Christliche Kunstblätter, 95. Jg., 1957, Heft 4

kunstgeschichtliche Bedeutung als rares und qualitätvolles Dokument einer bestimmten Stilepoche dagegen sehr groß sein kann. In der Feststellung dieser Tatsache ist ein Hauptproblem für den praktischen Denkmal pfleger gegeben, weil sich bei der Frage nach der Art der Restaurierung nicht selten gegen teilige Ansichten gegenüberstehen. Von der einen Seite wird darauf hingewiesen, daß das in kultischer Verwendung stehende sakrale Bauwerk kein Museum sei und daß zur Erzie lung eines gesdilossenen Eindrucks bei stören den Fehlstellen im Altbestand Ergänzungen von der Hand des Restaurators erlaubt seien. Oft steht gerade der kirchliche Auftraggeber aus durchaus verständlichen Gründen in diesem Lager. Die Denkmalpflege betont dagegen den Originalwert einer künstlerischen Schöp fung und sieht in modernen Ergänzungen Fäl schungen eines Dokumentes. Obzwar diese Er gänzungen in den heute entwickelten, verschie denen Techniken (z. B. luiklare Konturen, stri chelnde Malweise usw.) so ausgeführt werden können, daß der Fachmann Original von Zutat zu unterscheiden imstande ist, so ist doch fest zuhalten, daß auch mit einer solchen Schließung — vor allem bei größeren Fehlstellen — die Perzeption des originalen Bestandes beeinträch tigende Gesamtwirkungen entstehen können, welche die originale Konzeption in der beim Betrachten nicht zu vermeidenden Züsammenschau verfälschen^). Es ist Aufgabe des praktischen Denkmal pflegers, aus diesem, sich manchmal mit voller Schärfe präsentierenden Dilemma, einen Aus weg zu finden, der für sein Gewissen als Wah rer des unverfälschten Kunstgutes der Vergan genheit annehmbar ist, zugleich aber auch den von kirchlicher Seite geäußerten Belangen ent gegenkommt. Sie kann keineswegs dadurch ge löst werden, daß eine generelle Restaurier methode entwickelt wird, welche sozusagen als Kompromiß zwischen beiden Anschauungen eine überall anwendbare Patentlösung liefert. Dieser Weg ist deshalb falsch, weil in der ^) Ganz abzulehnen sind natürlich Manipulatio nen, welche „alten, echten Befund" vortäuschen wollen. Ein klassisches Beispiel bieten hiefür die inzwischen zu trauriger Berühmtheit gelangten Fälschungen in der St. Marienkirche zu Lübeck. Es ist in diesem Zusammenhang interessant, daß sich die bestraften Fälscher zu ihrer Verteidigung auf die Forderung kirchlicher Stellen nach Erzielung eines geschlossenen Eindrucks beriefen. Diese Ver antwortung war zwar durchaus unzutreffend, weil man dem Wimsche des Oberkirchenrates auch in den obzitierten Ergänzungstechniken hätte ent sprechen können, doch zeigt sie deutlich die gleiche theoretische Ausgangsposition. Vgl. hiezu den Be richt von K. Wehlte in Maltechnik 61, 1955, Heft 1, p. llfl. Denkmalpflege jeweils das Kunstwerk selbst und nicht eine starre Regel den Ausschlag gibt^). Die Behauptung erscheint vorerst vielleicht etwas ungereimt in einer Studie, welche an wendbare Grundregeln vermitteln soll; sie ist es jedoch nicht, wenn wir bedenken, daß der einzige Schiedsrichter für eine tragbare Ent scheidung zwischen den manchmal so divergie renden Ansichten der Wert des Kunstwerkes als jeweils individuelle Erscheinung ist. Nur von hier aus können die Maßstäbe in solchen Situa tionen genommen werden: handelt es sich um Objekte ersten Ranges, dann sollte jede zeit subjektive Forderung nach „ästhetischer Ge schlossenheit" hintangestellt werden. Auch der kunstverständige kirchliche Auftraggeber wird wohl in einem solchen Falle das einmalige Kunstwerk in seinem Sosein respektieren und alle anderen Rücksichten zurücksetzen, weiß er doch, daß ihm hier ein bedeutendes Gut anver traut ist, welches — selbst in teilweise ruinö sem Zustande — wert ist, unverändert und so mit auch unergänzt erhalten zu werden. Nur dort, wo der Wert des Objektes sekundär, sein Erhaltungszustand zusätzlich schlecht oder die gestalterischen Qualitäten primär im Ornamen talen liegen, kann daran gedacht werden, von der rein archäologisch-musealen Einstellung abzu gehen und zur Wahrung des gesamtdekorativen Zusammenhanges einer Raumausmalung Kon zessionen an den „Schauwert" zu machen. Dies gilt in manchen Fällen für mittelalterliche Malereien, in erster Linie jedoch für barocke Ausstattungen, auf welche wir später noch zurückkommen werden. Wir sehen, daß der Begriff der Qualität gerade in der praktischen Denkmalpflege ein wichtiges Kriterium zur Entscheidung der Frage nach der Restaurierung des Objektes ist, weil eben der rein archäologisch-museale Stand punkt nicht immer durchgesetzt werden kann, ja sogar in manchen Fällen gar nicht erstrebens wert ist. Es ist ausgeschlossen, in diesem Rah men auf das Wertproblem in der Kunst näher einzugehen. Immerhin werden wir ein wichtiges Kategorienpaar aufstellen können: es ist der künstlerische Wert, welcher sich nicht immer mit dem kunstgeschichtlichen Wert decken muß. Künstlerisch hochstehende Werke sind solche, deren besondere gestalte rische Intensität tmd Aussagekraft die Men schen ergreift; sie sind in der Regel auch kunst geschichtlich als Meisterwerke bedeutsam. Da aber bekanntlich verschiedene Menschen ver schieden auf Kunstwerke reagieren, könnte der Außenstehende vorerst verzweifeln, hier eine Vgl. hiezu die wichtige Studie von Walter Frodl, Grundsätze der Denkmalpflege, in Oberösterrei chische Heimatblätter, 10, 1956, Heft 3/4, p. 5 ff. 25

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