Nachdem sich In den Schwelgereien des Naturalis mus der Sinn und Zweck der Kunst totgelaufen hatte, war es nötig, wieder an die Grundelemente des künstlerischen Schaffens zu erinnern. So hat die neue Kunst alles Primäre, Primitive hervorgekehrt, und, die sichere Basis der Gegenständlichkeit verlassend, sich allem Einfachen, Früheren zugewandt: Bauernkunst, Negerstil, Kinderzeichnungen, Geometrie. Dort war die Quelle neuer Kraft, dazu die Quelle des größten: des Ich; die Verinnerlichung. Dieser bisher unveröffentlichfe Aufsatz Schlemmers stammt aus dem Jahre 1919. Frühere Notizen zum gleichen Problemkreis aus den Jahren 1917 und 1918 sind in dem soeben erschienenen Werk «Oskar Schlemmer, Briefe und Tagebücher' enthalten. Vgl. dazu unsere Besprechung auf Seite 30. Dr. Günter Rombold Die Sammlung Dr. Max Fischer auf einem der Hügel um Stuttgart erhebt sich das Haus Dr. Fischer. Unten, in der Mulde, dehnt sich die Stadt, und von der anderen Seite grüßt die Weißenhofsiedlung herüber. Es wurde zur glei chen Zeit wie diese erbaut, freilich nicht von einem Out, Gropius, Mies von der Rohe oder Le Corbusier, aber doch von einem begabten Berliner Architekten, der ihm außen eine klare und einfache Form, innen ober eine Folge lichter, weiter Räume gegeben hat. Diese Räume bergen heute eine der bedeutendsten deutschen Kunstsammlungen. Ich zähle es zu den glücklichen Fügungen meines Lebens, daß ich ihr Wachsen miterleben durfte. Anfang der dreißiger Jahre weilte ich, damals noch ein Kind, über ein Jahr im Hause Fischer und später kehrte ich oft und oft zu einem Besuch zurück. Schon um 1932 hotte das Haus seine Einrichtung, die es im wesentlichen bis heute behielt. Schöne große Orientteppiche geben den Räumen Farbe und Wärme. Die Möbel stammen vorwiegend aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert; die ganze Entwicklung von der schwe ren Renaissancetruhe bis zur eleganten Rokokokom mode läßt sich an ihnen ablesen. Auf den Kommoden fand sich manches schöne Stück, so etwa eine herbe burgundische Madonna aus dem 12. Jahrhundert, die noch heute ein Glanzstück der Sammlung bildet, ein prachtvoller gotischer hl. Sebastian und weitere Pla stiken vorwiegend schwäbischer Provenienz. Unter den Bildern an den Wänden hingen schon damals — neben einigen gotischen Tafeln — viele „Moderne". So etwa ein früher Schlemmer („Stuttgart"), der noch ganz die Herkunft von Cezonne verrät, ein Carl Hofer aus dessen bester Zeit („Zwei Mädchen"), ein Ko koschka, der im Oeuvre des Meisters eine Sonderstel lung einnimmt („Stubenmädchen"), zwei preziöse Aquarelle von Paul Klee („Botschaft des Luftgeistes", „Selbstmord eines Stubenmädchens"). Die phantasti sche Welt Kubins — der übrigens einige Wochen im Hause Fischer zu Gast war — wurde durch viele her vorragende Federzeichnungen vertreten, die die Auf merksamkeit aller Besucher erregten. Das Erstaunliche dieser Sammlung war — und ist es bis heute geblieben —, wie alle diese Werke zu einer Einheit zusammenwuchsen. Da standen nicht Einzel stücke aus verschiedenen geschichtlichen Perioden ver loren im Raum, wie in vielen Museen, vielmehr wurden sie alle durch eine geheimnisvolle Kraft gegenwärtig und damit lebendig. Das lag nicht nur daran, daß in diesen Räumen gewohnt wurde, die Kommoden einen bestimmten Zweck hatten, die Figuren und Bilder durch stetes Anschauen innerer Besitz der sie umgebenden Menschen wurden. Der tiefere Grund dafür war der, daß hier Kunstwerke gesammelt wurden, die nicht nur interessant oder wertvoll, sondern einer solchen Ver gegenwärtigung fähig waren. Das ist das eigentlich einheitsstiftende Prinzip der Sammlung. So konnte die Sammlung auch immer wieder erwei tert werden, und zwar teilweise in ganz neuen Rich tungen, ohne daß ihre innere Einheit gestört wurde. Eine solche Erweiterung brachten die späteren dreißiger Jahre: Fayencen des 18. Jahrhunderts aus den besten deutschen Manufakturen wurden angekauft und füllten bald zwei Schränke. Daneben kamen auch schöne gotische Plastiken dazu; so ein innig-trauernder Johannes aus der Zeit der Mystik und ein schöner Altarschrein mit der seltenen Darstellung des „Ecce homo". Aber dann kam der Krieg. Während Dr. Fischer — wie schon im ersten Weltkrieg — als Fliegeroffizier auf fernen Kriegsschauplätzen weilte, wurde sein Haus zum Teil zerstört. Die Kunstschätze waren glücklicher weise vorher geborgen worden; allerdings wurden in den Wirren des Jahres 1945 einige der schaurig schönen Kubinblätter entwendet; manche von ihnen tauchten wieder auf, die meisten jedoch waren und blieben endgültig verloren. Aber dafür kam nun auch Neues hinzu. R. N. Ketterer hatte in diesen Jahren das Stuttgarter Kunstkabinett geöffnet und brachte
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