Oskar Schlemmer Die Kunst der Form- und Farbensprache /'T Nie Kunst der Form- und Farbensprache sollte ydurch sich selbst wirken und der Fürsprache des Wortes nicht bedürfen. Rechte Fürsprache wäre das Wort als Kunst in der Form der Dichtung, doch blieb nur neues Mysterium und der Wunsch noch Deutung unerfüllt. — Die Dinge der Kunst weben zart ineinander; Formulierungen und Systeme zer stören leicht das Beste. Doch sei die Kunst nicht ins Vage und Traumhafte gewiesen, innerhalb ihrer Welt hat sie ihre festen Formen und Gesetze. Von den Elementen des Kunstwerkes seien begrif fen: Idee als das Geistige, Stoff als Erscheinungsform des Geistigen, Form als gestaltete Materie, Mittel als Werkzeug zur Gestaltung, Objekt als Erscheinungs form der Natur, Natur pantheistisch, als Kraft. — Es ist also alles Natur, da alles wirkende Kraft ist und wie es ein Erlebnis der Natur gibt, gibt es ein solches des Objektes, der Mittel, der Form, des Stoffes, der Idee. Die Stellung der einzelnen Elemente zueinander, das Verhältnis ihrer Zusammensetzung bildete die Eigentümlichkeiten des Stils in der Kunst und die Revolutionen sorgten für den Kreislauf des Wechsels. Die neue Kunst hat das Objekt vom Thron gestürzt. Es hatte die Vorherrschaft in der naturalistischen Malerei, welche zuletzt im Gewand des Impressionis mus Höhen erreichte wie auch Abgründe, wie sie nur unserem Zeitalter vorbehalten scheinen. Nachbildung der Natur ist ein Unding und steht außerhalb des menschlichen Vermögens. Rundpanorama und Pan optikum sind Bemühungen, Natur in Lebensgröße nachzuahmen, die in einem bestimmten Maß von Künstlichkeit und gelungener Täuschung verebben. Wenn der menschliche Organismus mittels Räderwerk zu imitieren und auf einer Leinwandfläche die Illusion der Unendlichkeit zu erzeugen versucht wird, so ist daran wesentlich, daß es objektiv fremde, abstrakte Mittel sind, die angewandt werden. Die Erkenntnis seiner Unzulänglichkeit und Grenzen in diesem Be streben führte den Künstler zur Beschränkung auf die Fläche, zur verkleinerten Wiedergabe, zum Natur ausschnitt, zum Bild. Mit der Einsicht, daß es nicht auf Nachahmung der Natur ankomme, sondern auf eine Umsetzung in die gegebenen Materialien, deren sich die Kunst zur Dar stellung bedient, begann ein Studium der Natur der Darstellungsmittel und ihrer Wirkungsmöglichkeiten. Dies führte zu den als Abweichungen von der Natur empfundenen Kunstformen, die zu Vergewaltigungen wurden, bei teilweiser oder gänzlicher Negation des Objektes zugunsten höherer Forderungen. Es entstan den Werke, in denen z. B. die Form gewissermaßen sich selbst genug und die Form die Idee war. Die Vervollkommnung der Photographie, dieser bis heute höchsten Instanz für absolute Objektivität, hat die Entwicklung der Kunst nach dieser Seite begünstigt und sie auf ihr eigentlichstes Gebiet gewiesen: von der dienenden Rolle der Reproduktion zum rein Schöpferischen. Die Darstellung des Menschen wird immer das große Gleichnis für den Künstler bilden. Hier der Mensch aus Fleisch und Blut mit der Mystik seiner Existenz, dort sein Widerspiel, in Kunst. Die Bedin gungen und Gesetze seiner physischen Existenz sind andere als die seiner künstlich-künstlerischen. Es sind die unserem physischen Organismus wesensfremdesten, nämlich: Projektion auf eine Fläche, auf eine recht winkelige und begrenzte Fläche — in Materialien wie Farbe, öl, Pinsel, Stift, Gips, Holz, Stein. Gleich der Ehrfurcht vor den Gesetzen des Lebens, gibt es eine solche vor den Gesetzen der Kunst, die in den Materialien begründet liegen, deren sich die Kunst bedient. Sie sind die Quellen jener als Abwei chungen von der Natur empfundenen Kunstformen, die zu Vergewaltigungen wurden bei teilweiser oder gänzlicher Negation des Objektes zugunsten anderer Forderungen. So konnten Werke entstehen, in denen z. B. die Form gewissermaßen um seiner selbst willen da, sich selbst genug ist. Vermochte besondere Hervorkehrung der Eigentüm lichkeiten dieser Materialien schon zur Zeit des Natu ralismus ganze Richtungen und Kunstperioden zu be stimmen: der Pointiiiismus der zerlegten reinen Farbe, die lasierende Asphaltmalerei, die Farbe wie Email und die pastose gemauerte Farbe Cezannes, die Pinselstruktur bei Trübner und die Spachtelungen Liebermanns, wo diese Mittel noch im Dienste der Objektivation hingenommen wurden, so brachte die Befreiung vom Objekt in der neuen Malerei und i.och stärkere Potenzierung dieser Mittel eine Welt neuer Möglichkeiten. Um ein ganz primäres zu nennen, die rechtwinkelige weiße Leinwandfläche ist ein solch zwingendes Faktum, daß ein nicht geringer zu bewer tendes Gefühl als das ehedem für das Objekt, den Künstler bestimmen konnte, sich in der Konzeption des Bildes vom Geist, von der Idee der Fläche leiten zu lassen und die im Rechteck gegebene Grundform als das Maß für alle auf sie projizierten Formen zu nehmen.
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