andersetzen mußte. Was lag näher als eine Umdeutung der bisherigen traditionellen Beziehung „Figur zu Raum* in die Beziehung „Punkt und Linie zu Fläche"? Die gesamte Malerei Kandinskys ist An ordnung von Grundformen auf der Grundfläche. Er bediente sich zwar zunächst, vor dem ersten Weltkrieg, noch weitgehend der impressionistischen Technik, aber schon seine ersten gegenstandsfreien oder fast gegenstandsfreien Bilder zeigen, daß er keineswegs das einheitliche Flecken geflecht des reifen impressionistischen Bildes im Auge hatte, sondern danach strebte, die Tupfen und Flekken, mit deren Hilfe der Impressionist die geschlos sene Einzelform aufgelöst hatte, wieder zu deutlich isolierten, spannungsvoll gegeneinander ausgespielten Formen und Formengruppen zusammenzuballen. Da durch kam auch die Grundfläche, die leere Unend lichkeit zwischen den Formen, wieder zu Worte, als zweite Stimme, oder, wenn man den Farbfleck und die emanzipierte Linie als zwei Stimmen nimmt, als die dritte. Besser noch: als das Schweigen, die Pause, die Stille zwischen der musikalischen Abfolge der Formen und Farben. Diese „musikalische" Phase der gegenstandsfreien Malerei — die sich auch gern musikalischer Titel und Methoden bediente — realisierte Kandinsky unübertreffbar. Aber fast in allen seinen Werken, und gerade in seinen bedeutendsten — verharrt er auf der Stufe des additiven Vielfaltsbildes, das gerade in seinem Spätstil Triumphe feiert. Isolierte Formen, Zeichen und Zeichengruppen tanzen auf der einheitlichen Grund fläche, scheinen einander zu begrüßen oder zu be kämpfen, zu begegnen oder zu fliehen, sich zu Schwärmen zu sammeln oder in den leeren Raum zu zerstreuen. (Abb. 1.) Nur in wenigen Bildern kommt Kandinsky in die Nähe jener „hochklassischen" Verein fachung, jener großdekorativ zu einer zusammenhän genden Figuration zusammengefaßten Zentralkompo sition, wie sie etwa ein Magnelli, ein Th. Werner, ein Otto Ritsehl in den vierziger und fünfziger Jahren aus bilden. Schon auf dieser Stilstufe wird der Flächen aufbau komplizierter. Kandinskys Wort, die Grund fläche sei „ausziehbar wie eine Ziehharmonika" zeigt erst jetzt seine ganze Tragweite. In den reifen Wer ken von Ritsehl, besonders aber auch im Spätwerk von Baumeister (Montaru-Serien) und in den jüngsten Bildern des siebzigjährigen Max Ackermann, gibt es verschiebbare Flächen innerhalb der Fläche, die ineinanderzugleiten und eine kurze Raumtiefe zu schaffen scheinen. In Ackermanns Bilderreihe mit dem Titel „Oberbrückte Kontinente" ist das eigent liche Thema ebenso wie in den Montoru-Bildern Bau meisters der Gegensatz riesiger flächenhafter Formen zu kleinen, zierlichen Formranken. Aber während bei Baumeister der große schwarze Vorhang die Bildmitte einnimmt, ringsherum von Raum umgeben, und bunte Kleinformen, die nur Begleitung sind, teils verdeckt. teils freigibt, handelt es sich bei Ackermann ganz im Gegenteil um weite schwarze oder farbige Flächen, die von jenseits des Rahmens in das Bild hineinragen und sich bis auf einen leuchtenden Kanal zusammen schieben, der von jenen zarten Formen überbrückt wird, die als das eigentliche Hauptthema anzusehen sind. In manchen Fällen scheint sogar der „Kanal" zwischen den „Kontinenten" selbst zu einer positiven Form zu werden. Orange zwischen Schwarz, das irdische Bild durch die Suggestion eines Raketenfluges zum Kosmischen weitend. (Abb. 2.) An solchen Bildern wird es ablesbar, daß wir „an der Schwelle des Welt raumzeitalters" stehen. Aber schon in der nächsten Generation, bei E.W. Noy und Fritz Winter zum Beispiel, finden wir ausgespro chen barocke Bewegungskompositionen in diagonalen Zusammenfassungen, immer noch unter Wahrung des Grundgegensatzes von Form und Fläche, jedoch schon mit bewußter Ambivalenz von „positiven" und „nega tiven" Formen. Ein Schritt weiter, und die Zwischen formen werden zu Hauptformen, Hintergrundausschnitte und Vordergrundelemente werden austausch bar, alle Einzelformen in die einheitliche Gesamt struktur eingeschmolzen und der formbildende Gegen satz von Grundfläche und Bildelement restlos auf gelöst. Dann spricht man nicht ohne Berechtigung von „abstraktem Impressionismus". Wenn aber dieser Aus druck für die Fleckenmalerei des sogenannten „Tachismus" angewandt wird, um eine radikal malerische Dynamik zu bezeichnen, dann sollte man mit dem gleichen Recht die lineare Dynamik der gleichzeitig ausgebildeten rein geometrischen Abstraktion eigent lich „abstrakter Kubismus" nennen dürfen. Beide Be nennungen treffen natürlich, wie alle Vergleiche, nur eine Seite der Phänomene und sind unfähig, die ein malige, nicht wiederholbare Wesenstiefe zu bezeich nen. Das große Thema von Impressionismus und Kubis mus, die Auflösung der geschlossenen Formen, das Ineinander-übergehen von Bildform und Bildgrund, war in der gegenstandsfreien Malerei schon einmal gegen Ende des ersten Weltkrieges zum Durchbruch gekommen: im Werk eines einsamen Vorläufers, des sen eigentliches Wollen erst heute verstanden zu werden beginnt. Mondrian war es, der die „architek tonische" Phase begründete (neben der aber die „musikalische" auch heute noch besteht). Diesem philosophischen Geist war es um nichts Geringeres zu tun als die Überwindung des Tragischen durch Ein rasten allen individuellen Lebens in das universelle Sein. Die Schlüsselform Mondrians ist das Kreuz ■— als Gleichnis der offenen Existenz, in deren Raum die Gegensätze von Mensch und Welt, Einzelnem und Gemeinschaft, aktivem und passivem Sein zum Aus gleich kommen. Aus vertikalen und horizontalen Linien — jede Diagonale wird verpönt — entsteht eine Gitterordnung ineinanderübergeführter Rechtecke,
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