Christliche Kunstblätter, 96. Jg., 1958, Heft 4

Ernst Ludwig Kirchner wurde der Alpenmaler seiner Poesie und Steigerung ins Phantasiehafte erinnern an Generation — einzig Kokoschka steht ihm auf öster- die alten deutschen Meister, an Elsheimer, Altdorfer reichischer Seite gegenüber — und schließt sich der Reihe der großen Alpenlandschaftsmaler an, die von Hodler, Segantini, Calame bis zu J. A. Koch zurück führt. Wärme und Innigkeit des Naturgefühls voller und Wolf Huber. Die Werke Ernst Ludwig Kirchners aber künden in unserer Zeit freudige Hymnen für die ganze Erde. Curt Grützmacher, München Die „Chassidische Botschaft" im Werk Marc Chagalls .Ich will nur das Verhälfnis zu Golf und zur Welt miffeilen, das diese Menschen meinten, wollten und zu leben versuchten.' (Martin Buber) I / jer noch einer echten Existenzform des mystisehen, legendären Daseins innerhalb der modernen Malerei fragt, dem wird die Bildwelt Marc Chagalls zur Antwort werden. In der einzigartigen Kunst des russischen Juden wird die unergründliche Macht einer höheren Dimension fühlbar, die das ein zelne Bildobjekt zum Symbol zu wandeln vermag. Symbole entstehen immer nur da, wo sich diese Dimension mit der Sphäre des Profanen berührt. So entstehen sie auch bei Chagall, im „Erzählen schlich ter, aber das Persönlichste aufrufender Geschichten und Gleichnisse", die den „Bund von Geist und Natur bekunden, durch den es eben möglich wird, daß Bilder als Sinnbilder, das heißt als in der Natur selber sich ausprägender Geist, wirken". Hier wird der „Gegenstand der Betrachtung" zum vielwertigen Zeichen, welches von seiner Mittlerstellung, von den gegenseitigen Beziehungen lebt. Die lebenspendende Kraft der Bildzeichen Marc Chagalls ist die in ihnen sich fortsetzende Tradition der Chassidim (was etwa mit „Holdsinnige" wieder zugeben wäre), jener ostjüdischen Gemeinde, die sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts gebildet hat. Als ihr Gründer wird Rabbi ben Elieser genannt, der den Beinamen „Baal-schem-Tow" führte, was „Mann des guten Namens" heißt. Das ist im doppelten Sinne gemeint: sowohl als Besitzer, als auch im Besitz des Wissens um den Gottesnamen. — Wenn auf einem Bilde Chagalls aus den Jahren 1934—1936 und auf einem von 1944 das Wort „baalche" in halbkreisförmiger Form zu sehen ist, so liegt hier eine direkte Namensnennung vor, — wenn auch in gekürzter oder verstümmelter Form, — die auf die enge Bindung des Malers an seine chassidische Abkunft schließen läßt. Aus dieser persönlichen Bin dung heraus erwächst die Grundlage für Deutungs möglichkeiten seiner rätselhaften Ikonographie. Zu vor ober müssen die grundsätzlichen Wesenszüge des Chassidismus, jener Sonderform der kabbalistischen Lehre, skizziert werden. Gekennzeichnet ist der Chassidismus von einer eigenwilligen Auslegung der späten Kabbala, durch drungen von einem Pansakramentalismus, der in einer ethischen Interpretation?) der sogenannten „Funken theorie" seinen Höhepunkt erreicht. Danach „sind in einer Katastrophe der Urschöpfung Funken der gött lichen Lichtsubstanz in die unteren Welten gesunken und haben die ,Schalen' der Dinge und Wesen erfüllt". Des Menschen Aufgabe ist es nun, diesen Funken der Schöpfung, das göttliche Element, im scheinbar un wesentlichen Ding der Alltagswelt zu entdecken. Es liegt an seinem Verhalten, ob er es vermag, „in dieser niedern Welt, der Welt der Körperlichkeit, das ver borgene Gottesleben aufleuchten zu lassen". Das ist nur durch eine Lebensweise möglich, die ihre Beziehung zum Göttlichen bereits im Irdischen zu realisieren versucht, die ein brüderliches Verhältnis zu Tieren und Dingen zur Voraussetzung des wahren, erfüllten Daseins macht. „Der wirkliche Umgang mit Gott hat an der Welt nicht nur seinen Ort, sondern auch seinen Gegenstand. Gott redet zum Menschen in den Dingen und Wesen, die er ihm ins Leben schickt, der Mensch antwortet durch seine Handlung an eben diesen Dingen und Wesen." Dieses brüderliche Verhältnis zu den Elementen der Umwelt bestimmt und deutet zugleich die oft „un logische" Bildwelt Chagalls, in der Tierhaftes und Dinghaftes gleichwertig neben Menschenformen ge setzt wird. Ebenso wie der untere Bildrand beispiels weise nicht parallel zur Standfläche der dargestellten Menschen verlaufen muß, ebensowenig ist diese Standfläche die allein maßgebliche. Sie könnte jeder zeit abgelöst werden durch die des Wagens oder des Anmerkung; Ober die Efhik des Chassidismus vergl. den Auf satz von H. MARCOLIUS In .Zeifschriff für phllosophisdie For schung', Bd. X, 3.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2