Christliche Kunstblätter, 96. Jg., 1958, Heft 4

Walter Kasten, Linz Zehn Jahre Neue Galerie Linz Die Neue Galerie der Stadt Linz (das „WolfgangGurlitt-Museum") beging heuer den zehnten Jahres tag ihres Bestehens. Es ist damit das jüngste Museum Österreichs, das seine Entstehung in den turbulenten Jah ren nach dem Zusammenbruch von 1945 dem Zusammen treffen besonders günstiger Umstände verdankt. Zu den Maßnahmen, die von der Stadtverwaltung unter Führung des Bürgermeisters Nationalrat Dr. Ernst Koref ergriffen wurden, um dem Strukturwandel der Stadt von einer verhältnismäßig stillen Landeshauptstadt zur Groß stadt, der durch Ansiedlung industrieller Großbetriebe noch 1938 eingeleitet worden war, gerecht zu werden, gehörte eine weitschauende Kulturpolitik. Der Ausbau der vorhandenen Stadtbücherei wurde großzügig in Angriff genommen, eine Musikdirektion und Musikschule ins Leben gerufen, die heute bedeutendste Volkshochschule Öster reichs aufgebaut, eine Kunstschule gegründet und eine moderne Galerie geplant. Diese sollte — im Gegensatz zu den schon bestehenden Museen (dem Stadt- und dem Landesmuseum), deren Sammlungen auf Linz bzw. Ober österreich beschränkt sind — den Kontakt mit den führen den künstlerischen Strömungen unserer Zeit herstellen. Im Jahre 1948 wurde dieser Plan verwirklicht. Der Ber liner Kunsthändler Wolfgang Gurlitt, der seine Privat sammlung kurz vor Kriegsende ins Salzkammergut ver lagert hatte. Obergab diese für zehn Jahre der Stadt als Leihgabe und übernahm selbst die Leitung dieser „Neuen Galerie". Der wesentliche Teil dieser Sammlung ging 1953 in den Besitz der Stadt über. Wenig später legte Wolf gang Gurlitt die Leitung zurück; jedoch nahm das Institut den Namen seines Gründers in den Titel auf. Nach Sicherung dieses Grundstockes von achtzig Wer ken war es sinnvoll, den Ausbau der Schausammlung weiterzuführen, die in den wenigen zurückliegenden Jah ren verdoppelt werden konnte. Ebenso wurde die Graphik sammlung erweitert; sie enthält heute 751 Blatt. Ihr ist das Kubin-Kabinett angeschlossen, das Aquarelle, Zeichnungen und das druck- und buchgraphische Schaffen Kubins mit 513 Nummern erhält. Die Sammlung, die vor allem deutsche Künstler enthielt, wurde mit österreichischen Kunstwerken abgerundet. Emp findliche Lücken wurden zunächst mit Leihgaben aus der österreichischen Galerie in Wien und aus Privatbesitz ge schlossen. Das Bundesministerium für Unterricht half mit Subventionen, eine größere Stiftung zeitgenössischer Kunst kam vom Kulturring der Wirtschaft Oberösterreichs. Noch ist dos Ziel, ein möglichst geschlossenes Bild der „Malerei und Zeichenkunst des mitteleuropäischen Raumes im 19. und 20. Jahrhundert" zu geben, nicht erreicht. Der Gang der Entwicklung läßt sich jedoch, wenn man die Graphiksammlung mitberücksichtigt, schon heute deutlich ablesen. Charakteristisch für die Gurlitt-Sammlung, die mit großer Kennerschaft zusammengetragen wurde, ist das Vorherrschen des kleinen und mittleren Bildformates. Das „repräsentative Museumsbild", vom Museumsleiter oft als „Galerieschinken" gefürchtet, fehlt ganz. Jedes Werk trägt die typischen Züge der Hand des Autors, die sidi im ersten lebensvollen Entwurf oft reizvoller ausdrückt, als im fer tigen Großformat. Die Sammlung beginnt mit der Romantik und führt bis in die jüngste Gegenwart. Caspar David Friedrich, Carl Gustav Carus, Ferdinand Waldmüller, Anselm Feuerbach, Louis Gurlitt, Oswald Achenbach, Hans Makart, Max Klin ger, Franz v. Lenbach, Arnold Böcklin, Hans Thoma, Karl Schuch, Anton Faistauer, Max SIevogt, Wilhelm v. Uhde, Walter Leistikow, Gustav Klimt, Herbert Boeckl, Willy Bau meister und Ernst Wilhelm Nay — um nur einige der wich tigsten Namen zu nennen — sind mit charakteristischen Werken vertreten, darunter bedeutende Hauptstücke. In größeren Kollektionen erscheinen Anton Romoko, Wilhelm Trübner, Max Liebermann, Lovis Corinth. Von Öskar Ko koschka gibt es fünf Gemälde, darunter „Die Freunde", ein Hauptwerk von 1917/18. Sie zählen zu den Glanz stücken des Expressionismus, der mit Egon Schiele, Paula Modersohn-Becker, Emil Nolde, Max Pechstein, Otto Mül ler, Karl Hofer, Wilhelm Thöny, Anton Kolig, Werner Scholz u. a. eindrucksvoll dargestellt wird. Die jüngeren zeitgenössischen Künstler schließen sich an. Die Plastiksammlung enthält bis jetzt nur wenige Werke österreichischer Künstler. Ihr Ausbau muß zugunsten der Gemäldesammlung zunächst noch zurückgestellt werden. Von vornherein wurde angenommen, daß die Schau sammlung allein das Interesse der Bevölkerung an dem neuen Institut nicht würde wachhalten können. Deshalb wurde die Abteilung für wechselnde Ausstellungen einge richtet, die das zeitgenössische Kunstschaffen im inter nationalen Maßstabe darzubringen hatte. Noch vor der Eröffnung der Schausammlung begann diese Abteilung im Jahre 1947 mit einer Ausstellung des Lebenswerkes Alfred Kubins. Seither wurden über hundert Ausstellungen durch geführt, darunter bedeutende Veranstaltungen mit Leih gaben europäischer Institute und Privatsammlungen. Zu den Ausstellungen wurden Kataloge herausgegeben oder übernommen. Als Anschauungsmaterial für Schulen und Volkshoch schulen wurden Lehrausstellungen mit Reproduktionen auf gebaut, die über die Stadt hinaus durch einige Bundes länder wanderten und in das Ausland verliehen werden konnten. Eine Reproduktionsgalerie stellt bildmäßig gerahmte erstrangige Reproduktionen dem Publikum im Leihverkehr zur Verfügung. Hier wurden besonders solche Kunstwerke ausgewählt, die in der eigenen Sammlung und der anderer Institute unseres Landes fehlen und die im Original wohl kaum jemals nach Osterreich kommen werden, es sei denn bei gelegentlichen Ausstellungen. Die Galerie steht mit 80 in- und ausländischen Instituten im Katalog-Austausch und konnte eine umfangreiche Katalog-Sammlung mit zum Teil bedeutenden Publikationen anlegen. Eine Plakat-Sammlung schließt sich an, und in jüngster Zeit wurde mit einer Sammlung „Die gute Form" begonnen. Die Leitung des Institutes glaubt, mit der Schau-Samm lung, den angeschlossenen Abteilungen und einem Vor trags- und Führungswesen die Aufgaben in einer jungen, wachsenden Großstadt erfüllen und als Bildungsinstitut wirken zu können.

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