte Reaktionsfähigkeit des Gemütes. Die bildhafte Darstellung dieses Raumerlebnisses macht auch vor dem Grenzenlosen und Zeitlosen nicht halt. Der Erdenraum mit seinen Wundern, der Raum zeiterfüllender historischer Erkenntnis, der Raum des mystisch-religiösen Erlebnisses in Himmelsweiten, das alles fügt sich zusammen und drängt eine hemmungs lose Phantasie und ein anspruchsvolles Gestaltungs vermögen zu beispielloser Schaffensfreude. Barock ist Pathos in sinnhafter und symbolischer Gebärde. Wo die zeitgebundenen Erkenntnismittel versagen, tritt die sinnvolle Allegorie an ihre Stelle. In historischer Verkleidung programmatischer Allegorie und Anspie lung soll der tiefere Sinn der Gegenwart gedeutet werden. Ein überschwengliches Gefühl durchstürmt die geformte künstlerische Gestalt. Das Ungewöhnliche und Großartige will sich dem staunenden Auge offen baren, der Glanz irdischer Herrschaft und himm lischer Glorie, der Wissenschaften und Künste. Thea tralisch und auf Eindruck berechnet ist das prunk hafte Zeremoniell im weltlichen und geistlichen Be reich und fürstliches und kirchliches Bauen schaffen Raum und Rahmen für die Entfaltung eines sinnhaften Schauspieles. Die Macht und Kraft des Symbolischen durchbricht die rationalen Grenzen strenger Gesetz mäßigkeit, die Phantasie triumphiert über die Logik. Barock bedeutet Ehrfurcht und Bewunderung für das, was man als groß empfindet. Der mächtige Fürst, der erfolgreiche Stratege, der ekstatische wunder tätige Heilige, heroische Leistung, heroisches Opfer und Leiden, in zahllosen Varianten wird das alles zur Anschauung gebracht, soll entzünden, hinreißen und zur Nachahmung bewegen. Barock will das Leben, das Leben in dieser Welt, das Leben nach dem Tode in himmlischer Glorie oder auch in irdischem ewigem Gedächtnis. Es will auch das Leben der Vergangen heit, der Tradition, der Geschichte. Es ist ein eminent geschichtliches Zeitalter: denn die Größe leitet sich ab aus der Geschichte, die Größe des Vaterlandes und die Größe des eigenen Geschlechtes. Die Großräumigkeit barocker Lebensschau erstreckt sich also auch über den zeitlichen Raum in die Vergangenheit und Zukunft. Man versteht die Spannungen, die sich aus einem derartig vielfältigen Komplex der Lebensformen und des Lebensinhaltes ergeben müssen, die Spannung zwischen Weltsinn und Weltüberwindung, die Span nung zwischen Vorstellung und Wirklichkeit, zwischen Herrentum und Dienst, zwischen reich und arm, vor allem aber die erregende Spannung zwischen Schein und Wahrheit. Diese Zeit ist erfüllt von solchen Ge gensätzen und daraus entspringender Erregung, sie ist zu großer Begeisterung fähig. Der innige Augen aufschlag zum Himmel, diö in Inbrunst über der Brust verschlungenen Hände, die wie von einem inneren Geisteswehen bewegten Gewänder, sie ge hören ebenso zu dem Wesen der Zeitidee wie der gebietende Held auf sprungbereitem Roß und die wallenden Togen der Majestät, die funkelnden Ketten und blitzenden Juwelen, aber auch wie der phanta stische Reichtum an leuchtenden Farben und theatra lischen malerischen Konzeptionen. Imperium und Sacerdotium, Herrschaft und Priestertum, Reich und Kirche, das sind die universalen Themen in Geschichte und Gegenwart. Was geschaf fen wird, soll nicht allein dem augenblicklichen Be dürfnis lebender Geschlechter dienen, sondern zu gleich Denkmal für die ferne Zukunft sein: „Denn

dieses ist die einzige und höchste Ursache der vor nehmen und stattlichen Geböu — der unsterbliche Name und Ruhm und ewige Gedöditnus, so von dem Structore hinterlassen wird." So hat diesen Geist einer der großen Bauherrn des Barock, Fürst Karl Eusebius Liechtenstein in seinem „Werk von der Architektur" schon im 17. Jahrhundert gekennzeichnet. Barock sieht dos Leben als ein Schauspiel, die Welt als eine Bühne, auf der sich in einer unerhört reichen und mannigfaltigen Szenerie das Spiel des großen und kleinen Daseins in spannender Formenfülle ab wickelt. Der Mensch möchte alles handgreiflich sehen und versinnbildlichen, die abstraktesten Gedanken, das gläubige Schauen, den moralischen Begriff, den ewigen Wettkampf der Geister, die große umfas sende universale Idee. Der Kampf des Lichtes mit der Finsternis, der Tugend mit dem Laster, des Glaubens mit dem Unglauben, das geistige Streben zu hoher Erkenntnis — dos alles nimmt greifbare und deut bare Gestalt an und immer trägt das Gute, Edle und Hohe den Sieg davon. Dieser triumphale Stil offen bart den ganzen Optimismus eines sieghaften, selbst bewußten und aufbauenden Zeitalters, das Kraft bewußtsein und die seelische Aufnahmsfähigkeit eines erlebnisreichen Menschentums. Der Wiener kaiserliche Hof ist ein Mittelpunkt geistiger und weltlicher Kultur. Mögen auch die Habsburger Leopold I., Joseph I. und Karl VI. ein fachere Formen lieben und nur gelegentlich die ganze Pracht der Majestät errtfalten, der aristokratische Hof versteht es umso besser zu repräsentieren. Die Aristo kratie lebt im Lichte kaiserlicher Gnade und Libertät, sie hat ihren vorgezeichneten Lebensgang im Dienste des Kaisers oder im Dienste der Kirche. Die hohen repräsentativen Stellungen in den höfischen Ämtern und in der Hierarchie sind dem Adel reserviert. Mit den damit verbundenen Einkünften bestreitet er den kostspieligen Haushalt und seine ebenso kostspieligen modischen Beschäftigungen und Vergnügen. Dieser Adel bekommt ein internationales Gepräge: denn der kaiserliche Hof übt eine mächtige Anziehungskraft auf alle unternehmungslustigen, ehrgeizigen und auch habsüchtigen Elemente aus. Aus dem Reich, aus Italien und Spanien, aus den Niederlanden strömen sie zusammen. Hier, in Wien, gibt es unzählige Mög lichkeiten sozialen Aufstieges, des Gewinnes von Ehren und Reichtum, von Amt und Würdem Hier ver binden sie sich bald mit heimischen Geschlechtern, erwerben Grund und Boden und fügen den deutschen, böhmischen, ungarischen und italienischen Familien namen einen französischen, spanischen oder irischen hinzu. Besonders aus den geistlichen Fürstentümern, die im Reichsgedanken fest verwurzelt sind, kommen die Söhne des Adels noch Österreich, um hier ihr Glück zu machen. Gar manche fliehen aus der Enge landesfürstlicher Territorien in die kaiserliche Resi denzstadt. So sind etwa die Schönborn, Metternich, Gudenus und Stadion nach Österreich gekommen. Friedrich Karl von Schönborn, der Neffe des Kur fürsten von Mainz und Bischofs von Bamberg Lothar Franz, hatte als Reichsvizekanzler eines der höchsten Reichsämter inne und hinterließ, als er nach dreißig Jahren als Bischof von Würzburg und Bamberg ins Reich zurückkehrte, sein großes Besitztum in Öster reich einem seiner Neffen. Wie sein Onkel war auch er ein großer Bauherr und Kunstliebhaber, besaß in Lukas Hildebrandt einen Hausarchitekten, der ihm sein Schloß Schönborn und sein Gartenpalais in der Josefsstadt erbaute und mit viel bewunderten Garten anlagen schmückte. Sein Bruder Johann Philipp war vor ihm Fürstbischof von Würzburg und begann den Bau der prachtvollen Residenz, bei dem auch Hilde brandt mitwirkte, der auch beim Bau des herrlichen Schönbornschen Schlosses in Pommersfelden bei Bam berg seine Hand im Spiele hatte. Im Dienste des Kur fürsten Lothar Franz war Gottfried Bessel herange wachsen, der später als Abt von Göttweig die erstaunlichen Pläne des Stiftes von Hildebrandt ent werfen ließ, die selbst in ihrer nur teilweisen Ver wirklichung noch eindrucksvoll genug sind. Die adeligen Bauherrn, an ihrer Spitze Prinz Eugen, ver standen etwas von Plänen und Rissen — dos gehörte sozusagen zur adeligen Erziehung. Martineiii, Fischer von Erlach, Lukas Hildebrandt waren große Herren, die Landklöster begnügten sich mit Baumeistern aus der Provinz, die auch noch zu großen Leistungen fähig waren, wie die Nomen Jakob Prandtauer, Josef und Franz Munggenast und Matthias SteinI beweisen, ganz zu schweigen von vielen anderen, die sich an dem Neubau von unzähligen Kirchen und ganzen Straßenzügen in den Provinzstädten beteiligten; denn das wohlsituierte Bürgertum, das der aufblühende Handel oder dos vielbeschäftigte, zu reichem kunst gewerblichen Schaffen sich emporschwingende Hand werk zu Ansehen und Reiclitum gebracht hatte, war darauf bedacht, sich dem Geschmack der Zeit anzu passen und sich modern einzurichten. Die österreichi schen Städte verdanken ihrem Kunstsinn viele erlesene Bauten. Der Barock enthält, ja pflegt sogar starke Kon traste. So ist dieses Zeitalter nicht nur von weltlichem Sinnen und Trachten erfüllt, sondern zeigt auch die Züge eines starken religiösen Impulses und editer Frömmigkeit. Wie rasch und sicher wird doch die Brücke zur volkstümlichen Frömmigkeit und ihren Ausdrucksmitteln geschlagen! Es gibt eine Menge von zeitgenössischen Zeugnissen innerer Ergriffenheit und opferwilligster religiöser Hingebung. Was in der Zeit der Glaubensspaltung vernachlässigt und fast zu Ruinen geworden war, erhebt sich nun wieder zu neuem Leben, öberall erstehen Kirchen und Kapellen und an allen Wegen, an Brücken und auf Plätzen werden Bildsäulen und Denkmäler religiösen Empfin dens errichtet. Die Bewunderung heroischen Tugend-

tebens und persönlicher seelischer Größe fördert nachdrücklich die Verehrung der Heiligen, besonders derjenigen, auf deren Fürbitte man großes Gewicht legte in einer Zeit, die so oft von Seuchen und Un gemach heimgesucht war. St. Sebastian, Rochus und Rosalia, Katharina, St. Florian und Leopold sind Heiligengestalten, die ebenso allgemeine Verehrung finden wie die 14 Nothelfer und Johannes von Nepomuk, der auf Andringen des Kaisers heilig gesprochen wurde und in der gesamten Monarchie als Helfer in Wassernot angerufen wurde. Es bilden sich religiöse Bruderschaften nach dem Beispiel religiöser Genos senschaften. Sie pflegten das gemeinsame Gebet und hatten auch karitative Aufgaben. Die Pfarrseelsorge war längst wieder in geordnete Bahnen gebracht worden; denn die Bestimmungen des Trienter Konzils hatten für eine gründlichere theologische Ausbildung der Alumnen in Diözesanseminaren und Ordens anstalten gesorgt. Die zahlreichen Klöster standen in ungewöhnlicher Blüte, da die Zahl der Jünglinge und Mädchen, die den Habit nahmen, erstaunlich ge wachsen war. Diese Entwicklung der Konvente brachte es mit sich, daß die Intensität des religiösen Lebens zunahm und die Klöster neue Aufgaben übernehmen konnten. Ein neues wissenschaftliches Interesse regte in vielen Klöstern gelehrte Studien an und legte be sonderes Gewicht auf die Ausgestaltung der Biblio theken und die Vermehrung der Bücherschätze. Die alten, oft sehr vernachlässigten Klostergebäude genügten clen modernen Ansprüchen nicht mehr. Do bei zunehmender Wirtschaftlichkeit die Einnahmen aus dem klösterlichen Grundbesitz stiegen, war man in der Lage, neue weiträumige, nach einheitlichen Gesichtspunkten geplante Klosteranlagen aufzufüh ren, denen vielfach die weltliche Schloß- und Palast architektur zum Vorbild diente. Kirche, Bibliothek und Festsaal standen im Mittelpunkt der Anlage und wur den künstlerisch reich ausgestattet. Die großartige Bautätigkeit der Klöster — man erinnere sich an Melk, Göttweig, Klosterneuburg, St. Florian, Admont u. V. a. — verschaffte unzähligen Menschen Verdienst und stellte der Kunst und dem künstlerischen Hand werk große und lohnende Aufgaben. Selbst die Vor stände kleinerer Konvente, zum Beispiel in Dürnstein, suchten in reduzierten Maßstäben die Leistungen der großen nachzuahmen und brachten es zu wunder vollen Schöpfungen. Longe Zeit besaßen die Jesuiten ein Studienmono pol für höhere Lehranstalten, jetzt machten ihnen die Benediktiner Konkurrenz, die ihre alten Kloster schulen zu Gymnasien ausgestalteten und neue Ordensgemeinschaften, wie die Piaristen, pflegten eine neue Art fortschrittlichen Unterrichtes. Aus ihnen gingen später die großen Schulreformer hervor, als die Jesuiten unter Mario Theresia aus ihrer beherr schenden Stellung im Schulwesen verdrängt wurden. Viele Klöster zeichneten sich durch intensive Förde rung gelehrter Studien aus, wie zum Beispiel Melk, St. Florian, Kremsmünster, Admont, die Schotten in Wien, Vorau, in denen zahlreiche bedeutende wis senschaftliche Leistungen besonders auf dem Gebiete der Geschichtswissenschaft vollbracht wurden. Das rege geistige Leben, das in den herrlichen barocken Bibliotheken noch heute bewundernswert in Erschei nung tritt, gehört zu den Kennzeichen einer Zeit, die ihren geistigen Horizont nach jeder Richtung hin zu erweitern suchte. Das religiöse Leben und die volkstümliche Frömmig keit spiegeln sich wider in den Wallfahrten zu den zahlreichen Gnadenorten. Alte Wallfahrtsstätten leben wieder auf und viele neue entstehen zu Ehren der Heiligen Dreifaltigkeit oder der Mutter Gottes. Weithin sichtbar grüßen sie von den Höhen die zahl reichen Pilgerscharen, die betend und singend zu ihnen wandeln. Eine Wallfahrt war zu dieser Zeit ein wirk licher Bußgang unter beträchtlichen physischen Opfern und viele Pilger machten es sich noch besonders schwer, indem sie barfuß zu den heiligen Stätten wanderten. Es ist die große Zeit der Orgelbauer, Glockengießer und Paramentenmacher, die es gerade zu zu künstlerischer Vollendung bringen. Ungleich häufiger als heutzutage wurde der Alltag durch kirch liche Feste unterbrochen, die mit aller barocken Prunkliebe und Schaulust gefeiert wurden. Die arbei tenden Menschen der damaligen Zeit hatten wahr scheinlich mehr freie Zeit als die heutigen Arbeiter und Angestellten mitsamt ihrem Urlaub. Man glaubt an allerhand Wunder und erbaut sich gern an höchst unglaubwürdigen Legenden; immer besteht die Ge fahr einer übertriebenen mystischen Illusion. Man liebt eben auch im Religiösen das Außergewöhnliche und Unfaßbare. Die stark gefühlsmäßig betonte Frömmigkeit findet kein Genügen in abgeschiedener Stille, sondern sucht nach äußerer Kundgebung inneren Erlebens. Wie das korporative Zusammen wirken vieler Menschen im allgemeinen zur theatra lischen Gebärde des Barock gehört, so sammelt sich auch im religiös-kultischen Zeremoniell gemeinsames Empfinden zu eindrucksvoller Darstellung. Die Zeit des blühenden Hochbarock hatte freilich auch ihre Schattenseiten. Leicht konnte die Lust an schmückendem Beiwerk zu reinem Blendwerk werden und Schwulst und leeres Pathos an die Stelle wahr hafter Empfindung treten. Es gibt viel bloßen Schein und vorgetäuschte Größe, hinter der nichts steht als eine kleinliche Sucht, zu glänzen. Es gibt viel hand werkliche Routine, die bei dem Versuch, sich mit wahrer Kunst zu messen, kläglich scheitern muß. Es gibt viel leere Phantastik und sinnlose Spielereien, unangebrachte und weithergeholte, daher kaum mehr verständliche Allegorie und falsche Mystik. Die Sucht nach Kuriosität, nach Neuem, Sensationellem, über haupt Ungewöhnlichem verführt zuweilen zu abson derlichen Ideen. Besonders bedauern wir, daß diese

Zeit mit ihrem absoluten Stilgefühl so viele kostbare Denkmäler der Gotik rücksichtslos vernichtete, wenn sie dem neuen Gestalten im Wege standen. Wie viele gotische Kirchen samt dem ganzen unersetzlichen Inventar an Altären, Bildern und Erzeugnissen der Holzschnitzkunst sind dieser Bauwut und dem Streben, modern zu sein, zum Opfer gefallenI Doch gehen wir mit den weniger erfreulichen Zeiterscheinungen und Denkweisen nicht allzu streng ins Gericht. Eine große künstlerische Kraft und ein verschwenderisches Ausdrucksvermögen 'hat doch Leistungen vollbracht, die ihresgleichen suchen. Das barocke Österreich ist in der Tat eine große, vollblütige Zeit, die ungewöhn lichen Energien zum Ausdruck verhilft. Dieses Öster reich, ob es sich in Wien oder Prag oder Breslau repräsentiert, sammelt seine geistige Kraft zu einer großen und einheitlichen Kulturmission im gesamten Donauraum. Heute werden die prächtigen Denkmäler eines hochgemuten Zeitalters mit Scheinwerfern an gestrahlt und Hunderttausende wandern durch die hohen Marmorsäle und glänzenden Bibliotheken. Sie sehen sich in eine Zeit versetzt, der Raum noch etwas Wesenhaftes war, der nach Gestaltung verlangte, in eine Zeit, die aus der Fülle des Lebens schuf, Geist und Phantasie in Bewegung setzte und die Grenzen des Daseins in die Unendlichkeit zu rücken suchte. Wir heutigen Menschen verdanken unseren Ahnen viel an Lebensfreude und geistigen Werten. Dr. AIcuin Gürth OSB, Würzburj Lurago, Carlone und Dientzenhofer Dazu die Abb. 1 bis 6 ^JT^ie Architekturgeschichte des süddeutschen Rauy mes im 17. Jahrhundert ist auf weite Strecken hin in Dunkel gehüllt. Und doch liegen gerade hier die Voraussetzungen für die überragenden Leistungen der großen deutschen, ja europäischen Raumschöpfer des Spätbarocks beschlossen, für einen Balthasar Neumann, einen Kilian Ignaz Dientzenhofer, einen Johann Michael Fischer, um nur einige Namen zu nennen. Die Scheu der Kunsthistoriker, dieses Gebiet zu bearbeiten, ist freilich verständlich. Oberaus umfang reiche Quellenforschungen und genaue Bestandsauf nahmen wären notwendig, um all die genealogischen, soziologischen, politischen, kirchlichen, kunstgeogra phischen, typenhaften und stilistischen Beziehungen ans Tageslicht bringen zu können. Die Größe dieser Aufgabe — der Name Lurago weist in ThiemeBeckers Künstlerlexikon 9, der Name Dientzenhofer 10, der Name Carlone gar 54 Träger aufl — übersteigt bei weitem die Kraft einzelner Forscher. Nur ver trauensvolle Gemeinschaftsarbeit dürfte Aussicht auf Erfolg haben. Im folgenden können nur einige An regungen und Hinweise auf die Problematik dieser Arbeit gegeben werden. Die Heimat der Familie Lurago haben wir in der Nähe von Como zu suchen. Das Haupt der italieni schen Bauleute in Prag im dritten Viertel des 17. Jahrhunderts, Carlo Lurago (gestorben 1684 in Passau), war in Laino im Volle d'inteivi zu Hause. Sein Wirken griff über die Grenzen Böhmens hin weg nach Bayern und Österreich. Die nördlich der Alpen arbeitenden Glieder der weitverzweigten Künstlerfamilie Carlone sind olle in Scario im Volle d'inteivi bei Como geboren und an sässig gewesen. Ihre Bauwerke, Stukkaturen, Plasti ken und Bilder finden sich in ganz Österreich, in Bayern, Württemberg und der Schweiz verstreut. Für unser Thema sind vor allem die Namen von drei Architekten bedeutungsvoll: Pietro Francesco (ge storben 1681 in Garsten) und dessen Söhne Carlo Antonio (gestorben 1708 in Passau) und Giovanni Battista, der besonders als Prinzipal einer Stukkatorengruppe hervortrat. Die Dientzenhofer stammen aus Au bei Aibling im mittleren bayerischen Oberland. In der ersten Gene ration, die uns vor allem angeht, sind die fünf Bau meisterbrüder Georg (1643—1689), Wolfgang (1648 bis 1706), Christoph (1655—1722), Leonhard (1660 bis 1707) und Johann (1663—1726) berühmt geworden durch ihre Tätigkeit in Altbayern, Franken und Böhmen. Bevor wir auf einige architekturgeschichtliche Be ziehungen im Problemdreieck Böhmen, Oberöster reich, Altbayern eingehen können, soll eine Aufstel lung derjenigen Orte und Werke, die eine gesicherte Zusammenarbeit der drei genannten Familien aufzu weisen haben, die Materialgrundlage liefern.

An erster Stelle muß Passau genannt werden, die olte Bischofsstadt an der Donau, Inn und Hz, die schon durch ihre Loge an der bayerisch-österreichischen Grenze und darüber hinaus als Metropole eines aus gedehnten Kirchensprengels in Niederbayern, Oberund Niederösterreich wie kein zweiter Ort geeignet war, Verbindungen zwischen den benachbarten Kunstkreisen herzustellen. Mit der ganzen Stadt war 1662 auch der gotische Dom ein Raub der Flammen geworden. Der aus Böhmen stammende Fürstbischof Wenzeslaus Graf Thun berief für den barocken V/iederoufbau den Prager Architekten Carlo Lurago in die Dreiflüssestadt. Nach seinen Plänen und unter seiner Leitung entstand — mit teilweiser Benützung des alten Mauerwerks — eine weiträumige Pfeiler basilika mit nicht hervortretendem Querschiff, Vierungskuppel, flachen Wandpfeilerkapellen, mäch tigen Gesimsen, das Mittelschiff mit großangelegten Halbkuppelgewölben, auch volle Platzl oder Böh mische Kappen genannt, überdeckt. Wahrscheinlich haben euch die Brüder Dientzenhofer, vor allem die älteren von ihnen, am Dombau als Maurer mit gearbeitet. Leider sind die Baurechnungen bei dem neuerlichen Stadtbrande von 1680 vernichtet worden. Aber diese Annahme, die auch dadurch noch eine Bekräftigung erfährt, daß ein Schüler Luragos, der Baumeister Abraham Leuthner, ebenfalls aus der Dientzenhoferschen Heimat stammen dürfte, erklärt am ehesten die Tatsache, daß die altbayerischen Dientzenhofer seit 1677 bzw. 1678 in Prag anzutref fen sind. Der Inn war zu jener Zeit eine wichtige Verkehrsstraße, Passau die Zwischenstation auf dem Wege in die böhmische Landeshauptstadt. Leuthner, der im letztgenannten Jahre Anna, eine Schwester der Dientzenhofer-Brüder in Prag ehelichte, wurde auch zu ihrem Prager Lehrmeister in der Architektur. Die Ausstattung der neuerbauten Passauer Bischofskirche mit Stukkaturen schuf 1680—1686 Giovanni Battista Carlone mit seiner Truppe. Die Dientzenhofer konn ten in Passau Mitglieder der Familie Carlone als Architekten kennenlernen. Denn schon vor 1673 schaffte ein Carlone, wohl Carlo Antonio, an der Jesuitenkirche St. Michael, die 1677 ihre bauliche, nach 1680 ihre dekorative Vollendung erfuhr. Die Pfarrkirche St. Paul, errichtet 1663—1678, gehört ebenfalls in diesen Kreis hinein. Beide Kirchen reprä sentieren den querschifflosen Wondpfeilertypus von hallenartigem Querschnitt und mit emporenbesetzten Kapellen. Wenig später finden wir die gleichen Künstler gruppen mit dem Bau und der Ausstattung der Zisterzienserabteikirche im oberpfälzischen Wald sassen beschäftigt, nahe der böhmischen Grenze. Als Baumeister wird seit 1682 Abraham Leuthner aus Prag genannt, dem als Gehilfen bzw. Poliere Georg, Christoph und Leonhard Dientzenhofer zur Seite stehen. Die Kirche wuchs seit 1685 aus dem Boden als Wandpfeilerbasilika mit Emporen über den Sei tenkapellen, mit nicht vorspringendem Querschiff, einer Halbkuppel über der Vierung und einem sehr langen Mönchschore. Die Platzifolge des Mittel schiffes, entlehnt dem Passauer Dome, die Mulden gewölbe und die einem Oval angenäherte Grund rißform der Abseiten und nicht zuletzt die Wand aufteilung und die kastenartige Geschlossenheit des Mittelschiffes, olles anzutreffen in der Prager Igna tiuskirche (1665—1678 von Carlo Lurago), weisen auf Lurago als eigentlichen Planurheber hin. Das schließt natürlich spätere Korrekturen von Seite Leuthners, der Dientzenhofer und vielleicht Jean Baptiste Matheys keineswegs aus. Die Helmgewölbe im Seitenschiff des Passauer Domes sind gleich Schäch ten in die Höhe gezogen. Das Durchstoßen der Emporen in Waidsassen, wodurch Lichtschächte ent stehen, stellt nur ein logisches Weiterdenken dieser Wölbungsform dar. Die Stuckarbeiten führte 1695 bis 1698 Giovanni Battista Carlone aus. In den nun folgenden Jahren ist Giovanni Battista Carlone, vor ollem durch seinen Schwager Paolo d'Aglio als Mittelsmann, in ständiger Zusammen arbeit mit Wolfgang Dientzenhofer, dem Zweit ältesten der Brüder, in der Oberpfalz und in Nieder bayern anzutreffen. Wolfgang Dientzenhofer wirkte seit 1698 in Amberg, schon wenige Jahre später be kam er dort den Posten eines Hofbaumeisters über tragen. Carlones Leute stuckierten fast sämtliche Bauten des Meisters in Amberg aus: 1696 ff. das Kloster und 1699 ff. die Kirche der Salesianerinnen, 1699 und 1700 das Paulanerkloster, 1700 oder bald danach die kleine Gruftkapelle der Familie Weinzierl an der Dreifaltigkeitskirche, endlich 1702—1717 mit längeren Unterbrechungen die Mariahilfkirche auf dem gleichnamigen Berg im Nordosten der Stadt. Schon 1701 hotte Carlone die Stuckdekoration in der von Wolfgang Dientzenhofer barockisierten Karmelitenkirche in Stroubing angebracht. Schon diese wenigen historischen Tatsachen lassen vermuten, daß sich in unserem Räume lebendige Pro zesse abspielten, vielgestaltig, vielschichtig und von großer Bedeutung für das Bauen des 18. Jahrhun derts. Anlagemöglichiceiten und Stilmerkmale wurden gegenseitig ausgetauscht. Angenommenes mit über kommenem verschmolzen, aus Altem Neues herausentwickelt. Es ist z. B. abwegig, dem oberpfälzischen Bauwesen um 1700 Sterilität und Stagnation vorzu werfen, wie das noch Houttmann getan hat. Ein un voreingenommener Beobachter wird leicht das Ge genteil feststellen können. Skizzenhafte Bemerkun gen sollen das Gesagte erhärten. Im Verlaufe des 17. Jahrhunderts war in Böhmen für die Wandpfeilerkirchen der polare Kastenraum ausgebildet worden durch gleichmäßiges Einziehen des Presbyteriums und des Orgelchorraumes. Die erste Wandpfeilerbasilika dieser Art erstellte 1617

bis 1623 Jacopo Evaccani In der Altbunzlauer Ma rienkirche. Emporen über den seitlichen Kapellen und Doppelpilaster bereichern in der Hochstufe dieses Schema in der Jesuitenkirche zu Königgrötz (1654 bis 1666 von Carlo Lurago) und in der Benediktinerabtei kirche zu Braunau (1685—1688 von Martino Allio). Obwohl in Braunau der im Kern noch gotische Raum eng, schmal und hoch wirkt, hat der Architekt das gleichartige Gegenüber von West- und Osteinziehung noch betont durch dos Anbringen von Figuralnischen in der Frieszone. Allio war, ebenso wie Leuthner, aus dem Lurago-Kreise hervorgegangen. Das folgerichtig durchgeführte Schema der querschifflosen und hallenartigen Wandpfeilerkirche — dreijochig im Schiff, zweijochig im Chor — mit balusterbesetzten Emporen über den Kapellen und geradem Chorschluß ist im 17. Jahrhundert in Ober österreich entwickelt worden. Den Hauptanteil be stritten die Carlone. Diese Kirchen besitzen fast alle „Durchgangsräume", d. h. die Ost- und Westwand ist architektonisch ungegliedert, also „offen" gelassen. Das Anfangsglied dieser Reihe haben wir in der Jesuitenkirche St. Michael in Steyr (1631—1677) vor uns; ihre trockene, etwas ungekonnte Ausführung und die flachen, rein ornamentalen Stukkaturen lassen auf deutsche Hände schließen. Die hochstrebende Stiftskirche Waldhausen (1650—1693 von Christoforo Colombo und Carlo Conevole) leitet zu den CorloneBauten über, die den Typus in seiner „klassischen" Vollendung zeigen: die Jesuitenkirche in Linz (1669 bis 1678)'), die Benediktinerabteikirche Garsten (1677—1685 von Carlo Antonio und Giovanni Battista nach Plänen ihres Vaters Pietro Francesco), die Zisterzienserabtei kirche Schlierbach (1679—1685 von Pietro Francesco und Carlo Antonio) und schließlich als „reinstes" Beispiel die Jesuitenkirche St. Michael zu Passau, deren hochwertiger, ober sparsamer Stuck die kristall klaren Bauglieder besonders wirkungsvoll hervor treten läßt. Die schöpferische Tat des Lurago- und Leuthner schülers Wolfgang Dientzenhofer bestand nun darin, daß er den böhmischen Kastenraum mit der ober österreichischen Wandpfeilerkirche vereinigte. Die Carlone hatten es in Schlierbach mit einem Versuch in dieser Richtung bewenden lassen. Zunächst schloß Wolfgang Dientzenhofer nur die Westseite ab in seinen beiden frühesten Kirchen (1690 ff.) im fränkischoberpfälzischen Grenzgebiet, in den Benediktiner abteikirchen Weißenohe (ohne) und Michelfeld (mit Emporen). Durch dos allseitige und konsequente Her umführen des Wandsystems in der Prämonstrenserabteikirche Speinshart (1692 ff.) erzielte er eine größt mögliche Vereinheitlichung des Wandpfeiler-Kasten raumes. Das Kirchenschiff sieht nun aus wie ein Innenhof mit ringsum laufenden Arkaden. Erst aus dieser letzten Verdichtung der „linearen" Wand pfeilerkirche wuchsen jene kurvig-bewegten Raum gebilde heraus, die mit den Namen Christoph (St. Niklas - Prag, Kleinseite 1703 ff.) und Johann Dienztenhofer (Benediktinerabteikirche Banz 1710ff.) verknüpft sind^). Der Carloneske Dekor läßt die Mariahilfkirche ob Amberg naturgemäß auch in ihrer Architektur am meisten corlonesk erscheinen; man vergleiche beson ders die Gestaltung der Orgelchorwand hier und in Garsten. Freilich lassen die anderen Raumverhältnisse auch den Unterschied deutlich werden: hier breit — gedrückt — dumpf, dort weit — hoch — frei. Wolf gang Dientzenhofer konnte eben sein oberbayerisches Erbe — man denke nur an die Kirchen von Beuer berg, Habach, Beyharting, Benediktbeuern — niemals verleugnen. In Oberösterreich taucht in der Benediktinerabtei kirche Lambach (1652—1656) eigenartigerweise ein „böh misch" anmutender, mit Abseitennischen versehener Saalraum auf, der große Ähnlichkeit mit der Prager Kirche Sta. Maria de Victoria (1636—1640) aufweist"). Hier dürften die Wurzeln zu suchen sein für den voll entwickelten bosilikalen und polaren Kastenraum der spätbarocken Stiftskirche zu Spital am Pyhrn (1714 bis 1736 von Joh. Mich. Prunner). Auch die monumen talen — im Osten und Westen vorgezogenen — Säulenstellungen in der Stiftskirche St. Florian (1686 ff. von Carlo Antonio und Bartolomeo Carlone) sollen dem Kirchenschiff eine größere Geschlossenheit verleihen. Auch bei der Aufteilung der turmlosen Fassaden im Sinne der römischen Gesu — zweigeschossig, fünf teilig im Untergeschoß, Volutenschrägen zu Seiten des dreiteiligen Obergeschosses, Mittelportal und Fenster darüber betont, abschließender Dreiecks giebel — und bei der Gestaltung der Türme mit den eigentümlichen gedrückt-dynamischen Kesselhauben greifen die Dientzenhofer auf böhmische Vorbilder zurück. Die Fassaden-Verwandtschaft der Amberger Mariahilfkirche Wolfgangs (1697 ff.) und der Bam berger Karmelitenkirche Leonhards (1692ff.) mit Altbunzlau ist besonders augenfällig, die Türme in Speinshart, Weißenohe und Michelfeld sind ohne Prag und Böhmen kaum denkbar. Mit seinen aus Oberitalien importierten Plotzlgewölben schenkte Carlo Lurago dem süddeutschen Spätbarock die ihm gemäßeste und mit am häufig sten verwendete Wölbungsform. Ursprünglich in Byzanz ausgebildet, hatte die Florentiner Frührenais sance (Brunellesco) das Plafzl wieder zu Ehren gebracht. Die .Passauer Mittelschiffsgewölbe machten rasch allenthalben Schule: Georg Dientzenhofer brachte erstmals ein Platzl im Chore seiner Wall fahrtskirche Trauttmannshofen an (1686 vollendet), ebenso Wolfgang in Michelfeld, die Carlone eine ganze Folge in Schlierbach. Noch weitere Einzelfor men aus dem Lurago-Kreise erwiesen sich als zu kunftsträchtig. Die ovalen, in sich zentrierten Abseiten

tauchen wieder auf In der Benediktinerabteikirche Melk (1702 ff. von Jakob Prandtauer), die Emporendurchbrüche In der Stiftskirche zu Dürnstein (1721 ff. von Josef Mungenast). Eine festumrissene Gruppe altbayerischer Zentral bauten des 17. Jahrhunderts entnimmt ihre Grund risse der religiösen Symbolik. Der Kreis, die Drei- und Vierpaßform als Sinnbilder Gottes, der allerheiligsten Dreifaltigkeit und des Kreuzes waren besonders be liebt. Die Wurzeln dieser Formenwelt dürfen wir in der volkstümlichen Frömmigkeit suchen, die es liebt, die Glaubensgeheimnisse „handgreiflich sichtbar" werden zu lassen (Passionsspiele!), und in venezia nisch-lombardischen Anregungen, die im Salzburger Domchor (1614—1628 von Santino Solari) nördlich der Alpen monumentale Gestalt gewannen. Der Wesso brunner Bildhauer-Architekt Konstantin Bader (ge storben 1681) verband diese Ströme miteinander und erhob sie zu eigenwilligen Kunstwerken. In der Wall fahrtskirche Maria-Birnbaum bei Aichach (1661—1665) fügte er Kreissegmente und Dreipässe aneinander, in der Kreuzkirche von Westerndorf bei Rosenheim (1668—1672) umschrieb er einen Vierpaß mit einem Kreis. Georg Dientzenhofer krönte diese Entwicklung mit der Wallfahrtskirche Kappel bei Waldsassen (1685—1689). Flier stoßen drei mit ffolbkugeln über wölbte Halbkreise derartig aneinander, daß ihre Sehnen ein gleichseitiges Dreieck bilden, welches durch drei eingestellte Säulen bezeichnet wird'). Drei Altäre, drei Türme, drei Laternen, ein sich ringsum anschmiegender niedriger Umgang vervollständigen dos originelle Gebilde zu Ehren des einen Gottes in den drei Personen. Das Problem des symbolischen Grundrisses hat die Dientzenhofer immer wieder be schäftigt. Genannt seien die Vier- bzw. Dreipaß anlagen Wolfgangs in der Salesianerinnenkirche zu Amberg (1697—1699) und in der Wallfahrtskirche Frauenbründl bei Straubing (1705—1707), Leonhards Rundkapelle mit Nischen zu Ehren des hl. Kreuzes in Goibach/Ufr. (1697—1698) und die vielen Entwürfe im sogenannten Dientzenhofer-Skizzenbuch des Baye rischen Nationalmuseums in München. Daß aus die sem Kreise Impulse auf das oberösterreichische Bauen ausgegangen sind, kann bei den nachweisbar engen Beziehungen keinem Zweifel unterliegen^). In Ober österreich erscheinen nämlich wenig später recht ähn liche Grundrißlösungen. In der Wallfahrtskirche Christkind! bei Steyr (begonnen 1706 von Carlo An tonio Corlone, noch 1708 von Jakob Prandtauer fort geführt) sind an einen überhöhten kreiszylinderförmigeni Hauptraum vier Konchen gelegt, in der Drei faltigkeitskirche Stadl-Paura bei Lambach (1714—1717 von Joh. Mich. Prunner) ist ein kompliziertes Drei konchengebilde einem Hauptraumzylinder unterge ordnet und in ein gleichseitiges Dreieck einbezogen. An Stelle des gleichberechtigten Neben- bzw. An einander der altbayerischen Anlagen ist, entsprechend der späten Stufe, das Prinzip des Ineinander und der Unterordnung unter einen Hauptraum getreten. In wiefern die reichhaltige Symbolik in den Wallfahrts stätten Böhmens und Mährens — am phantastischsten wohl in Johann Santini Aicheis Johann-NepomukHeiligtum auf dem Grünen Berg bei Saar (1719—1722) — auf bayerische Anregungen zurückzuführen ist, konnte von der Forschung bislang nicht festgestellt werden. Die Frage bleibt aufgegeben. Unsere Studie konnte sich auf den Kirchenbau be schränken, da der Schloßbau in unserem Räume an Bedeutung weit zurücksteht. Hauttmann nennt die Zeit von 1650—1720 die Hochstufe. Wir möchten ober die Spätstufe bereits um 1700 beginnen lassen, weil um 1700 die linearen bzw. aus Kreisen und Ovalen be stehenden den kurvigen, ineinander verklammerten Grundrißformen weichen müssen. Auch lösen um 1700 die deutschen Kräfte die italienischen ab. Riesenhuber bezeichnet die Hochstufe als „Stuckbarock", im Gegensatz zur Spätstufe (1700—1780), die er „Fresko barock" nennt. Aber nur in Österreich und Bayern dominiert wirklich die Stuckdekoration, während sie in Böhmen kaum jemals zur Raumbeherrschung auf steigt. Die Zeit vor 1700 war eine Zeit der Vorberei tung, die nachher eine Zeit der Erfüllung des barocken Bauwollens („Bewegung und Kraft") in der südost deutschen Landschaft. Die Barockforschung hat sich vornehmlich mit der Zelt der Erfüllung beschäftigt, es wäre dringend notwendig, daß sie die Zeit der Vor bereitung weit mehr in ihre Betrachtung miteinzöge, als dies bisher geschehen ist. Die Zuschreibung der Linzer Jesuilenkirche an die Corlone stützt sidi auf sichere Kriterien: das genau eingehaltene Schema in Grundriß und Wandsysfem, die übliche Doppelturmfassade, deren Attikageschofj frapezförmige Pilasfer und liegende Ovalfenster da zwischen aufweist, wie an St. Midiael in Passau; die Auffeilung des Fassadengiebels mit Segmentabschlufj wie in Carsten; auch die Baluster des Mitfelfensters kehren wieder, ein carlonlsches Lieblingsmotiv, das z. B. an der Nordfassade der Schlierbacher Kirche vorkommt. Damit Ist auch die ,,Echtheit" der Passauer Je suitenkirche gesichert, die sdion ein Blick auf den Stüde nahelegt (Blätterstab unterm Gesims, Einzelhelten des Gebälks), vor allem aber die in fast sämtlichen Carlone-Bauten übliche, dekorative Einschiebung einer Art Attika mit Voluten bzw. Figuren seitli^ der Gewölbegurtansätze, auf der die Quertonnen über den Kapellen aufliegen. -) Man vergleiche auch damit die Räume der Zisferzienserabteiktrche in Fürstenfeldbruck (1701 ff. von Giov. Ant. Viscardi), in Dlefjen und Zwiefalten (1732 bzw. 1740ff. von Joh. Mich. Fisdier). Johann Michael Fischer, der berühmte Münchener Hof- und Stadt baumeister, war ein Enkelschüler Wolfgang Dientzenhofers. '') Leonhard Dientzenhofer übernahm diese Raumform — die er auflockerte und dynamisierte — in der Bamberger Karmelitenkirche (1692—1707). •') Die Wandform der Kappel — den böhmischen Wandpfeilerbcisiliken entnommen, bereichert durch Nischen zwischen den auseinanderfretenden Doppelpilastern — verwendet Georg Dientzen hofer wieder in Trauttmannshofen und in St. Martin in Bamberg (1686 ff.). "'') So war z. B. der Linzer Stadtbaumeister J. M. Prunner 1716 und 1724 in Passau, nach 1730 in Regensburg tätig. Oder man ver gleiche die Wirksamkeit des Passauer Bildhauers und Architekten Jos. Math. Götz in Straubing, Fürstenzell, Schärding, Wilherlng, Zwettl, Mariataferl usw, Wir neigen dazu, in der Enge heutiger Grenzziehungen zu denken. Damals lebte man aber in Bayern, Böhmen und Österreich in ein und demselben Heiligen Römischen Reiche Deutscher Nation.

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LITERATURHINWEiS: Bosch, L.: Eine Sammlung barocker ArchÜekturzeichnungen im Bay erischen Naiionalmuseum, Münchner Jahrbudi der bildenden Kunst 1954. Brelsdinelder, A.: Ein Beitrag zum Bausdiafien der landständisdien Stifte Oberösterreichs im 17. und 18. Jahrhundert, Dresdner Diss. 1914. Gürth, A.: Uber Wolfgang Dienfzenhofer, Verhandlungen des t^istorischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg, 99. Bond 1958 (Dientzenhofer-Literotur). Houttmann, M.: Geschichte der kirchlidien Baukunst in Bayern, Schwaben und Franken 1550--1780, München 1921. Hegemenn, H. W.: Die deutsche Barockbaukunsi Böhmens, München 1943. Herrmann, W.: Deutsche und österreichische Raumgestaltung im Barock, Jahrbuch für Kunstwissenschaft 1927. Lieb, N.: Münchener Borodcbaumelsfer, München 1941. Morper: Der Prager Architekt Jean Baptisfe Maihey, Mündiner Jahr budi 1927. Reuter, W.: Das Piolzlgewölbe der BarocJczeit, Deutsdie Kunst- und Denkmalspflege 1955. Riesenhuber, M.: Die kirchliche Barockkunst in Österreich, Linz 1924. Sdimid, W. M.: Passau, Leipzig 1912. Doz. Dr. Erich Hubala, München Johann Michael Prunner Zur neuen Monographie von Bruno Grimschitz' 1669 ist Prunner geboren. Seit 1705 in seiner Vaterstadt archivolisch nachweisbar, hat er als Bau meister und Bauunternehmer das Gesicht der Stadt Linz und des Landes Oberösterreich durch eigen artige und auch bedeutende sakrale und profane Bauwerke geprägt. Als Prunner 1739 starb, hinterließ er ein Oeuvre, in dem Elemente der böhmischen und der österreichischen Barockarchitektur vereinigt, aber zu entschiedener Besonderung ausgebildet erscheinen. Verglichen mit dem älteren Fischer von Erlach ist Prunner genügsam, eng in seiner Auffassung von Baukunst, kein Typenschöpfer, reserviert gegenüber dem Pathos plastischer Gestaltung. Hildebrandts schwärmerische Durchzeichnung der Form, dieses zauberhafte, aber auch präzise Relief, beschäftigten Prunner oft seit zirka 1717, aber nicht als Prinzip. Denn Prunners Wandform ist eigenartig und unter scheidet ihn grundsätzlich von den beiden Begrün dern der österreichischen Barockarchitektur. Am schönsten wirkt Prunner in Fassaden, im überschau baren Ausmaß, wo die Munterkeit der Proportionen, dos Treffsichere der „Lizenzen" ganz genossen wer den kann. Dabei ist Prunner niemals zierlich; selbst ein so schöner Bau wie die Mariahilfkapelle auf dem Puchberg bei Lambach wirkt nicht so. Es dominiert das Aufgeräumte, Feiertägliche; nicht dos Lockere, sondern das Geprägte: unvergeßlich beim Anblick der Dreifaltigkeitskirche und des Waisenhauses von Paura. Das alles sieht so natürlich aus, daß man leicht übersieht, wie außerordentlich Prunmers Far mensprache ist, wie unkonventionell, aber auch wie überlegt. Prunner vermag so unauffällig, so heiter *) Herausgegeben vom Kuituramt der Stadt Linz; erschienen im Verlag Schroll, Wien, 1958. S 180.—. zu wirken, weil er über ein erstounlich sicheres Proportiansgefüh! verfügt und äußerst lebendig rhyth misiert. In dieser Hinsicht übertrifft er auch Prandtauer. Man vergleiche Linzer Fassaden Prunners (etwa die Freihäuser Thürheim, Zeppenfeld, Mannstorff, Weißenwolff, dos Gleinker Stiftshaus) mit Prandtauers sogenanntem „Bischofshof" in Linz oder mit Haus fassaden in St. Pölten (zum Beispiel Rothausgosse 2). Die Portale des Tiroler Baumeisters in Melk, Garsten, 'Herzagenburg, St. Pölten nehmen sich neben solchen Prunners in Paura, Linz, Spital, Steyr, gehäuft in der Motivik, in den Proportionen unsicher, im Gesamt eindruck geschraubt und im Verhältnis zur Fassade gewaltsam aus. Erst eine Kirchentür wie die schöne der Pfarrkirche von Wullersdorf zum Beispiel, also ein Werk des Munggenast, steht gut neben Prunners Portalen, die allerdings immer den Wandzusam menhang — nicht nur als Hintergrund! — brauchen. Prandtauers Talent, riesige Baumassen zu organisie ren, sein Pathos, seine lebendige Vorstellung von der Würde des Sakralen, diese heraldische Farmengebung; das alles bleibt für Prunner unerreichbar, wird nicht angestrebt (auch nicht bei größeren Baukomplexen: Linz, Wallzeugfabrik). Man sollte aber doch nicht übersehen, daß die drangvolle Motivik und die oft schematische Rhythmik des Tiroler Baumei sters (1658—1726) nicht immer den Takt und das natürliche Maßempfinden Prunners zeigt. Bisher fehlte eine monographische Darstellung von Prunners Werk und Kunst. Nun hat Bruno Grimschitz in einem angemessen ausgestatteten Band Bericht über Prunners Leben gegeben, hat seine Bauten zu-

sammengestellt und beschrieben und Prunners kunst geschichtliche Bedeutung dargelegt. Das geschieht vielleicht weniger durch begriffliche Erfassung als durch Beschreibung von Aufbau und Erscheinung der einzelnen Bauten. Man trifft hier Baubeschreibungen von solcher Treffsicherheit an, t oi ZJ4S67 89 10 Santini Aichel, Jungfernbfezan, Annakapelle von einer derartigen Unterscheidungskraft und Blick schärfe für das Spezifische der baulichen Gebilde, daß sich die beschriebenen Bauten zugleich gewertet und charakterisiert finden. Dabei ist die Sprache schlicht, kernig („Prunner" wird von jetzt ob heißen, den die Literatur bisher „Brunner" nannte), frei von blassen Intellektualismen und — was entscheidet! — erstaunlich leistungsfähig. Es würde dieser leider selten gewordenen und oft gering geschätzten Fähig keit, gestaltend und urteilend zu besdireiben, kaum entsprechen, wollte man einzelnes hervorheben. Man muß sich das Ganze aneignen, muß die leisen Hin weise auffassen, das mitklingende Urteil hören, die nicht ausgesprochenen Vergleiche sich vergegenwär tigen. Man muß die mühelose Durchleuchtung eines Aufbaues (zum Beispiel Spital am Pyhrn und die Linzer Fassaden) Satz für Satz nachvollziehen, muß den Text an den Bildern messen, diese durch die Be schreibung geklärt und korrigiert finden. Denn Bild und Beschreibung dienen gemeinsam der eigentlichen Aufgabe: der Vergegenwärtigung des gebauten Werkes. Durch Gegenüberstellung (Abb. 20/21, 34/35, 65/69 z. B.), wechselnden Standpunkt (Abb. 15—17 z. B.) und sachlich begründete Detailaufnahmen (Abb. 4, 12, 22 z. B.) wird die ihrer Natur nach irre führende Berichterstattung der modernen Photogrophie abgeschwächt, vom üblich Geschmäcklerischon gereinigt und zu einem integrierenden Bestandteil der Darstellung gemacht. Nichts ist dieser Leistung, die den hervorragenden Kenner der Barockarchitektur im heutigen Osterreich verrät, daher weniger angemes sen als flüchtiges Lesen, willkürliches Herauskosten des Einzelnen, nervöses Zusammenroffen-Wollen der hier ausgebreiteten und so bescheiden eingekleideten Einsichten und Urteile. Es ist daher das neue PrunnerBuch von Grimschitz, dem 96 ganzseitige Abbildun gen auf Tafeln beigegeben sind, nicht nur in der Gesamtanlage (Leben, Werke, Charakteristik der Sakral- und Profanbauten, kunstgeschichtliche Stel lung) verwandt mit der großen Lucas-von-HildebrondtMonographie des Verfassers, sondern auch im Geiste und daher ein reiches, ein lebendiges und ein dauer haftes Werk, wenn auch im vorliegenden Fall der wenig ausgeführte wissenschaftliche Apparat'), eine gewisse Willkür bei den zeichnerischen Bauaufnahmen^) und das Fehlen von Register und Hinweis ziffern auf die Abbildungen im Text als Mängel an gemerkt werden müssen. J. M. Prunner, Dreifaltigkeitskirche in Stodl-Paura Das chronologisch®) angeordnete beschreibende Verzeichnis der Werke nennt 62 Bauten und bauliche Unternehmungen Prunners in Linz, Wels, Steyr; im Lande Oberösterreich'), aber auch in Passau und in Regensburg®). Archivalisch für Prunner gesichert ist nur der kleinste Teil dieses stattlichen Oeuvre. Meistens handelt es sich um Zuschreibungen. Viele

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