Christliche Kunstblätter, 96. Jg., 1958, Heft 4

bezeichnete, so gilt dies in erhöhtem Maße von der Filmkunst. Die besonderen Vorzüge des Films liegen in der Großaufnahme und in der Einbeziehung des Milieus zum mitgestaltenden Faktor. Durch die Großaufnahme wurde der Film zum Ent decker des bewegten menschlichen Gesichtes. Die Leistung eines Bühnendarstellers mag in seiner Mimik noch so gewaltig sein, sie wird durch die Entfernung von den meisten Zuschauern doch nicht wahrgenom men. Der Malerei und der Plastik gelingt es zwar dank ihrer Gestaltungskraft dem Augenblick in einem menschlichen Gesichtsausdruck Dauer zu verleihen. Sie versuchen in einem einzigen Ausdruck den ganzen Charakter des Menschen kundzutun. Der Film ist nicht an den Augenblick gebunden, er kann Ablauf, Stim mungen, NA/echsel und Entwicklung eines Menschen in dessen Gesichtsausdruck zeigen. Was hier der Film zu leisten vermag, zeigen die großen Stummfilmstars, wie Charlie Chaplin, Greta Garbo, Emil Jonnings oder die Folconetti. Film ist weiterhin Lichtspiel und Kunst der Milieu erfassung. Der Darsteller spielt im Film nicht in belie bigen Räumen, sondern der äußere Raum wird zum Ausdruck seiner inneren Haltung. Das Milieu, Licht und Schatten werden zu eigenen, tiefergreifenden Aus sagen, die in einer einzigen Einstellung oft mehr aus zudrücken vermögen, als der Darsteller in vielen Worten. Denken wir hier an Filme, wie: „Der dritte Mann", „Verbotene Spiele", „O Cancoreiro", „Die Mausefalle". Im Vergleich mit der Malerei liegt aber der ent scheidende Unterschied des Films darin: Film ist Kunst des bewegten Bildes. Ja der Film ist sogar die äußerste Verwirklichung des Bewegungs motivs, mit dem sich die Kunst seit jeher beschäftigte. Er ist nicht nur dos Abbild von Bewegungen, sondern er trägt durch die Führung der Kamera ein neues Be wegungselement in die Welt der Dinge hinein und erreicht so eine Möglichkeit der bewegten Gestaltung wie keine andere Kunst. Durch die Montage schließ lich, d. h. durch die sinnvolle Aneinanderreihung der einzelnen Bilder, lassen sich innere Erlebnisvorgänge, ungebunden von Raum und Zeit transparent machen. Das berühmteste Beispiel hiefür ist die Treppenszene aus dem „Panzerkreuzer Potemkin" von Eisensteini. Als 1928 die ersten Tonfilme aufkamen, betrach teten dies viele Regisseure des Stummfilms als einen Abstieg des Films. Dies gilt ohne Zweifel bezüglich des vorhin erwähnten geschichtenerzählenden Films, dessen Stärke nur im Dialog liegt, nicht ober für den künstlerischen Tonfilm, der seine akustischen Mittel richtig und sparsam einzusetzen versteht. Ja, der Ton film vermag sogar Sprache, Musik und Geräusch als eigene Funktionen dem Bild entgegenzusetzen und sich damit dem Gesamtkunstwerk in gewissen Grenzen zu näherm Gerade die dramatischen Stumm filme litten ja darunter, daß man den ganzen Hand lungsablauf kaum völlig in Bilder übersetzen konnte und sich in den meisten Fällen ein kurzer Dialog in Form von Zwischentexten als unvermeidlich erwies. Dies wirkte natürlich störend. Der Tonfilm vermag den Dialog als mitgestaltendes Element einzusetzen, erliegt aber mitunter der Ver suchung einer öberbetonung des Wortes. Der Film wird dann zum Drama bzw. zur Philosophievorlesung, z. B. „Der fallende Stern", „Geschlossene Gesell schaft". Die Musik kann mitgestalten (z. B. die eigenwillige Zithermusik in „Der dritte Mann"), sie kann aber auch Träger einer eigenen Aussage werden (z. B. die Trompetenmelodie in „La strada"). Sogar das Ge räusch kann eine eigene Funktion besitzen. So läßt Chaplin, um die Hohlheit großer Reden anzupran gern, folgende Szene spielen: während auf dem Bild würdige Redner mit Frack und Zylinder sichtbar sind, ertönt aus ihrem Mund nur klägliches Hundegebell. Der richtige Einsatz des Tones wird für einen modernen Regisseur immer Prüfstein seines Könnens sein. Die Geschichte der Filmkunst beweist, daß die gelungensten Filme die stillsten waren. ♦ Wir haben nun einige filmische Elemente und Aus drucksmittel erörtert. Und wir sind damit vielleicht zur Überzeugung gelangt, daß auch der Film künst lerische Elemente und Ausdrucksmittel besitzt. Vieles an ihm ist natürlich nur billige Sensation, bequeme Unterhaltung, Posse und Roman. Und vieles ist noch unousgereift. Wir stehen schließlich erst am Anfang seiner Entwicklung. So gilt auch für den Film, daß er sich der in ihm selbst liegenden Gesetzlichkeiten be wußt werden muß, um seinen Platz im Gefüge der gesamten Kunst auszufüllen. Technische Vervollkomm nung und Geschicklichkeit allein werden ihn nie in den Rang eines Kunstwerkes erheben. Umgekehrt darf er sich aber auch nicht, wie der deutsche Problemfilm, in geistvolle Spekulationen verlieren und auszudrücken versuchen, wozu seine Mittel nicht aus reichen. Durch Jahrhunderte hindurch ist die Kultur des Abendlandes vom Begriff, vom Wort und vom Buch geprägt worden. Diese Kultur des Wortes hat Großes und Unersetzliches geschaffen. Jeder Mensch ist aber auch voll von Erlebnissen, die nicht durch Worte, sondern nur durch Bilder, durch dos Spiel seines Ge sichtes, durch seine Bewegungen ausgedrückt werden können. Vielleicht ist das Auftreten des Films und sein schneller Erfolg Ausdruck einer tiefen Wandlung; Hinweis für das Aufkommen einer neuen Kultur, einer Kultur des Bildes. Vorirog, gehalten auf den Katholischen Hochschulwochen in Ort bei Gmunden, Sommer 1958.

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