Christliche Kunstblätter, 96. Jg., 1958, Heft 4

um sich kreisen; sie scheint ein sich drehendes, nach oben weisendes Lichtkreuz. Alle Dreiecksformen be wegen sich kreisend, fließen in dunkelblauen und hell blauen Dreiecken hin — Blau ist die Farbe des Glau bens, kündet von der Nacht des Glaubens und dem Tag des Glaubens — und umkreisen die Pyramide des Lichtes. Ein Bild der Heimholung der Schöpfung ist das Ge mälde „Domchor zu Holle". Die Kreuzstruktur teilt als Senkrechte das Bild durch die Bildmitte, als Waage rechte durch den Fuß des Dachstuhles. Die Dreieck struktur beherrscht die Bilddiagonalen, auf der einen Seite die sich türmenden Bauten, auf der anderen Seite die sich senkenden und aufschwebenden großen Licht kristalle. Das Licht ergießt sich in das große Oval der Kreisstruktur, das sich schalengleich von den nie drigen Häusern neben dem Domchor durch das kleine Rundfenster des hohen Giebelhauses bis zur Spitze des Chordaches dem Lichte öffnet. In breiten Bahnen strömt das Licht zum Dom herab und spiegelt sich durch viele Stufen des zarten Blau, sonnengolden bis in die Tiefe strahlend. So wird der Domchor zum über quellenden Gefäß, das auf Erden den Himmel um schließt. Alle Farben und Formen ober scheinen zu zerbröckeln. Der Dom ist fast eine Ruine, die Menschenhöuser sind leer. Nur noch Spuren der Farb kristalle bleiben. Alles Irdische gibt sich hin. Und diese Hingabe geschieht in zartester, festester, vom Licht ge führter Ordnung. Die Vision ist gestaltet. Es ist die Vision der ver klärten Welt. Sie ist in den Entsprechungen, irf Sinn bildern gestaltet, die hinweisen auf die Vision. Nur in immer erneuerter Rückbesinnung auf die Vision und, wenn es die Gnade will, in dem erneuerten Auf tauchen der Vision erkennt der Künstler, ob das Werk gelungen ist, ob es eine Entsprechung des innerlich Geschauten ist. Das Bild der verklärten Welt, aus Sininbildern ge fügt, ist der Ausdruck einer wiederhergestellten und erhöhten Schöpfung. Das Bild strahlt dann die Ruhe der Verklärung aus. „Letzte Form kann nur durch die vollkommene Ruhe im Bilde erreicht werden", sogt Lyonel Feininger. In dieser Ruhe werden auch die Sinnbilder verklärt und erhöht. Die Vielheit der Sinnbilder wird eine Ganzheit und Einheit. Dieses Eins nennen wir „Symbol" mit dem alten Wort, das vom Leben in der Idee aus die Verwirklichung der Idee bezeichnet, die Verwirk lichung der rein geistigen Wirklichkeit in einem ihr entsprechenden, äußerlich wahrnehmbaren Werk. Die Sinnbilder können nur erkannt und gestaltet werden, wenn das Symbol als ein inneres Ergriffensein erfah ren wurde. So ist das Bild von außen nach innen gebildet und betrachtet: Sinnbild, von innen nach außen sich bildend und betrachtet: Symbol. Die Sinn bilder sind vom Symbol durchdrungen, dos Symbol ist von den Sinnbildern umhüllt. Wegen dieses Zu sammenhanges von Symbol und Sinnbild werden die Sinnbilder oft auch Symbole genannt. Doch ist dies nur angemessen, wenn das Symbol, also die innere Wirklichkeit, nicht nur das Sinnbild, tatsächlich inner lich erlebt und gelebt wurde; sonst ziemt es sich, nur vom Sinnbild zu reden. Die Sinnbilder vermögen Inhalt und Gestalt des Bildes zum Symbol zu führen, wenn der Künstler, der das Sinnbild gestaltet, vor seinem Schaffen das Symbol und die Einheit mit dem Symbol erfahren hatte. Das Symbol, nicht im Außen bild, sondern im Inbild lebend, führt das Bild zum Inbild, zum Abglanz des Urbildes, das die göttliche Idee ist, der wir Menschen nur mit liebendem Erken nen zu nahen vermögen. Die Verklärung der Welt ist die göttliche Idee der Schöpfung, das Urbild der Schöpfung. Lyonel Feininger reicht uns die Verkün digung der göttlichen Idee als das heimliche Symbol seiner Bilder dar.

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