Christliche Kunstblätter, 96. Jg., 1958, Heft 4

BERICHTE Dr. Leonhard Küppers, Düsseldorf Zur Kandinsky-Ausste11ung in Köln Was da an Kandinsky-Gemölden zu einer Gesamtschau im Wallraf-Richartz-Museum in Köln zusammengetragen wurde — als Leihgabe von Frau Nina Kandinsky in Paris, des Stedeliik-Museums in Amsterdam, des Krefelder Kai ser-Wilhelm-Museums und der Münchener Städtischen Ga lerie —, offenbart Wassily Kandinsky sowohl in seiner einmaligen Eigenartigkeit wie in seinem Entwicklungsgang. Vor allem aber, in allen seinen Bildern — und jedes ein zelne wäre mit Andacht zu betrachten — beweist er sich als Russe, dem die Erde, so wie sie a I I e zu sehen ver mögen, nicht die eigentliche Wirklichkeit ist. Nirgendwo erinnert da etwas im Formalen an Ikonen, und doch ist keines der Bilder zu verstehen ohne die Ikone der Ost kirche, ohne dos Aufgehobensein aller irdischen Schwere, ohne den Willen zum Durchstoß in die körperlose, reinere Welt, ohne den musikalischen Klang des Unvergänglichen und Ewigen. In seinem im Jahre 1910 erschienenen Buch „Ober das Geistige in der Kunst" hat Kandinsky den Ver such gemacht, auch im Wort auszusagen, worum es ihm und seinen Freunden, den Mitgliedern des im Jahre 1911 in München gegründeten „Blauen Reiter", ging. Es galt, wie es Werner Haftmann in „Malerei im 20. Jahrhundert" schreibt, nunmehr in der Kunst alle Erscheinungsformen des Materiellen aufzuspüren und zu bekämpfen. Mittel zu diesem Ziel war für Kandinsky vor ollem die Farbe, und zwar in ihrer Eigenwertigkeit und symbolstarken Funktion. In dieser Hinsicht ist er allerdings nicht erstmalig originell; denn er kannte die Malerei eines Matisse, der die „Farbe von ihrer Funktion der Gegenstandsbezeichnung befreit und ihr spirituelle Bedeutung gegeben hatte". Er kannte auch Picasso, der ein Gleiches an der Form vorgeführt hatte. Aber Kandinsky, der bei diesen Meistern „Weisun gen auf ein großes Ziel" sah, ging konsequent weiter, wenn er schrieb „Die Farben- und Formenharmonie muß allein auf dem Prinzip der zweckmäßigen Berührung der menschlichen Seele ruhen." Um den „inneren Klang der Dinge" ging es Kandinsky. Er „vibriere als Erlebnis in der menschlichen Seele" und müsse in der Malerei anschaubar gemacht werden, ohne Trübung durch gegenständliche und metaphorische Bilder. Es sollten „die Schwingungen der Seele an die Oberfläche gehoben und sichtbar gemacht werden in der Weise, wie die Musik diese Schwingungen als reine Klänge hörbar macht. Der Künstler ist frei zu allem, auch frei dazu, die Bilder der Natur gänzlich zu verlassen und sich allein dem Ausdrucksvermögen der reinen farbigen Formen anzuvertrauen" (Haftmann). Es ist interessant, in Köln an einigen Bildern zu sehen, wie sehr Kandinsky zunächst noch weit von den ganz „abstrakten Sprachmöglichkeiten der Farbe, von ihren den Klängen der Musik entsprechenden psychologischen Wirkungen" entfernt war. „Alte Stadt" aus dem Jahre 1902 und „Straße in Murnau" aus dem Jahre 1908 verraten zwar durchaus bereits „Weisungen auf ein großes Ziel", aber erst die „Improvisation 14" aus dem Jahre 1910 bedeutet hier einen klarer fühlbaren Durchstoß zum Abstrakten. Von diesem Bild her möchte man bereits die Berechtigung ab leiten, Wassily Kandinsky als den tatsächlich ersten der abstrakten Maler zu bezeichnen; denn was andern damals vage zufiel, das „arbeitete Kandinsky mit klarstem Be wußtsein und in gleichzeitigem Besitz einer tiefen Intuition und einer scharfen bildnerischen Intelligenz als festen gei stigen Besitz aus" (Haftmann). Zugute kam ihm dabei die bereits erwähnte Tatsache, daß er Russe war, daß er mehr als andere die Gabe zum Visionären besaß, daß er in der russischen Mystik und in der Welt der Ikonen lebte, in der Welt also, in der Ekstasen und das Erglühen im Glauben Leben und Frömmigkeit auf eine einzigartige Weise be stimmen. Wie der tatsächlich gläubige Russe mehr im Him mel als auf der Erde lebt, wie er sich schon hier und jetzt im „himmlischen Jerusalem" beheimatet glaubt, so haben auch in Kandinskys Bildern die Dinge keine irdische Schwere mehr. Sie sind transparent geworden und ver lieren alle irdische Kraft und Gewißheit. In den Kölner Bildern bis 1908 spürt man deutlich das Ringen um die Sprachmächtigkeit der Farbe, aber irgendwo sind es zu nächst noch der Spätimpresssionismus der Franzosen oder van Gogh oder Signoc, die ihren Einfluß geltend machen. Nach einem Umweg über die „Fauves" und der Rückkehr aus Frankreich über Berlin nach München fand sich Kan dinsky im eigentlichen zu seinem Ursprung zurück. Von nun an tritt das Symbolische richtungweisend in seinen Werken auf, das Symbolstarke der Farben, und seit 1910 ist ihm das „rein Abstrakte der weitest mögliche Fall". Dieser „weitest mögliche Fall" bestimmt in der Hauptsache die Kölner Kandinsky-Ausstellung. Da sind die hervor ragenden und auch wohl durch nichts überholten Bilder des zweiten Raumes in der Ausstellung. Sie eröffnen den Reigen aller andern „Abstrakta" in den übrigen Räumen, aber sie werden durch kein anderes Bild in den Schatten gestellt. Unter ihnen ragt besonders dos „Bild mit rotem Fleck" aus dem Jahre 1914 hervor, das 1926 auf der In ternationalen Kunstausstellung in Dresden gezeigt wurde. Schon die jeweilige vom Meister stammende Bezeichnung der 100 ausgestellten Bilder in Köln läßt Kandinskys Wille und Weg zum Abstrakten eindeutig erkennen, einen Weg, der über jedwede Musikalität und Symbolik der Farben zugleich auch so ziemlich olle Stufen der Selbstverwirk lichung eines großen Künstlers erkennen läßt. Diese Köl ner Ausstellung zwingt nicht nur zur Bewunderung, sie er greift auch, nicht zuletzt eben als Bekenntnis. Man möchte sie gerne vielen der sogenannten Abstrakten von heute empfehlen, die im Formalen erstarren oder glauben, vom bloßen Intellekt her schon überzeugende Kunst machen zu können. Die Ausstellung war vom 25. September bis zum 30. November 1956 geöMnel.

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