Christliche Kunstblätter, 96. Jg., 1958, Heft 1

gotisdtie Marienkapelle. Über dem Altare erhebt sich ein herb-schönes, gotisches, steinernes Bild werk der Muttergottes. Hinten links und rechts gibt es restaurierte Reste alter Fresken. Die hohe linke Wand aber füllen beinahe zur Gänze Wand malereien aus, welche in jahrelanger Arbeit bis vor kurzem von Lydia Roppolt — wesentlich gefördert durch den verständnisvollen Erzabt Jakob Reimer — ausgeführt wurden, nachdem die Künst lerin unmittelbar vorher schon die niedrige Vor halle mit Fresken zur Leidensgesdiichte Jesu und anderen Themen bedeckt hatte. Jenen neuesten Gemälden aber wenden wir uns zu. Sie sind zu einem wahren Stein des Anstoßes für allzuviele Besucher der Kapelle geworden. Zu jeder Zeit, als ich mich dort befand, hörte idi laute Proteste, Schmährufe und Gelächter über die moderne Ausführung dieser Gemälde. Andere Leute wieder stehen betroffen und unsicher davor. In einer Salzburger Zeitung nannte zu dieser Zeit ein anonymer Schreiber aus dem Auslande die Gemälde rundheraus — eine Blasphemie. Warum diese unfreundliche Haltung? Einige Wenige aber nehmen den künstlerischen Anruf willig und still auf, sitzen schweigend in den Bänken und sehen zu den Darstellungen hinauf, bis in ihnen ein Erlebnis aufkeimt, das bleibend sein wird. Das Werk ist ein Triptychon: „Das Große Halleluja". Auf dem Gemälde rechter Hand (welches, als erstes von den dreien, 1953 geschaffen wurde): Jesus am Kreuze, unter welchem Petrus und Adam stehen. Das Gegenstück links zeigt Jesus auf dem Esel und drei Heilige als Märtyrer: Johannes den Täufer, Petrus und Stephanus. Im Mittelgemälde erscheint der Herr als Weltenrichter, Maria als Fürbitterin und je ein Engel und Heiliger, welche den Herrn loben und preisen. Dies die Themata. Was uns jedoch ungewohnt anpackt, sobald wir in die Kapelle treten und den Blick zur Wand hinaufheben, das ist die Art der Darstellung. Die Personen und Vorgänge erscheinen auf den ersten Blick schematisch und unbeholfen gezeichnet, ja wie von Kinderhand verzeichnet, ihre natürlichen Formen und ihre natürliche Schön heit — besonders auf den beiden letzten Gemälden — wie mit Gewalt zerbrochen und aufgelöst. Die Köpfe sind gleichförmige Ovale, ohne psycho logische Charakteristik, mit übergroßen, schema tisch einförmig gezeichneten Augen; Größe und Gebärden der Hände sind weit übertrieben, ihre Formen verrenkt. Es ist eine harte Sprache, die da zu uns gesprochen wird, — sie verlangt von uns einen Verzicht. Und das ist es, wogegen wir uns sträuben! Wir wollen nicht auf die Geborgenheit in unserer fest gefügten, starren, materiellen Umwelt und in deren natürlicher Schönheit verzichten, die wir soeben noch mit Müh' und Not aus dem Zusammenbruch zweier Weltkriege und etlicher Revolutionen für uns gerettet haben. Kein Wunder, daß wir diesen Gemälden im ersten Augenblick am liebsten jedes Gehör versagen möchten, daß das auch so viele Betrachter sofort tun. Wenn sie das jedoch vor sich selbst mit der Bezichtigung rechtfertigen, diese Kunst verneine und destruiere die natürliche Welt um der Verneinung imd Destruktion willen, dann tun sie ihr Unrecht. Denn sie sagt etwas aus, was sie nur so aussagen kann, wie sie es tut. Sicherlich — sie verzichtet und verlangt von uns Verzicht. Jedoch warum? Alles auf diesen Gemäl den soll uns deren Sinngehalt symbolisch sichtbar machen, nichts soll uns davon ablenken — nicht die Fülle und der Reichtum der Welt, selbst die natürliche Schönheit der Dinge und Wesen nicht. Deshalb werden nur wenige Personen, überlebens groß, und beinahe keine Dinge gemalt und die Zeichnung weicht weit ab von den natürlichen Formen, sie spricht eine eigene Sinnsprache. Alles dient dazu, uns die Augen für jenes Andere, Tie fere, den Sinngehalt, zu öffnen. Und wenn wir unbefangen und willig hinhorchen, dann merken wir auch bald, daß die Sprache dieser Kunst doch nicht so hart ist. Mit kindlicher Un bekümmertheit und erzählfreudiger Farbigkeit werden Gestalten und Szenen vor uns ausgebreitet. Ein unerschöpflich reiche Aussage spricht aus ihnen und — eine neue, eigene Schönheit! Um sich ganz der Außenansicht der Natur zu entziehen, werden die Gestalten nicht den Gesetzen des Raumes, also der perspektivischen Wiedergabe, unterstellt, sondern flächenhaft gezeichnet — wie der insbesondere auf den beiden letzten Gemälden — und auf der Wandfläche ganz unräumlich überund nebeneinander angeordnet. Die Verteilung und Stellung der Figuren auf der Wandfläche, ihre Gebärdensprache und die Farbengebung sind einer seits von der Symbolik bestimmt, andererseits von den Erfordernissen des äußeren Zweckes, die Wand harmonisch auszufüllen. Die beiden letzten Ge mälde weisen eine gewisse äußerliche Ähnlichkeit mit Glasmalereien auf (die Künstlerin hatte zur selben Zeit Glasmalereien für die Fenster der Wiener Ruprechts-Kirche sowie für die Himmel fahrts-Kirche in Edmonton in Kanada entworfen): die ganze Bildfläche, sowohl die Fläche jeder ein zelnen Figur, als auch die der Zwischenräume, ist aufgeteilt in unregelmäßige Felder jeweils über wiegend einer Farbe. So wird eine eigenartige, vollkommen flächenhafte Ausgewogenheit und Har monie der Farbgebung und damit der Gesamt komposition — bis zu einzelnen, scheinbar sinnlosen Farbtupfen — erreicht. Gleichzeitig leisten die einzelnen Felder und Feldergruppen manche male rischen Hilfsdienste: Der Farbauftrag der einzelnen Felder auf den Figuren mitsamt den Kontrast tönen der Hintergrundfelder hebt die betreffenden Glieder und Gebärden kräftig hervor. Diese Malweise und Farbgebung ist freilich alles andere als naturalistisch. Sie erweckt sogar den Eindruck der seelischen Erregung der dargestellten Personen nicht oder in geringstem Grade (auf dem Kreuzbild) mit psychologischen Mitteln, außer durch Gebärden, vermittels lebhaften Farben wechsels der Bildfelder, deren Überschneidungen und ähnlicherweise. Auch die unsymmetrische Lage der übergroßen Augen vermittelt den Eindruck der seelischen Lebhaftigkeit. Ja, schließlich werden die Kleider transparent, die Formen der Körper schei nen durch sie hindurch, wie zum Ausdruck dessen, daß uns hier Durchblicke durch Farben und Körper und Gebärden bis zum Kern der Wesen aufgeris sen werden. Das Gemälde mit Jesus am Kreuze macht sinn bildlich die Bedeutung des Opfertodes Christi sicht bar. Über dem Kreuze erscheint Gott Vater. Sein Antlitz ist ganz eigenartig gemalt, wohl einem Menschenantlitz ähnlich und doch so ganz anders, jede Gesichtshälfte in Linien und Farben verschie den, ganz weltfern und geheimnisvoll, über alles menschliche Begreifen erhaben. Aber die Hände greifen liebevoll und segnend zum Kreuz herab, denn Jesus hat ihn durch sein Opfer versöhnt. Die innere Verbundenheit der drei göttlichen Personen ist durch halbkreis-, eigentlich parabelföimige, Christi Haupt mitumfassende, nach oben geöffnete

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