deren klare Statik jedes chaotische Element tilgt, ob gleich ihre eigentliche suggestive Wirkung darin liegt, daß sie keinerlei Grenzen anerkennen, auch nicht die Begrenzungen des Bildrahmens, den ihre Expansion in große Weiten, ja ins Unendliche hinaus transzendiert. Auf Mondrian läßt sich jedenfalls das Wort „ab strakter Kubismus" keineswegs anwenden, sofern man den dramatischen Konflikt splitternder Bildelemente zwischen Raum und Fläche für untrennbar mit jedem Kubismus verbunden hält. Mondrians Malerei ist die einseitig extremste Verwirklichung völlig undrama tischer, konfliktloser — wenn auch nicht spannungs loser — Zweidimensionolität. Von der Zweiheit Grundform-Grundfläche ist bei ihm nichts mehr geblieben; keine Anordnung von Formen auf der Fläche, nur noch die architektonische Aufteilung der Fläche selbst. Das unterscheidet Mondrian auch von allen russischen Konstruktivisten und sogar von den meisten seiner eigenen Freunde und Schüler. Mag Malewitsch früher als Mondrian die elementare Gleichnisfunktion des Kreuzes (als Zeichen des offenen Raumes) und der daraus abgeleiteten Rechteckform begriffen haben: die Kreuze und Quadrate des Rus sen schwimmen noch isoliert in der Einsamkeit der leeren Grundfläche, nicht anders als bei Kandinsky. Mondrian ist aber nicht nur der Statiker des rechten Winkels, weit wichtiger noch ist er als Entdecker des „rhytme libere", des befreiten Rhythmus, der beson ders seinen letzten New-Yorker Bildtafeln einen neuen dynamischen Charakter gibt. Sein Satz: „La forme limitee est une entrave ä l'expression du rhytme pur" — „die abgegrenzte Form ist ein Hindernis für den Ausdruck des reinen Rhythmus" — hilft uns heute sogar, die jüngste, Mondrians Stil scheinbar so entgegenge setzte, radikal „malerische" Phase der absoluten Ma lerei zu verstehen, ja er läßt uns das Gemeinsame er kennen, das den Impressionismus mit dem Kubismus oder den geometrischen mit dem malerischen Dynamismus (so unerbittlich sie einander bekämpfen mögen) verbindet. Das Gemeinsame ist, wie gesagt, die Aufhebung der Dualität von Form und Fläche. Das Unterscheidende ist die Herkunft einerseits von der klassizisti schen Linie Ingres, Gauguin, Kubismus, Bauhaus, Konstruktivismus, andererseits von der romanti schen Linie Delacroix, van Gogh, Jugendstil, Expres sionismus, Surrealismus. Beide Linien sind seit Jahr hunderten in der europäischen Kunstgeschichte gleich zeitig nebeneinander und gegeneinander wirksam. Sehr viel revolutionärer allerdings als die rein geo metrische Malerei erscheint die mit allen Explosiv stoffen der Romantik, des Expressionismus und des Surrealismus geladene „informelle" Kunst, wie sie in Frankreich genannt wird, „action painting", wie man in Amerika sagt, während sich bei uns das zu enge und nur vom äußerlich Technischen abgeleitete Wort „Tachismus" eingebürgert hat. Sie dürfte die einzige wirklich neue Stilrichtung der Malerei sein, die nach dem zweiten Weltkrieg auftrat. Wie andere Stilrevo lutionen legitimiert sich auch diese schon äußerlich historisch dadurch, daß sie an ganz verschiedenen Stellen des Planeten unabhängig geschaffen wurde: vor allem in Paris durch den deutschen Emigranten Wols (Wolfgang Schulze), in dessen Arbeiten heute wohl jeder vorurteilslose Betrachter das Signum des Genies erkennt, und in den gleichen Jahren 1944/45 in Kalifornien durch J. Pollock und seinen Freundeskreis. In Deutschland, das nach 1945 so vieles nachzuholen hatte, ist diese künstlerische Bewegung erst in den letzten Jahren bekannter geworden. Die deutschen „Informellen" haben sich zu Freundesgruppen und Ausstellungsgemeinschaften zusammengeschlossen und bedienen sich der verschiedensten Kennworte, unter denen eines der bizarrsten die Wortverbindung „aktiv-abstrakr" ist, die in Anlehnung an das sprach lich einwandfreiere amerikanische „action-painting" besagen will, daß es hier auf die Tätigkeit des Malens ankommt, eine Versichtbarung also des schöpferischen Prozesses unter Verzicht auf ästhetisch gepflegte Ergebnisse, unter Verzicht sogar auf Werke im alten Sinn von harmonischen Komposi tionen. Kandinskys Benennungsvorschlag „kompositionelle Malerei" kann also nicht mehr beanspruchen, die gesamte gegenstandsfreie Malerei zu umfassen. Die Neuen komponieren nicht mehr, es geht ihnen um Probleme der „Dekomposition"; sie setzen nicht mehr einzelne Bildelemente zusammen, sondern sie schmel zen jede Andeutung von Einzelformen ein in den großen Strom des entfesselten Rhythmus. Also, nach der Terminologie Wölfflins, eine extrem „offene" Ma lerei, offen bis zum Verzicht auf alle irgendwie ab gegrenzten Formen. Gewiß erinnert diese „impressio nistische" Technik turbulenter Flecke und nervöser Graphismen an die ersten gegenstandsfreien Impro visationen Kandinskys von 1911 — der Improvisations charakter ist nur noch herausfordernder, ermutigt durch die Lehren des Surrealismus bis zur „gratuite" des „psychischen Automatismus". Doch bei Kandinsky strebten schon in seinen frühen Phasen alle Flecke und Fleckengruppen danach, sich vor der Grundfläche zusammenzuballen, sich zu isolieren, sich zu individua lisieren. Damit ist es nun vorbei — und also auch mit der Auffassung der verbindlichen Grundfläche, die sich seit Kandinsky so lange als Axiom gehalten hatte. Es gibt natürlich keine Wiederkehr eines zentralperspek tivisch erschließbaren Raumes. Die Bildfläche weitet sich aus eigenster Kraft der Bildmittel zu einem un endlichen irrationalen Spielraum voll gewaltiger Kontraste, Tiefen und Höhen, der auch mit der „kur zen Tiefe" Baumeisters nichts mehr zu tun hat. Es ist ein barocker, romantischer Raum, ekstatisches Erleb nis, durch Helldunkel und bewegte kaltwarme Farb massen suggeriert, nicht selten zu wirklichem Relief
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