Christliche Kunstblätter, 96. Jg., 1958, Heft 4

einige zu nennen. Es sind Variationen zu den beiden großen Themen, die Münch beschäftigt hoben: Leiden schaft und Tod, beide als Geschick begriffen, dem der Mensch ausgeliefert ist. Noch müssen wir der modernen Plastik Erwäh nung tun. Der Stuttgarter Altmeister Alfred Lörcher schmückt den Garten mit einer „Sitzenden" (schwarzer Marmor) und einem „schlafenden Mädchen" (Kera mik), während ausgesuchte Kleinplastiken, die aus den letzten Jahren stammen, auf Tischen und Kommoden im Inneren des Hauses Platz gefunden haben. Unter, ihnen fällt das „Pferderudel" (Bronze) besonders auf. Nicht weit davon sehen wir einen schönen „Reiter" von Marino Morini. — In unmittelbarem Zusammen hang mit der Gemälde- und Graphik-Sammlung ste hen zwei Holzplastiken von Kirchner, das „Fehmarn mädchen" und der „Bauer mit Kuh". Drei Werke repräsentieren Lehmbruck („Büste der großen Knie enden", „Rückblickende", „Kleine Sinnende"), einige Bronzen Barlach („Lesender Mönch", „Begegnung"). Gerade an den Werken dieser beiden Meister mani festiert sich wieder die heimliche Gotik in der moder nen deutschen Kunst. Damit kommen wir nochmals auf das Grundprinzip zurück, nach dem hier gesammelt wurde. Aus der Vergangenheit wurden Werke gesucht, die einer Ver gegenwärtigung fähig waren. Umgekehrt wurden aus der Moderne solche Bilder und Plastiken gesammelt, in denen die große Vergangenheit der abendlän dischen Kunst fortlebt. Nicht modische Gesichtspunkte, sondern persönliche Konsequenz hat entschieden. Es wurde nicht „Modernes um des Modernen willen" gesammelt, sondern bedächtig und zielbewußt, wie es dem Wesen Dr. Fischers entspricht, eine Auswahl ge troffen. Denn dieser Sammler ist kein Extremist, son dern ein Mann der Mitte. Vielleicht kann man nir gends so gut wie in seinem Hause, dem Heim einer glücklichen Familie, erkennen, welch starke humanen Kräfte die Malerei des 20. Jahrhunderts entwickelt hat. Dr. Annemarie Heynig, München Nafur und Landschaff im Werk Ernst Ludwig Kirchners Und wer hat die rediten Hymnen gesungen für die Erde« denn ich bin rasend von verzehrender Lust, freudige Hymnen für die ganze Erde zu singen. /""T ^iese leidenschaftlichen und starken Worte des y großen amerikanischen Dichters Walt Whitman können sinnbildhaft über Leben und Werk Ernst Lud wig Kirchners stehen. Es ist innere Verwandtschaft gleichgestimmten Wesens, wenn sich Kirchner zeit seines Lebens zur Dichtung des Älteren hingezogen fühlt, dieser ihm Trost und Ansporn zugleich gibt und der Lebensentwurf beider in rückhaltloser Hingabe ähnlich kühn, stolz, unbeugsam, in ungeheuren Span nungen und doch voll innerer Empfindsamkeit erklingt und sich erfüllt. Das Lebenswerk des deutschen Malers und Gra phikers, der 1938 verfemt von den Machthabern seines Vaterlandes und einsam in Frauenkirch bei Davos seinem Leben selbst ein Ende setzte, begann erst in den letzten Jahren wieder seinen Weg in die Öffent lichkeit zu nehmen, nachdem es in den Zeiten vor und nach dem ersten Weltkrieg im Mittelpunkt des deut schen Kunstinteresses gestanden hatte. Nun klären sich vor der Vielzahl der Zeichnungen, Graphiken, Gemälde, der Weberei und Plastik die Vorstellungen zu Einsichten in Themen und Probleme, Entwicklung und kunstgeschichtliche Stellung des Künstlers. Den Freunden blieb Ernst Ludwig Kirchner vornehm lich in der Erinnerung als der Chronist des gesteiger ten großstädtischen Lebens in Berlin kurz vor Aus bruch des ersten Weltkrieges und sodann der aus tiefem Erleben berufene Künder schweizerischen Hoch gebirges. Natur und Landschaft im Werk Ernst Ludwig Kirchners zu betrachten, sei hier in kurzer Übersicht zur Aufgabe gestellt. Die Landschaft als Motiv erscheint bereits in jener ersten faßbaren Gruppe von Gemälden und Gra phiken der Jahre 1904—1906. Sie entstanden in der Künstlergemeinschaft „Brücke", welche der 1880 ge borene Ernst Ludwig Kirchner zusammen mit seinen Freunden Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff 1905 in Dresden gründete. Unbefriedigt von der in Realis mus, Idealismus, Naturalismus und Impressionismus befangenen Kunst der Zeit, suchen diese jungen Men schen nach einer neuen eigenen Kunst, welche Aus druck ihres veränderten Erlebens der Welt und ihrer Dynamik geben sollte. Ausstellungen der Galerie Arnold mit Werken van Goghs (1905) und der Neoimpressionisten Seurat, Signac, Cross sowie Gauguin und Valloton (1906) weisen ihnen den Weg. Die starke Erlebniskraft in den Gemälden van Goghs berührt sie heftig, das innere Leben aller Dinge und das Sich formen eines jeden Gegenstandes im Bilde. Wie im

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