Christliche Kunstblätter, 96. Jg., 1958, Heft 4

Lebens die Segel bewegt und das irdische Leben zum göttlichen Lichte treibt. Fast alle Bilder Lyonel Feiningers zerbrechen — sinn bildhaft — nach Inhalt und Gestalt. Das irdische Werden muß zerbrechen, damit das überirdische Sein wirkend werde. All die zerbrechenden gegenständ lichen und ungegenständlichen Gestalten aber sind im Bilde zu einer Ganzheit und Einheit gefügt. Jedes Bild ist eine „Fuge" im Sinne der Musik; die Töne und Akkorde fliehen einander — fliehen in eine gemein same Ruhe. Es erklingt stets ein „Fluchtgesang", der zugleich ein Klagelied und ein Lobpreis ist. Aus den Bildern der Schatten und Dunkelheiten der frühen Jahrzehnte hebt sich bald der über Schmerz und Ver zicht schwebende Jubel der sich ins Reine wendenden und jubilierenden Farben als eine Lichtsinfonie. Mit Recht wird Feiningers Malerei gern Musik in Farbformen genannt. Feininger war von Natur durch Begabung und Erziehung Musiker und Komponist. Seine Bilder sind in der Tat eine ins Bild umgesetzte Musik und doch ganz Malerei. Da die Musik eine un gegenständliche Kunst ist, kam von der Musik aus eine Befreiung in den gegenständlichen Zwang der Malerei. Und es kam zugleich in die Malerei die be wußte Unterordnung des Bildes in die Notwendigkeit einer Komposition, nun einer malerischen Komposition. Es gehört zu den wesentlichen Anliegen der neuen Kunst des 20. Jahrhunderts, die seit mehr als einem Jahrhundert verschüttete Kompositionslehre der Ma lerei wieder zu erwecken. Hier steht auch Feiningers Schaffen in der ersten Reihe der schöpferischen Meister. Die Maler des „Blauen Reiters", des „Sturm" und des Bauhauses waren nicht nur Maler, sondern auch Forscher und Entdecker. Unsere Ateliers und Werk stätten glichen Laboratorien. Wir „fingen von vorn an"; keineswegs zügellos, sondern mit dem Mühen um Exaktheit, suchten die Kompositionsergebnisse von den alten Chinesen bis zu Cezanne, erforschten in Experi menten und Untersuchungen die malerischen Materi alien und ihre Möglichkeiten, übten uns in „Gleich gewichtsübungen" des Gestaltens, stets auch verbun den mit eigenem körperlichen und ethischen Verhal ten — dos Verhältnis zwischen Notwendigkeit und Freiheit zu erkennen. Erkenntnis war unser erstes Ziel, und das Schaffen war meist nur eine Hoffnung, aller dings auch mit Zuversicht. Also suchten wir dem Ur sprung des Schöpferischen uns zu verbinden und ihm zu dienen. Daher konnte auch Feininger sagen: „Ich bin kein Allerneuester, sondern ein Mensch, der mit seiner Zeit brechen muß, um leben zu können. Mag ich dabei auch hinter der Zeit bleiben, was schert's mich! Die einzig bestehenden kulturellen und künst lerischen Reingedanken sind von Urzeiten her, und moderne Gehirne können sie niemals formuliert haben." Vor solcher Erkenntnis werden alle „Ismen" über flüssige Schlagworte. Wir wußten, daß jeder Stil die schöpferische Möglichkeit umschließt und jede Über betonung des „Stils" die schöpferische Kraft drosselt. Das Schöpferische ist Eigenheit der Person und nicht einer Zeit. Lyonel Feininger hat es niedergeschrieben: „Es gibt nur eine Kunst — die zeitlose Kunst. Alles, was auf halbem Wege zur letztgültigen Form und Vertiefung stehen bleibt, muß sich überleben. Denn die Seele, die die eigene unendliche Not erkannt hat, kann nicht mehr mit weniger als dem Letzten, Höch sten oder Tiefsten sich abspeisen lassen." Nur eine solche Kunst kann über die Gebrechlichkeit und Ein seitigkeit der Zeit hinweghelfen. Auch Lyonel Feininger erstrebte im Bild die Ganz heit und Einheit des geistigen Lebens sinnenfällig und sinnbildhaft auszudrücken. Das ist möglich durch eine Ordnung des Ganzen und Einen, in dem ein jedes Einzelne im Dienste des Ganzen zu einer höchstmög lichen Entfaltung kommt, dieses Eine ausdrückt und den Blick auf die Versöhnung oller Unterschiede und Gegensätze richtet. Dieses Ziel, im Ethischen und Theo logischen „Liebe" genannt, ist der Sinn der Erkenntnis, der als Sinn des Sinnbildes Bild sichtbar wird. Die Ordnung der Gestalten im Bild will und kann das Gesetz sichtbar machen, wie das Bild nicht ohne diese Ordnung gestaltet wird. Die Ordnung wird durch die Kompositionsstruktur des Bildes sichtbar. Sie ist eine dreifache Struktur, aus drei Struktur elementen gefügt: der Kreuzstruktur, der Dreieckstruk tur, der Kreisstruktur. Die Kreuzstruktur ergibt den Zu sammenschluß der Polaritäten, die Dreieckstruktur das Zueinander und Ineinander der Einzelwerte, die Kreis struktur die konzentrische und exzentrische Bewegung des Ganzen zu einer Einheit. Diese dreifache Struk tur läßt alle schöpferischen Möglichkeiten der rhyth misch-harmonischen Farbformgestalt offen und macht sie erst möglich. Das Erkennen der dreifachen Struktur im Bild gibt auch dem Betrachter die Mög lichkeit, im Sinnbild den Sinn zu erkennen, nicht nur mit dem Verstand einzusehen, sondern auch mit den Imaginationskräften anzuschauen und sich den Intui tionskräften zu verbinden und so die Kräfte der In spiration als einen Anhauch der Schöpferkraft, als ein Wort aus dem ewigen Wort zu vernehmen. Denn der Ursprung des Bildes ist das Schöpfungswort. Ein Schöpfungsbild des Lichtes, also der begnadeten Schöpfung ist dos Gemälde „Segelpyramide", über der Mitte der liegenden diagonalen Kreuzstruktur schwebt die Lichtpyramide der Segel und richtet das liegende Kreuz optisch auf. Zwingend leuchtet dos Dreieck der Segel — das Dreieck ist Formsinnbild des Verkündigens — aus dem schmalen liegenden Dreieck der nachtdunklen Flut und der blau strömen den Dreieckstruktur des Himmels, durchleuchtet die seitlich aufsteigende dunkle Wolke und zeigt den Sieg des Lichtes. Die Kreisstruktur läßt die Segelpyramide

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