Christliche Kunstblätter, 96. Jg., 1958, Heft 4

Schmerzen der werdenden Erkenntnis bis zu der Sicherheit und Freiheit der Gestalten, in denen er die Geheimnisse der Erkenntnis darreicht. Mit den kunsthistorischen und kunstwissenschaft lichen Begriffen und Einordnungen — etwa Expres sionismus, Kubismus, abstrakte Kunst, Surrealismus — kommen wir dem Werk Feiningers nur in einer äußer lichen und daher unzureichenden Weise nahe, miß verstehen es also, wenn wir uns mit solchen Einord nungen „zufrieden" geben. Der Frieden — ein wirk licher Frieden —, den Feiningers Hauptwerke tatsäch lich ausstrahlen und geben, ist keine Verstandes beruhigung oder Gefühlsberuhigung, sondern ist ein Frieden, „den die Welt nicht kennt". Es ist ein Frieden, der nur im seelisch-geistigen Bewußtsein lebt. Daher leben Lyonel Feiningers Bilder, obwohl sie der äuße ren Welt angehören, fast außerhalb der äußeren Welt und gehören der inneren Welt eines seelisch-geistigen Erkennens an, das sich auch nur einem seelisch geistigen Erkennen mitteilt. Die geistige Revolution, der Lyonel Feininger dient, wälzt die sichtbare Naturerscheinung zurück bis in ihren Ursprung, erkennt sie von dort aus neu, baut aber nun im Bild nicht ein Abbild des äußeren Natur gebildes wieder auf, sondern schafft ein neues Ge bilde, das wir ein Gebilde der „Kunst" nennen. Das Wort Kunst im Sinne der Kunstgeschichte und Kunst wissenschaft reicht aber nicht aus, den schöpferischen Akt und dos Werk Feiningers — und der Schöpfe rischen seiner Generation — zu bezeichnen. Mit Recht hat Feininger niedergeschrieben: „Ich male nicht, um Kunst zu schaffen." Es geht Feininger vielmehr um die Erkenntnisse der schöpferischen Vorgänge und um die lebendige Teilnahme am schöpferischen Vorgang. Wenn Lyonel Feininger sich für die Bilder, die er malt, viele zeichnerische und malerische Notizen macht, so sind dies keine Skizzen im Sinne des male rischen Impressionismus, die selbst schon Bilder im Sinne des Impressionismus sind, sondern es sind Unter suchungen der Naturerscheinung, nicht in der Ab sicht, ein Abbild der Naturerscheinung, etwa einer Stadt, oder den optisch-visuellen Eindruck einer Land schaft wiederzugeben. Es ist vielmehr das Mühen, das Nicht-Sichtbare im Sichtbaren zu erkennen und das Nicht-Sichtbare in Entsprechungen sichtbar zu gestal ten. Als Lyonel Feininger nach Amerika übersiedelte, konnte er Mappen mit vielen solcher zeichnerischer und malerischer Notizen mitnehmen als kostbare Aus beute seiner langen Jahre in Deutschland, die nun in Amerika überreiche Früchte brachten. Es wäre irrig, in diesen zeichnerischen und malerischen Notizen einer Landschaft, einer Kirche, eines Meeresgestades ein „Abstrahieren" vom Naturgebilde zu sehen — der weitverbreitete Irrtum über das Wesen der „abstrak ten Kunst". Es handelt sich vielmehr um die ersten Mühen und ersten Erfolge einer Konzentration auf das Naturgebilde. Und hier begegnet sich dann schon die innere und äußere Möglichkeit, — möglicherweise eir> Gebilde der Kunst zu schaffen. Das schöpferische Werk, das Bild, hat einen äuße ren Anlaß und eine innere Wirkursache. Der äußere Anlaß ist das Naturgebilde oder eine bestimmte, ge stalthafte Vorstellung. Die innere Wirkursache ist ein komplizierter seelischer Vorgang des schöpferischen Willens. Sowohl der äußere Anlaß wie die innere Wirkursache zielen auf ein Erkennen ab, auf ein Er kennen des schöpferischen Vorgangs und seines Wer kes. Die Wirkursache bewegt sich durch drei Stufen auf das Erkennen des Naturgebildes hin. Die erste Stufe ist die Inspiration. Der Maler wird durch den äußeren Anblick, etwa einer Brücke, innerlich inspi riert. Dieser Vorgang ist tatsächlich ein „Anhauchen" und „Einhauchen" mit der schöpferischen Kraft, die dem Menschen als Ebenbild Gottes eigen ist. Fast zugleich tritt eine „Imagination" eir», nämlich eine innere Bilderscheinung, und zwar etwa im Falle der Brücke ein Schauen der „Brücke an sich". Und zu gleich erwacht eine „Intuition", eine seelisch-geistige Einfühlung in die inspirierte und inspirierende Ima gination. Von dieser Wirkursache aus wird das Un sichtbare im Sichtbaren des äußeren Gebildes Brücke innerlich erkannt, und im Bilde der gemalten Brücke wird dann durch gestalthafte Entsprechungen sichtbar auf das Unsichtbare hingewiesen. So geschieht es auch mit dem Maler Lyonel Fei ninger und seinem Malen. Der Weltbürger Lyonel Feininger, diesseits und jen seits des Ozeans auf der Erde irdisch beheimatet und ein Glied der weltumspannenden christlichen Kirche, deren Mysterien so tief in sein Leben hineinleuchteten, daß seine Werke Zeugen und Wegweiser nach dem Kreuzweg zur christlichen Mystik sind, obwohl er kein der Liturgie dienendes Werk schuf und keim Thema aus dem Evangelium malte, lebte in der christlichen Welterkenntnis. Seine Kunst ist ars naturaliter Chri stiane und zeigt die umfassende Weltschau einer anima naturaliter Christiane, die aus der Kraft der Taufgnade schaffen darf und durch sie die geschöpf liche Welt als die Schöpfungswelt Gottes erkennt. Wenn wir versuchen diesem Schaffensweg nachzu gehen, den Lyonel Feininger mit den entscheidenden Künstlern der Kunstwende, die seine Zeitgenossen, Miterkennende und Mitschaffende waren, geteilt hat, so vermag uns der Weg deutlich zu werden durch die Erkenntnisse der christlichen Bildtheologie vom Bild schaffen. Die Bildtheologie beruht auf Augustinus und seiner christlichen Wendung aus dem Neuplatonismus und entfaltet sich über die Scholastik, vor allem Bonaventura, bis Johannes vom Kreuz. Die Initiatoren des „Blauen Reiters", Franz Marc und Kandinsky, manche Künstler aus dem Kreis des „Sturm" und Meister des Staatlichen Bauhauses Weimar vertieften

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