Christliche Kunstblätter, 95. Jg., 1957, Heft 4

Obersfaatskonservator Hofraf Dr. Walter Semetkowski, Wien Weltliche und geistliche Ordnung der Denkmalpflege Denkmalpflege und Denkmalschutz werden in der Auswirkung romantischer Einstellimg vornehmlich zum Mittelalter und seinem Kunst bestand seit der Mitte des vergangenen 19. Jahrhunderts auch im „Kaiserstaat Öster reich" nach erheblicher publizistischer Vor arbeit als staatliche Aufgabe anerkannt und einer im wesentlichen aus Vertretern der Be hörden sowie der wissenschaftlichen und künst lerischen Institutionen berufenen Kommission anvertraut, der zufolge allerhöchster Ent schließung des jugendlichen Kaisers Franz Josefs I. vom 31. Dezember 1850 eingesetzten „kk. Zentralkommission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale", die ihre Tätig keit mit der Konstituierung nach dem Statut vom 24. Juni 1853 begann. Der Kaiserstaat, In begriff der habsburgischen Hausmacht, das Herz Mitteleuropas, umschloß weit über den ange stammten Kern hinaus die Länder der unga rischen Krone, den böhmischen und galizischen Raum sowie Oberitalien (die Lombardei bis 1859, Venezien bis 1866) und die dalmatinische Küste der Adria. Wenn auch die intensiven Forschungsarbeiten dieser ersten Jahre besonders auf das Mittel alter ausgerichtet waren, so blieb doch das Erbe der Antike nicht vergessen, als deren bedeu tendstes Denkmal der schon von J. B. Fischer von Erlach gewürdigte Diokletianspalast von Spalato vom Anbeginn zu besonderen Studien und Maßnahmen Anlaß gab. Auf dem Gebiet der kirchlichen Denkmale galten die Arbeiten der Forschung und Erhaltung ausschließlich dem Mittelalter mit immer stärkerer Hinwen dung zur Gotik. Ausgehend von einem Ideal der Stileinheit und -reinheit wurde die Aufgabe der Erhaltung vielfach überschritten und auf „Reinigung" der gotischen Bauten von allen „Entartungen" späterer Zutaten am und beson ders im Bau und seiner Ausstattung ausgedehnt: Ausräumen „zopfiger" Zutaten und deren Ersatz durch „stilrichtige", also gotisierende Gestal tungen. Von solchen Plänen war zeitweilig auch St. Stephan in Wien ebenso bedroht wie von der nach dem Beispiel anderer „Ausbauten" (Kölner Dom seit 1842, Ulm, Regensburg, Prag etc.) vorgesehenen Vollendung des Nordturmes nach den vorhandenen Originalplänen. Diese, die Gotik immer intensiver als den allein „kirch lichen" Baustil betonende Haltung bestimmt Neuwerke wie z. B. die Votivkirche in Wien, den Dom in Linz. Es soll hier festgehalten wer den, daß der ehrenamtliche kk. Konservator Msg. Dr. h. c. Johann Graus in Graz (1836—1921) nach anfänglichem Gleichklang mit den Goti kern schon früh, bald nach 1880 in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Kirchenschmuck" des Christlichen Kunstvereines der Diözese Seckau mit dem Hinweis auf die Großleistimgen der Renaissance vor allem auf St. Peter in Rom die Ausschließlichkeit jener Auffassung bekämpft und auf diese Weise wesentlich bei getragen hat, die Leistungen des Barocks in allen seinen Phasen und Erscheinungen richtig zu würdigen und von dem Fluch weltlichen Zopfes zu befreien. In scharfem Gegensatz zu „konsequenten Gotikern" wie z. B. August Reichensperger hat er die interessierten kirch lichen Kreise und besonders die zur Unter richtung ihm anvertrauten Alumnen des fürst bischöflichen Priesterhauses auf die Universa lität des kirchlichen Kunstbestandes hingewie sen und jene Auffassung vorbereitet, die in Wilh. Heinrich Riehls „Religiösen Studien eines Weltkindes" (1894) durchgreift und die Summe der Gestaltungen über ihre verschiedenen Ent stehungszeiten hinaus als Totaldenkmal erfaßt und würdigt, in dem auch unsere Zeit mit ihrer Formensprache — taktvolle Einfügung voraus gesetzt — mitreden soll. Die von Alois Riegl (t 1905) besonders betonte Komponente des Alterswertes an sich als Aufgabe des Schutzes hat diese Totalität noch unterstrichen; er ist sozusagen die ausgleichende Schicht, die sich gleich einer Aura über die zeitlich verschiedenen Formen und Gestaltungen breitet. Kunsthistoriker und Denkmalpfleger lehnen das Zielbild einer (oftmals nur theoretisch faß baren) „Stilreinheit" grundsätzlich ab; wo sie von der Entstehungszeit her überliefert ist, wie z. B. bei einem ohne wesentlich verändernde Zutaten erhaltenen Werk der Barocke (man denkt dabei an die Karlskirche in Wien oder an ein Juwel wie Stadl-Paura), wird sie ehr fürchtig gewahrt. Mittelalterliche Bauwerke konnten freilich ihre Stileinheit nur bewahren, wenn sie im Lauf der Zeiten bis zur Vergessen heit vereinsamt sind.

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