Christliche Kunstblätter, 96. Jg., 1958, Heft 4

BUCHBESPRECHUNGEN Malerei der Gegenwart Wassily Kandinsky (Monographie). Text von Will Grohmonn. Verlag DuMont Schauberg, Köln, 1958. DM 67.—. „Die Loslösung vom Gegenstand ist nicht die Folge kunsttheoretischer Erwägungen, sondern eine Fortführung der Entwicklung, die mit Monet einsetzt, von den Neound Postimpressionisten weiterentwickelt wird und mit den ,Fauves' einen vorläufigen Abschluß findet. Motisse tot einen Schritt zurück, Kandinsky verließ sich auf die unbe grenzten Möglichkeiten der bildnerischen Ausdrucksmittel und wagte den Sprung ins Nichts." Als Kandinsky 1910 sein erstes abstraktes Aquarell schuf, war er bereits 44 Jahre alt. Der gebürtige Russe hatte zuerst Jus studiert. Als ihm 1896 eine Professur in Dorpot angeboten wurde, lehnte er sie ab, weil er sich zum Maler berufen fühlte. Er übersiedelte nach München und machte dort den üblichen Betrieb an der Kunstschule mit. Von 1900 bis 1907 ließ er sich von der Welle des Jugendstils tragen. Erst 1908 fand er ganz zu sich selbst. Die nächsten Jahre bis zum Beginn des ersten Welt krieges bezeichnen den ersten Höhepunkt seines Schaffens. Immer mehr entfernt er sich vom Gegenstand; 1914 malt er kein einziges gegenständliches Bild mehr. Die Entt Wicklung ist von außerordentlicher Konsequenz. Natur und Kunst sind für Kandinsky zwei verschiedene Bereiche. Die Kunst ist das Reich des Geistes, der sich reiner kundgibt, wenn er nicht mehr an den Gegenstand gebunden ist. Nach einem mehrjährigen Intermezzo in Rußland, das sich für sein Schaffen sehr ungünstig auswirkte, wurde Kandinsky 1922 Formmeister am Bauhaus in Weimar. Da mit beginnt die zweite große Zeit. Während in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg das dynamische und das romantische Element überwogen, werden seine Bilder jetzt ausgewogener, klassischer. Die „Elemente" dieser Bilder sind geometrischer Natur: Linie, Dreieck, Kreis. Daß da mit nicht ein Übergang von der Malerei zur Geometrie beabsichtigt ist, sagt Kandinsky selbst deutlich in einem Brief: „Wenn ich in den letzten Jahren so oft und leiden schaftlich den Kreis verwende, so ist dazu der Grund nicht die geometrische Form des Kreises oder seine geometri schen Eigenschaften, sondern mein starkes Empfinden der inneren Kraft des Kreises und seiner unzähligen Variationen." Nach 1926 verlieren die Bilder langsam die Kälte und Härte, freilich auch die Präzision der Weimarer Zeit. Diese Jahre sind wieder als Übergang zu werten zum Alters werk des Meisters, das nach seiner Übersiedlung nach Paris 1933 einsetzt. Kandinsky beginnt jetzt mit den For men zu spielen. Etwas außerordentlich Leichtes, Frohes, Schwebendes kommt in seine Bilder. In dieser Hinsicht gleichen sie den Werken von Paul Klee; dabei fehlt ihnen das romantische Element, das bei Klee so stark vor herrscht. — 1944 ist Kandinsky in Paris gestorben. Während seines Lebens war Kandinsky ständigen Miß verständnissen ausgesetzt. Seine eigentliche Wirkung be gann erst nach seinem Tode. Für die junge Künstler generation, und gerade für die Begabtesten in ihr, ist Kandinsky, zusammen mit Mondrian und Klee, das große Vorbild. Das vorliegende Werk ist die bedeutendste Publikation des Jahres 1958 auf dem Gebiete der modernen Kunst. Will Grohmann, dessen Werke über Klee, Schmidt-Rottluff und Kirchner wir in dieser Zeitschrift bereits besprochen hoben, hat sich hier selbst übertroffen. Der Text ist außer ordentlich dicht; besonders wichtig scheinen uns die Stel len, an denen Grohmann vom Aufzeigen der Entwicklung zur Deutung übergeht (8. 145—159 und S. 217—220). Hinzu kommt die hervorragende Ausstattung. 41 Werke, durchwegs Hauptwerke Kandinskys, sind farbig, über hun dert ganzseitig schwarz-weiß reproduziert. Dazu kommt ein vollständiger Katalog seiner Gemälde und ein aus führlicher Abbildungskatalog mit 761 kleinen Abbildungen. Niemand, der sich in Zukunft mit der modernen Malerei, ihrer Entwicklung und ihrem Wesen, beschäftigen will, wird an diesem Werke vorübergehen können. G. R. Oskar Schlemmer, Briefe und Tagebücher. Verlag Albert Langen - Georg Müller, München, 1958, DM 24.80. Aus der Fülle der Tagebuch-Aufzeichnungen und Briefe Oskar Schlemmers hat seine Frau Tut eine Auswahl ge troffen, die uns den Entwicklungsgang des Meisters von 1910 bis zu seinem Tode (1943) verfolgen läßt. Jedem Kapitel ist eine kurze Einleitung vorausgeschickt, die die wichtigsten Daten des betreffenden Lebensabschnittes zu sammenfaßt. So wird aus dem Buch eine äußerst leben dige und das Wesentliche an der Künstler-Persönlichkeit Schlemmer herausstellende Biographie. Wie für Max Beckmann, so sind auch für Oskar Schlem mer die Kriegsjahre 1914 bis 1918 die Zeit der Reife und der Klärung. 1915 geht ihm bei der Lektüre Schillers auf, daß er vor die Entscheidung gestellt ist: als Künstler hat er zwischen Romantik (van Gogh) und Klassik (Cezanne), als Mensch zwischen Idealismus und Realismus zu ent scheiden. Letztlich fallen für ihn die künstlerische und die menschliche Entscheidung zusammen: „Peter Hille glaub' ich sagt es: daß unter den Künstlern der Maler vor allem zu der Selbstvollendung strebe" (aus den Kriegstagebü chern von 1916). Damit hängt zusammen, daß für ihn das eigentliche Objekt der Malerei der Mensch ist, näherhin der Mensch im Raum. Nach Jahren des Ringens kommt Schlemmer zur Klärung des Problems. Die Antwort hat er in die prägnante Formel gegossen: „Dionysische Konzeption, apollinische Gestaltung." Die Problematik wird nochmals verschärft, als Schlem mer 1917 an Kierkegaard gerät und sich die Frage vor legt: ethische oder ästhetische Lebengestaltung? Gegen Ende des Krieges ist sich Schlemmer auch darüber im klaren; „Die Idee muß ethisch, die Form ästhetisch sein." In diese Zeit fallen die verschiedenen Entwürfe für einen Aufsatz „Ober die Kunst der Form- und Farbensprache", von denen wir eine Fassung, und zwar wohl die reifste, in unserem Hefte wiedergeben. Schlemmer weiß nun, was er will. Im rechten Augenblick wird er ans Staatliche Bauhaus Weimar berufen, dem er durch neun Jahre (1920—1929) als „Formmeister" ange hört. In der Bouhous-Zeit entstehen nicht nur viele wich tige Gemälde und Plastiken, sondern auch das „Triadische Ballett", das Schlemmer wiederholt mit großem Erfolg auf führt. Freilich wird Schlemmer auch in die Kämpfe um das Bauhaus und am Bauhaus selbst hineingezogen und seine sensible Natur leidet unter den steten Krisen. So ist es verständlich, daß Schlemmer gerade in den Jahren nach dem Verlassen des Bauhauses (mit dessen neuem links radikalen Leiter Hannes Meyer er nicht einverstanden ist) seine schönsten und wichtigsten Werke geschaffen hat (auch der von uns abgebildete „Knabe in Blau" entstand damals). Nach der Machtübernahme verliert Schlemmer die Pro fessur an den Vereinigten Staatsschulen in Berlin, die ihm 1932 übertragen worden war. Er wird als „entarteter Künstler" gebrandmarkt und muß sich in einem Maler geschäft den Lebensunterhalt verdienen. Nach Kriegs beginn muß er, der große Künstler, Gebäude-Tarnanstriche

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