hervorgebracht hat. Was die Farbe anlangt, so ist die Herrschaft des „Heildunkel" schon im 18. Jahrhundert erschüttert, im 19. jedoch in einem langwierigen Pro zeß endgültig gebrochen worden. Ebenso läßt die Mo derne — im Bereich der „Form" — dos klassische Kompositionsschema außer acht und verzichtet auf die Schaffung eines illusionistischen Bildraumes nach den Gesetzen der Zentralperspektive. Bedeutend schwie riger ist es zu sagen, welch eigene Gesetzlichkeiten die moderne Malerei erarbeitet hat. Es gibt auf diesem Gebiete bisher keine grundlegende Studie. Umso dankbarer begrüßen wir den Beitrag von Kurt Leon hard zum Thema: „Fläche und Raum in der gegen standsfreien Malerei." Eine zweite Grundvoraussetzung für ein tieferes Eindringen in eine je besondere Kunst ist eine Kennt nis der Künstler, ihrerZiele und Bestre bungen. Es gibt nun keine Zeit in der Geschichte der Kunst, in der die Künstler soviel über sich selbst reflektiert und auch geschrieben haben, wie in den letzten Jahrzehnten'). Da nicht mehr ein besonderer Stand als Mäzen für die Kunst auftritt, muß der Künstler schwerer um Anerkennung ringen, als dies in früheren Zeiten der Fall war. Um so wichtiger sind daher für ihn — und zugleich für das Verständnis der modernen Kunst — die Menschen, die seinen Weg be gleitet und die oftmals als Bahnbrecher gewirkt haben: die Sammler und die Kritiker. Ober die Frage, welcher Werf solchen Selbsfoussogen von Künsflern beizumessen isf, wollen wir uns hier nichf verbreifen. Ohne Zweifel sind Kunstler off ihre schlechfesfen Interpreten, weil dos, was sie schaffen, umfassender Isf, als das, was sie wissen. Dodi gibt es auch den anderen Fall, besonders bei Künsflern mif einem scharfen, kritischen Intellekt. Wir sind in der glücklichen Lage, in diesem Heft ein besonders wertvolles Dokument zum erstenmal der Öffentlichkeit vorlegen zu können: einen Aufsatz von Oskar Schlemmer aus der wichtigen Zeit unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg über „Die Kunst der Farbund Formensprache". Neben ihn stellen wir einen Sammler, der einige seiner schönsten Werke besitzt: Dr. Max Fischer. Beide stehen hier nicht als Vertreter eines modernen Extremismus, der „modern ist um des Modernen willen", vielmehr haben beide auch in der Moderne nur höchste Qualität gelten lassen. Erst nach Erarbeiten all dieser Voraussetzungen kann man sich die Frage vorlegen, was die moderne Kunst bedeutet. Diese Frage kann von uns in die ser allgemeinen Form heute noch nicht beantwortet werden. Uns bietet sich vorläufig noch eine Fülle ver schiedener Richtungen und individueller Verwirk lichungen dar. Wir greifen in diesem Heft drei von einander völlig verschiedene Meister heraus: E. L. Kirchner, Marc Chagall und Lyonel Feininger. Zwei von ihnen sind für uns noch in einer beson deren Weise wichtig: ihre Kunst dringt in den Be reich des Religiösen vor. Chagalls Kunst geht aus dem jüdisch-chassidischen Glauben seiner Kindheit hervor. Eine solch direkte Aussage liegt nicht im Bereich der Möglichkeiten Feiningers: er gibt Symbole, Chiffren, die auf das Unsichtbare hinweisen. Es gibt in unserer Zeit aber auch Künstler, die in der Bildsprache unserer Zeit nicht nur religiöse, sondern spezifisch christliche Kunst geschaffen haben. Wir den ken etwa an Georges Rouoult und Alfred Manessier. Auf diese wirklich große christliche Kunst unserer Zeit möchten wir in einem späteren Heft eingehen. Kurt Leonhard, Stuttgart Fläche und Raum in der gegenstandsfreien Malerei y'"? ^ie eigentliche Realität eines Bildes ist nicht ydie Seeschlacht oder die nackte Frau, die es darstellt, sondern die mit Farben und Formen in einer bestimmten Anordnung bedeckte Fläche. Mit diesem Satz hatte der Maler Maurice Denis nicht nur die Erfahrungen Gauguins, van Goghs und Cezannes auf eine Formel gebracht, sondern er hatte zugleich den Weg zurückgefunden zur Frömmigkeit der gotischen Goldgrundmalerei. Darüber hinaus ist dieser Satz die Grundlage einer neuen Gattung der Malerei, von der Maurice Denis noch nichts wissen konnte, nämlich der sogenannten gegenstandsfreien (oder ab strakten oder konkreten oder absoluten) Malerei. Wir verstehen darunter jene Malerei, die keine andern Realitäten darstellen will als die der Bildfläche, des Bildmaterials und der Strukturzusammenhänge des Bildes — es sei denn jene unsichtbare, inkommen surable Realität, die aus der Wirkung bestimmter Kombinationen von Farben und Formen auf unsere Sensibilität entsteht: das „Geistige in der Kunst", das eigentlich immer gemeint ist, wenn von „Punkt und Linie zur Fläche" die Rede ist. Selbstverständlich sind also die Probleme, die spä testens seit der Renaissance durch den Konflikt von Fläche und Raum in die Kunstgeschichte gebracht wurden, keine bloß technischen oder artistischen Pro bleme. Es sind Probleme der Welt-Anschau ung: — Anschauung, Durchschauung, überschau. Einschau, Auseinanderschau, Zusammenschau . . .
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