kann jedoch Fälle geben, wo eine solche archä ologische Dokumentation für die Geschichte des Bauwerkes so interessant ist, daß eine Be einträchtigung künstlerischer Wirkung wegen des dokumentarischen und historischen Charak ters hingenommen werden kann. Ohne auf die einzelnen Techniken, wie einschichtigen Kellen putz aus gotischer Zeit (Abb. 21, 24), mehrschich tige geglättete Putze aus barocker Zeit usw. einzugehen, muß gesagt werden, daß jedenfalls die Frage des Verputzes nicht d^m Baumeister allein überlassen werden kann, sondern einer sorgfältigen historischen und ästhetischen Über legung bedarf. Als völlig falsch muß es bezeich net werden, wenn ehemals „geputzte" Bauten wie Skelette präpariert ohne Putz gelassen werden. Auch die Frage der Farbgebung von Putz und Stein wurde in jedem Zeitabschnitt künstlerisch anders gelöst und kann nicht der Welt kunsthistorisch nichtgeschulter Kräfte überlassen bleiben. Was für den Außenbau der Kirche zutrifft, hat auch im Innern seine Gültigkeit, wobei wegen der reicheren Ausstattung der Innen räume die Probleme oft weit komplizierter sind. Die Romantik des vorigen Jahrhunderts hat in vielen Fällen die Innenwirkung mittelalter licher Kirchen so weitgehend verändert, daß die ursprüngliche Erhabenheit fast verlorengegan gen ist. Die angewendeten Muster waren wohl nach irgendwelchen Vorbildern aus Frankreich oder dem Rheinland genommen, waren aber fast immer fehl am Platze. Es kann sein, daß in manchen Fällen die Ausstattung und Bemalung eines Innenraumes, welche im vorigen Jahrhun dert vorgenommen wurde, so interessant ist, daß man sie belassen soll. Im wesentlichen wird es jedoch richtig sein, auf frühere Zustände zu rückzugreifen. Die zwischen den beiden Weltkriegen häufig eingehaltene Übung, in Form eines Aquarells eine neue farbige Wirkung für einen Innenraum zu bestimmen, ist gottlob wieder abgekommen. Es war diese Praxis eigentlich noch ein Nach klang jener „Dekorationsmethoden", welche dem vorigen Jahrhundert angehören. Heute trachtet man zu der Erkenntnis zu kommen, welche Er scheinung dem Innenraum wesentlich zukommt. Es ist in allen Fällen genau zu untersuchen, wie die einzelnen Zustände seit der Entstehung des Bauwerkes ausgesehen haben. Nach vielen Erfahrungen ist es möglich, geradezu mit wis senschaftlicher Präzision auszusagen, welche Er scheinung jede Generation in der Geschichte der Kunst einem Bauwerk gegeben hat, obwohl dies natürlich lokal sehr verschieden ist. Hiebei wurde die Erfahnmg gemacht, daß vor allem die Steinteile fast in allen Epochen mit einer „Schlämme" oder „Glätte" feinst überzogen waren, wodurch dem Stein eine edle künst lerische Erscheinung gegeben wurde. Jede wei tere Tüncheschichte, welche über dem Stein liegt, gibt Aufschluß über die künstlerische Ge sinnung jeder einzelnen Epoche. Es ist hiebei staunenswert, wie lange sich eine einheitliche mittelalterliche Gesinnung gehalten hat und wie selbst noch im 16. und 17. Jahrhundert auf ur sprüngliche Wirkungen zurückgegriffen worden ist. Die Behandlimg der Wandflächen in mittel alterlichen Kirchen ist eine sehr einfache, schlichte und würdige gewesen, der Wandton und Ton der Gewölbezwickel war von einer ein heitlichen Wirkung in einem gebrochenen Weiß, das je nach Örtlichkeit oder Zeit freilich eine andere Wirkung gehabt haben konnte. Die in den letzten Jahrzehnten so häufig bevorzugte Ockertönung für Wandflächen ist niemals im Mittelalter anzutreffen, sie entspricht dem Wunsche, einen Kirchenraum zu verniedlichen imd gemütlicher erscheinen zu lassen, wodurch ihm meist die Erhabenheit genommen wird. Die farbige Behandlung der Steinteile ist genera tionsweise sehr verschieden (Abb. 22), zu man chen Zeiten überaus farbig, um 1500 herum jedoch von einer klassischen Einfachheit. Die meisten „Glätten" aus der Zeit Anton Pilgrams haben die Erscheinung eines Beintones. Über die ses Thema ließe sich allein ein ganzes Buch schreiben. Es mag hier genügen, wenn in allen Fällen die älteren Zustände genau untersucht werden und dann nach gründlicher Überlegung eine Erscheinung gewählt wird, welche dem künstlerischen Zustand des Bauwerkes und seiner Ausstattung am besten entspricht. Am wünschenswertesten erscheint es, wenn die ur sprüngliche Fassung tatsächlich freigelegt und mit wenigen Retuschen erhalten werden kann. Dies ist nun nicht immer möglich; mitunter muß die Erscheinung neu hergestellt werden, in ein zelnen Fällen ist es auch interessant, spätere Erscheinungen und Polychromierungen von In nenräumen freizulegen, wie dies etwa in Stratzing, Niederösterreich, versucht worden ist. Die mittelalterliche Kirche zeigt heute im Langhaus die interessante Bemalung der Steinteile aus dem 16. Jahrhundert, wobei ein roter Ton sehr stark überwiegt, während im Presbyterium ein interessanter, spätklassizistisch-romantischer.'Zustand freigelegt worden ist. Dieser ungewöhn liche Vorgang erklärte sich aus der jeweiligen besseren Erhaltung einzelner Schichten. Die Wahl zweier verschiedener Zustände stellt in diesem Falle tatsächlich eine Bereicherung dar. Es wird jedoch keine Regel sein können, einen solchen Vorgang einzuschlagen. Wie sehr unsere heutige Zeit darnach strebt, urtümliche, ori ginale Zustände wiederherzustellen, mag daraus ersehen werden, daß selbst bei Bauten wie dem 22
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