Schaffen dieser älteren Generation nimmt auch die Landschaft im Werk der „BrOcke'-Könstler einen be vorzugten Platz ein. Es sind vornehmlich Ausschnitte der Natur, Parksee, Brücke, Boskett, welche nah gesehen, gleich einem Lehrstoff betrachtet, dargestellt werden in hellen leuchtenden Farben, die ungemischt in kurzen Strichen auf die Leinwand gesetzt werden. Wenn diese Bilder heute neben der erregt züngelnden Farbstruktur des Holländers wesentlich stiller und zurückhaltender erscheinen, so sei bedacht, daß hier Lernende den Pinsel führten und zudem Anregungen der ruhigeren, wissenschaftlich vorgehenden Neoimpressionisten gleichzeitig einwirkten. Auf einem Ge mälde E. L. Kirchners dieser Zeit aber erscheint in lich ten Farben die kreisende Sonne van Goghs. Eigentlicher Bildinhalt bleibt die Landschaft noch 1908, als Kirchner erstmalig die Ostseeinsel Fehmarn aufsucht und in den in Form und Farbe mächtig gestei gerten Bildern einen „monumentalen Impressionismus" entwickelt, wie er selbst später diese Phase im Werk seines Freundes Schmidt-Rottluff nannte. Dabei arbeitet er sich von noch vorhandenen Rücksichten frei und dringt zu wirklich selbständigem Gestalten vor. Die Motive erscheinen nun nicht mehr in Ausschnitten; Bauernhäuser oder das Meer mit Segelbooten werden auf großen Leinwänden und in der ständig begleiten den Graphik kompositioneil bewältigt. Im Jahre 1909 ist der zweite, eigentliche „Brücke"- Stil erreicht, der in wenigen großen Flächen, festen Konturen und flächig aufgetragenen starken Farben kräftige Verspannungen schafft und vornehmlich im Figuren- und Gruppenbild entwickelt wird. Die reine Landschaft tritt zurück, sie wird umgebender Raum der in ihr lebenden Menschen. Seit 1907 fahren Kirch ner und Heckel im Sommer an die Moritzburger Seen, um den nackten Menschen in der freien Natur zu studieren. Der ursprüngliche Zustand der Einordnung des Menschen in die Landschaft, seine freie Zuge hörigkeit wird erlebt und in unzähligen Skizzen fest gehalten und später im Atelier zu Graphik und Bild verdichtet. Diese Studien in der freien Natur werden nach der Übersiedlung der Künstler 1911 nach Berlin von Kirch ner in den Sommermonaten 1912/14 auf Fehmarn fortgesetzt. Hier fließt das Leben ruhig und gleich mäßig. Befreit von dem drängenden Ansturm des lär menden, überzüchteten Berlins erlebt Kirchner die natürliche Einheit von Mensch und Landschaft. In den Arbeiten dieser Sommermonate ist der Mensch wieder Teil der Schöpfung, eingeordnet in den Kosmos, gleich Pflanze und Stein, Welle und Wolke. Die gleiche Intensität, welche das Erlebnis der Großstadt bestimmt, wird fühlbar in der leidenschaftlichen Hingabe an die Natur, an die Gewalt und Weite des Meeres, den sich dehnenden Zug des Strandes und der Dünung. Und inmitten der Mensch, beglückt die Welt ergreifend oder ernst und gemessen ein Teil derselben. Das Leben wird stark und stolz gelebt. Im Gemälde der „Akte am Strand" (1912; Privatbesitz Zürich) leuchtet es in den roten Körpern der Mädchen, hinterfangen vom gestuften Rosa der Dünen, emporwachsend aus dem Grün der Pflanzen und kronengleich überfangen von den Wipfeln der Bäume. In den lichtblauen Kon turen, die nun jedoch splissig geworden an jenen zweiten „Brücke"-Stil erinnern, wird die Beweglichkeit der Akte betont und zugleich in die Flächigkeit des Bildes übergeführt. Das Blau tritt in den Blumen zum Grün der Pflanzen und erklingt noch einmal, beruhi gend, in der Bläue des Himmels. In solchen Bildern spricht der junge gesunde Kirch ner, der frei und sicher seine Mittel gebraucht und die eigene Form gefunden hat, seinem starken Erleben Ausdruck zu geben. Die Formen haben sich geteilt, in Komposition und Pinselführung herrscht das Dreieck. Doch der Künstler wird zurückgerissen in die ge steigerte Unnatur der Großstadt. Der Weltkrieg bricht an, Kirchner wird im März 1915 eingezogen und be reits im November wieder entlassen, da Geist und Körper Irrsinn und Anstrengung solcher Erschütterung nicht gewachsen sind. Eingeliefert in das Sanatorium Dr. Konstamm im Taunus malt er trotz schwerer Krankheit seine ersten Fresken, in welchen noch einmal die Erinnerungen an die glückliche Zeit der Fehmarnaufenthalte bildhaft er stehen. In den Zeichnungen und Graphiken der Tau nuslandschaft von 1916 ober fangen sich in den Bäu men und Wegen die Linien in Kurven und abschließen den Winkeln und geben der starken und verzweifelten seelischen Erregung des Künstlers Ausdruck. Doch der körperliche Zusammenbruch läßt sich nicht aufhalten, im Mai 1917 wird Kirchner als Todkranker, von den Ärzten aufgegeben, auf die Staffelalp bei Davos gebracht. Mit der Übersiedlung in die Schweiz begibt sich die große Zweiteilung in Kirchners Werk. Für den aus dem Lebens- und Schaffensbereich der Großstadt herausgerissenen und in die Stille und Abgeschlossen heit der Schweizer Berge versetzten überempfindsamen Künstler bringen Gegensatz und Wechsel eine uner hörte Gefährdung. Einsam und krank liegt Kirchner in langen Dämmerzuständen, unfähig zur Arbeit, in der engen Blockhütte auf der Staffelalp. Bauern pflegen ihn und sind seine stillen Nachbarn. Durch das kleine Fenster sieht er die gewaltige Bergwelt, deren Macht und Ehrwürdigkeit ihn anrühren. Ein steter Rhythmus bestimmt den Gang aller Dinge und in der Einord nung beginnt die große Ruhe auch auf Kirchner zu wirken. Er sieht den Tag aufsteigen, den Morgen über den Bergen glänzen und die Bauern mit ihrem Vieh an seinem Fenster vorüberziehen. Er spürt die Kraft des glühenden, heißen Mittags und fühlt das beruhigte Sinken des Tages in Nachmittag und Abend bis der
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